Wie ein Kissen für Zusammenhalt sorgt

von Helena Bühler und Gina Pelosi (Klasse 2MS)

mit Szenen aus dem Film zum Chorlager von Samuel Thiessen (Klasse 4MZ)

„Ich ha mis Handy genau zwei Mol müesse lade während de ganze Wuche.“ Wer hätte gedacht, diesen Satz einmal aus dem Mund eines Gym-Schülers zu hören? Doch es haben tatsächlich 120 Schülerinnen und Schüler geschafft, das Handy einfach mal zu vergessen. Das Wundermittel heisst: Chorlager.

„Achtung, Achtung, Chüssi ufsetze! Barat? Sehr guet. Mögen die Spiele beginnen!“

Die Holzkelle schnellt auf den Suppentopf, der Startschuss für unser geliebtes Blindball. Ein Riesengeschrei bricht aus und die Spielerinnen und Spieler stürmen, so gut es mit einem Kissen über dem Kopf eben geht, auf den Ball los. Die ersten stolpern bereits über ihre eigenen Füsse, die nächsten purzeln über die Matte in der Mitte des Spielfeldes und ein paar wenige schaffen es schliesslich zum Ball, der auf der Matte thront. Der erste Spieler stürzt sich auf den Basketball, umklammert ihn. Allerdings gefolgt von einer Gegnerin, die sich ohne Zögern auf ihren Konkurrenten wirft. Es wird gerissen und gezerrt. Ein harter Kampf um den Ball beginnt. Endlich hat sich jemand freigekämpft und steht nun völlig orientierungslos mit dem Ball da. In welcher Richtung der gegnerische Basketballkorb wohl sein könnte? Die Lotsen am Spielrand schreien so laut wie möglich: „nach reeeeechts“ oder „hinter diiiiiiir“ oder einfach „laaaaauf!“.

Wie schwer es ist, blind zu prellen und dann auch noch einen Korb zu machen, ist unübersehbar. Doch jedes Jahr gab es ein oder zwei Wunderkinder, die es fertigbrachten. So ist es natürlich auch in diesem Lager wieder. Ausser sich vor Freude stürmen die Jungs aufs Feld, um ihren Helden, den Schützen des ersten Korbes, zu feiern. Noch grösser ist die Freude bei den Mädchen, als schliesslich das Unentschieden geschossen wird. Ein unbeschreibliches Erlebnis! In der letzten Sekunde machen die Männer jedoch den entscheidenden Korb und gewinnen damit das Blindball 2018.

Diesen Sieg hatten die Jungs allerdings schon vor dem Spiel gross angekündigt. Oben ohne tanzten sie auf der Turnhallengalerie und lieferten ein unvergessliches Schauspiel ab. „D Männer gwünne Blindball, schalalalala“, sangen sie siegessicher. Natürlich hatten auch wir Mädchen uns eine Choreo überlegt, selbstverständlich mit Kleidern. Doch das hat scheinbar nicht gereicht für einen Sieg. Wenn man jetzt erwartet, dass die Mädchen geknickt in ihren Zimmern verschwinden oder ihre Laune steil bergab geht, irrt man sich gewaltig. Obwohl es heisst: „Meitli gege Buebe“, sorgt die Tradition des Blindballs für grosse Freude bei allen Beteiligten. Die verschwitzten Gesichter sind alle von einem Lächeln umzogen. Wer hätte gedacht, dass 120 Menschen einen Krieg derart gesittet austragen können? Hört man von der Spaltung zwischen Mädchen und Jungs während des Blindball-Krieges, könnte man meinen, das ganze Lager sei ein einziger Kampf. Doch das ist keineswegs der Fall. Die restliche Zeit des Lagers sind wir eine grosse Gemeinschaft.

Es beginnt schon am Bahnhof in Basel. Wir spüren die pulsierende Freude unter uns und die zitternde Angespanntheit auf die gemeinsame Woche. Im Zug wandern wir durch die Waggons voller Jugendlicher und überall wird gelacht, getratscht und gesungen.  Hände wirbeln herum und Köpfe wippen zu den Wörtern, die hin- und herfliessen. Man sitzt mit denen zusammen, die man gut kennt. Doch nicht mehr lange. Im Lagerhaus wird die Menschenmenge gerüttelt und vermischt. Wir verteilen uns in alle Richtungen. Neue Gesichter liegen auf den Betten, schwitzen in der Turnhalle und grinsen an den Spieltischen. Wir sind umgeben von neuen Leuten. Es spielt keine grosse Rolle mehr, ob man sich schon kennt, geschweige denn den Namen weiss. Diese wird man bis Ende Woche noch nicht alle wissen.

Zum Essen versammelt sich die verstreute Gruppe wieder. Es wird um die Tische gekämpft. Niemand will als Letzter Essen holen müssen. Doch dann taucht unser „Chuchiteam“ auf. Die gute Fee Jasmine hält grinsend ein paar „Lösli“ in den Fingern. Gestöhne geht durch den Raum. Es kann doch nicht sein, dass wir jetzt einfach auf Glück hoffen müssen, um als Erste dran zu kommen? Also werden wir kreativ. Es werden Nummern geklaut und gehandelt. Plötzlich erklingt ein lautes „Happy birthday to you. Happy birthday to you. Happy birthday, liebe Philipp, happy birthday to you!“ Jasmine rennt zu Philipps Tisch und übergibt ihm das „Lösli Nummer 1“. Der Tisch jubelt und steht auf. Sie klatschen sich ab und lachen. Langsam wird klar. Philipp hat nicht Geburtstag. Es war der kreative und hinterhältige Plan, als Erstes ans Essen zu gelangen.

