„Unserem Zweierteam geht es gut“

Premiere in Muttenz: Mit Jacqueline Herrmann und Alexander Bieger leitet erstmals ein Zweierteam das Gymnasium und die FMS. Im Interview mit dem Entfalter sprechen sie über Feuertaufen, Gratwanderungen und Spagate. 
Von Christof Manetsch und Michael Baumgärtner (Fotos: Daniel Nussbaumer)

Liebe Jacqueline, lieber Alex: Wie geht es euch? 

J.H.: Mir geht es gut. Ich bin positiv gestartet. Zwar mit einer hohen Pace und sehr intensiv, dafür haben mir die Herbstferien gutgetan. Die ultimative Feuertaufe des ersten Quartals haben wir irgendwie hinter uns gebracht. Auch unserem Zweierteam geht es gut.

A.B.: Das kann ich unterstreichen. Wir haben bisher nicht so eng zusammengearbeitet und mussten uns ziemlich schnell aneinander gewöhnen. Ich habe festgestellt, dass wir in vielen Dingen ähnlich ticken, auch wenn wir uns nicht überall einig sind. Das empfinde ich aber als sehr positiv. Für mich persönlich ist es eine grosse Umstellung. Meine Wochenarbeitszeit beträgt momentan bis zu 60 Stunden. In den letzten 5 Wochen habe ich fast drei Kilo zugenommen und habe es bis jetzt nicht zum Friseur geschafft (lacht). Ich hoffe, dass ich beides bis Weihnachten wieder in den Griff bekomme. 

Wie lautet euer Zwischenfazit nach den ersten zwei Monaten? 

J.H.: Ein erstes Zwischenfazit lautet definitiv, dass die Zusammenarbeit funktioniert. Wir schätzen beide, dass wir ein gleichberechtigtes Gegenüber haben, mit dem wir uns austauschen können, an dem wir uns manchmal reiben, aber mit dem wir weiterkommen. Zweitens gibt es viele Dossiers, die wir zum ersten Mal behandeln und in die wir uns erst langsam hineindenken müssen. In vielem kratzen wir noch an der Oberfläche. Wir haben zwar gemeinsame Vorstellungen, wo wir hinwollen, aber wie wir dahin gelangen, ist noch offen. Die Frage ist: Wie erreichen wir unsere Ziele und Visionen, ohne gewachsene Strukturen kaputt zu machen? 

Gibt es trotz eurer Bemühungen um Kontinuität auch Veränderungen, die ihr sichtbar machen wolltet? 

A.B.: Die gibt es in der Tat. So haben wir Klassenteamsitzungen neu eingeführt, womit wir übrigens direkt einem unserer Prinzipien widersprechen, die Anzahl der Sitzungen zu reduzieren. Es gibt einige neue Pflöcke, die wir einschlagen wollen, und der Teamgedanke ist einer davon. Das gilt auch für die Gesamtschulleitung: Am ersten Schultag sollten alle vier Schulleitungsmitglieder gleichberechtigt vorne sitzen und ähnliche Sprechanteile haben. 

Uns Lehrpersonen fiel besonders auf, dass ihr uns an heissen Sommertagen mehr Spielraum bei der Kleiderauswahl lässt. 

J.H.: Diese Frage stand latent im Raum, sobald draussen mehr als 30°C herrschten. Wir sind ein neues Team und müssen unsere eigene Linie entsprechend unseren Vorstellungen finden. 

A.B.: Es ist eine Gratwanderung. Wir möchten manche Dinge anders machen, ohne gleichzeitig den Eindruck zu vermitteln, dass die vorherige Schulleitung Dinge falsch gemacht habe. Man muss sehr gut aufpassen, wie man es kommuniziert. Ich bin froh, dass die Frage der Kleiderordnung aufkam, da sie jahrelang ungelöst im Raum stand. Unsere Lösung symbolisiert, wie wir uns die Führung unseres Kollegiums vorstelle: Es gibt gewisse Regeln, gleichzeitig halten wir nicht stur an Prinzipien fest, sondern suchen situativ nach sinnvollen Umsetzungen. 

Stichwort Veränderungen: Hast du, Alex, etwas an dir verändert, seit du in der Schulleitung bist? 

A.B.: Es ist spannend: Ich habe auch schon als Lehrperson ab und zu einen Anzug getragen. Als ich gemeinsam mit Jacqueline zum Schulleiter gewählt wurde, meinten manche Kolleg*innen dennoch: „Ah, läufst du jetzt so herum?“ Mein Eindruck ist, dass es eher die Leute sind, die mich anders wahrnehmen. Ich selbst habe nicht das Gefühl, dass ich mich verändert habe. Bei den Leuten, mit denen ich schon lange Zeit zusammenarbeite oder mit denen ich befreundet bin, hat sich im Umgang nichts verändert. 

Bist du froh um diese Kontinuität? 

A.B.: Absolut! Es gibt allerdings schon Unterschiede zu früher: Wenn mich etwas gestört hat, konnte ich mich im Lehrpersonenzimmer mit anderen offen darüber auslassen. Das hatte auch mit Psychohygiene zu tun. Das kann ich jetzt nicht mehr machen. Wenn ich heute meine Meinung äussere, wirkt das ganz anders als früher. 

Jacqueline, wie managst du die Doppelbelastung aus dem Amt der Schulleiterin und der Schulleitungsausbildung, die du nebenher absolvierst? 

J.H.: Das Modul, das ich absolviere, dauert 2.5 Jahre. Alle sechs Monate gibt es fünf intensive Weiterbildungstage. Den Arbeitsalltag muss ich dann jeweils nebenher meistern. Für mich heisst es in diesen Phasen: Kopf runter und durch! Der Austausch mit anderen Schulleiter*innen, auch aus anderen Schulstufen, ist für mich jedoch sehr wertvoll. 

Vor dem Hintergrund des Schulneubaus und anderer Grossprojekte wie WEGM: Habt ihr den Eindruck, euer Amt in einer dankbaren Phase anzutreten? 

A.B.: Das ist eine Frage der Einstellung. Natürlich hätten wir uns gewünscht, uns nicht gleich mit der neuen Finanzstrategie beschäftigen zu müssen, weil wir in diesem Zusammenhang einige unangenehme Entscheidungen werden treffen müssen. Diese haben das Potenzial, viele Leute zu verärgern. Auch WEGM hat dieses Potenzial, oder die Einführung des neuen Berufsauftrags. Aber gleichzeitig bieten sich hier Chancen: Wenn es uns gelingt, diese Projekte vernünftig umzusetzen, bringt uns das viel Kredit. 

J.H.: Auf allen Ebenen sind Veränderungen in Gang, auch wenn diese Veränderungen von aussen kamen und nicht von uns angestossen wurden. Bei WEGM hätte ich mir gewünscht, dass man bei den eidgenössischen Vorgaben etwas mutiger gewesen wäre. Trotzdem können wir als Kanton und auch als Schule nun überlegen, wie wir diesen Rahmen ausgestalten möchten. WEGM und der Berufsauftrag bieten nicht zuletzt die Chance, diese Themen gemeinsam mit dem Kollegium anzugehen und eine Lösung zu finden, die für alle stimmig ist.

Welche Chancen bieten sich durch den Neubau des Schulhauses? 

J.H.: Dieser ist ein gutes Beispiel für die antizipierende Haltung, die wir einnehmen möchten. Wir sitzen heute in Baukommissionsgruppen und überlegen uns, wie das Schulhaus aussehen soll, das voraussichtlich 2032 fertiggestellt wird. Für uns stellt sich die Frage: Wie unterrichten wir im Jahr 2032? Wie müssen wir die Unterrichtsräume gestalten, um möglichst viel Freiraum für alle möglichen Entwicklungen zu haben. Niemand kann genau vorhersagen, wie der Unterricht in 8-10 Jahren aussehen wird. Dies im Austausch mit anderen möglichst gut zu antizipieren, finde ich sehr spannend. 

Ist die aktive Mitgestaltung dieser Grossprojekte der Hauptgrund, weshalb ihr euch für die Schulleitung beworben habt? 

A.B.: Bei mir ganz klar nein, wobei es von den Projekten abhängt. Der Neubau eines Schulhauses parallel zum Normalbetrieb ist nicht etwas, was ich mir wünschen würde. Vor dieser Aufgabe habe ich grossen Respekt, gleichzeitig freue ich mich auf den Moment, in dem wir in das neue Schulhaus einziehen. 