Mit diesem Chaos, dem Gejohle und all den vielen verschiedenen Menschen auf einem Haufen wäre es nicht verwunderlich, wenn hier und dort mal Streitigkeiten oder Unruhen entstünden. Doch mit Denise unter uns ist sowas nicht möglich. Sie ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort, teilt uns zwischendurch mal wieder ein „Ämtli“ zu, verarztet uns mit Emserpastillen oder blödelt einfach mit uns mit. Für die ganz Wilden unter uns hat es zum Glück eine Menge Schnee vor der Haustüre. Skikleider an und schon ist man in eine verrückte Schneeballschlacht verwickelt, baut einen Schneemann oder saust mit selbstgebastelten Schlitten den Hang hinunter. Mitte Woche bekommen wir sogar einen Nachmittag frei, um uns im Schnee zu vergnügen. Der Chor verteilt sich in ganz Obergesteln und darüber hinaus. Man kann schlitteln, spazieren, langlaufen oder einfach tun, wonach einem gerade ist.

Doch eigentlich heisst es ja Chorlager und nicht Vergnügungslager. Zurecht, denn der Hauptbestandteil eines Tages ist natürlich das Proben an unserem neuen Projekt, dem Oratorium Elias. Die Proben verlaufen allerdings ganz anders, als man es von einem aufgedrehten Haufen wie uns erwartet hätte. Zu Beginn wärmen wir uns auf. Wir schütteln uns durch und dann gibt es zu zweit eine kurze Massage. Das Lachen wird zu Gekicher und sobald wir den ersten Ton singen, werden wir ganz ruhig. Nicht nur akustisch, auch innerlich. Wir schlagen gemeinsam die Noten auf und tauchen ein in die stürmische Welt von Mendelssohns Elias. „Und nach dem Feuer kam ein stilles sanftes Säuseln.“ Im Gegenzug zu unserem aufregenden Feuer während des Lagers, werden wir in den Proben durch ein ruhiges, weniger greifbares, aber ebenso intensives Band verbunden. Es schwebt Konzentration in der Luft. „Chorisch atmen“, erklärt uns Herr Huldi, „jeder atmet zu einem anderen Zeitpunkt, sodass man es nicht hört und wir keine Lücken in der Melodie haben.“ Das chorische Atmen wird zum chorischen Lernen. Wenn jemand Hilfe braucht mit der Melodie, dem Rhythmus oder dem Text,  helfen wir uns gegenseitig und schliessen die Lücken.

Ebenso wie wir gemeinsam lachen, stöhnen wir auch gemeinsam, denn die Proben sind anstrengend. Am ersten Tag proben wir acht Stunden, und das bis 22:00 Uhr. Wir sind erschöpft, doch gegen Ende Woche spüren wir, wie es einfacher wird und die vielen Proben ihre Wirkung zeigen.  Der krönende Abschluss ist der Donnerstagabend. Wir haben ein Konzert in der Kirche von Obergesteln, wo wir unsere Arbeit vor einem kleinen Publikum präsentieren können. Herr Huldi warnt uns: „Wir sind glücklich, wenn 20 Besucher kommen. Das sind nämlich 10% aller Einwohner!“ Doch als wir gespannt auf unseren Plätzen in der Kirche warten, werden wir von weit mehr als 20 gespannten Gesichtern überrascht, die es sich auf den Holzbänken der Kirche bequem machen. Wir sind nervös, doch als Herr Huldi seine Hände hebt und Frau Boog den ersten Ton auf dem Klavier spielt, fliegt die Nervosität weg. Wir erfüllen die edel verzierte Kirche mit einem geschmückten Klang, von dem wir selber überrascht werden. Nach ein paar Stücken macht der grosse Chor Platz für den Kammerchor. Wir haben bis jetzt nicht gehört, was Herr Siegrist die Woche durch mit dem Kammerchor geübt hat. Die Proben verliefen oft getrennt. Doch als sie anfangen zu singen, löst sich die Trennung ein wenig auf. Wir werden mitgezogen und hören aufmerksam zu. Klangvoller Applaus zum Abschluss. Den Schluss des Konzertes verbringen wir wieder alle mit Mendelssohns Elias und unser Solist Felix Gygli sorgt dafür, dass man nicht weghören kann. Die Spannung wird mit jedem Ton weiter gelöst und die Rückmeldung der Gäste nach dem Konzert sorgt für Bestätigung. Ja, die Arbeit hat sich definitiv gelohnt!

Das Chorlager war ein Erfolg. Nicht nur gesanglich, sondern auch menschlich konnten wir uns weiterentwickeln. Wir brauchten keine Handys, um uns zu beschäftigen. Es hat gereicht, miteinander Zeit zu verbringen und als Gemeinschaft zu wachsen. Wir helfen uns gegenseitig, Lücken zu schliessen, und ergänzen uns. Aus chorischem Atmen wurde ein chorisches Zusammenleben.