Und abgesehen von dem Bauprojekt? 

A.B.: Die anderen Projekte finde ich interessant, besonders den Austausch mit dem Kollegium, das ich als sehr offen für Veränderungen wahrnehme. Natürlich gibt es Widerstände, einige haben Angst vor Veränderungen oder sind vielleicht auch etwas bequem, aber wir haben in den letzten Jahren vieles verändert. Beispiel BYOD: Als ich hier an der Schule anfing, habe ich vor dem Notenkonvent die Noten noch von Hand auf Papier geschrieben. Da ist wahnsinnig viel passiert und wir können das hier am Gymnasium Muttenz auch sehr gut machen, weil wir viele Lehrpersonen haben, die über das eigene Gerät hinausdenken können.

Jacqueline, worin besteht für dich der Hauptreiz deiner neuen Aufgabe? 

J.H.: Die Schule ist für mich ein sehr interessantes Feld und dieses aktiv zu gestalten, mitwirken und weiterdenken zu können, macht für mich den Reiz aus. Ich bin eine Person, die gerne Herausforderungen hat, aber das war nicht der Hauptbeweggrund. Als ich mich vor zwei Jahren für die Leitung der FMS Muttenz beworben habe, war das für mich eine Herausforderung, da es etwas komplett Neues für mich war. In den letzten beiden Jahren habe ich festgestellt, dass die aktive Mitgestaltung der Schule mir eine grosse Zufriedenheit gibt. Von meinem Umfeld erhielt ich auch die Bestätigung, dass ich das gut kann. Daraus entstand die Idee, mich für das Amt der Schulleitung zu bewerben. Alleine wollte ich es aber nicht machen. Das Setting des Co-Rektorats finde ich sehr passend für das Gymnasium Muttenz und auch für mich persönlich.

Wie gestaltet ihr das Verhältnis zwischen autoritärem und partizipativem Führungsstil? 

J.H.: Das ist die Gratwanderung schlechthin. Top-down-Entscheide sind nicht mein Ansatz, gleichzeitig gibt es Momente, in denen die Schulleitung Entscheidungen fällen muss. Wichtig ist, dass solche Entscheidungen nachvollziehbar und transparent sind. Ich pflege einen sehr kommunikativen Führungsstil, mir ist es wichtig, in Kontakt mit den Leuten zu sein, ihre Anliegen ernst zu nehmen. Trotzdem kommt man manchmal in Dilemmata, die man in diesem Job aushalten können muss. Wenn man das Ziel hat, von allen gemocht zu werden, darf man diesen Job nicht machen. 

A.B.: Man muss sich gut überlegen, wo man Top-Down-Entscheidungen trifft. Es gibt für mich verschiedene Kriterien: Einerseits bei Fragestellungen, die schnell entschieden werden müssen. Andererseits bei Dingen, die nicht so wichtig sind. Der schwierigste Fall ist, wenn wir als Schulleitung gegen Widerstände Entscheidungen fällen, weil wir von der Hauptrichtung überzeugt sind. In allen anderen Fällen ist es spannend, Feedback einzuholen, wobei es nicht einfach ist, herauszufinden, was wirklich die Meinung des Kollegiums ist, weil es eine grosse schweigende Mehrheit gibt. Partizipation ist wichtig, jedoch muss man auch überlegen, wie man die Leute abholen kann, um ein vernünftiges Gesamtbild zu erhalten. 

Funktioniert euer Modell der geteilten Schulleitung? 

A.B.: Wir haben bislang nur kleine Dinge an unserem Konzept geändert, aber nicht bei der Verteilung der Dossiers, sondern eher im Bereich des persönlichen Austauschs. Da wir die Dossiers aufgeteilt haben, gibt es Dinge, die Jacqueline bearbeitet und von denen ich nichts mitbekomme. Da braucht es gegenseitiges Vertrauen und am Anfang ist das eine Herausforderung, weil es natürlich auch Überschneidungen gibt, beispielsweise in der Personalpolitik. Das Konzept, dass sich Jacqueline um die ersten beiden Jahrgänge kümmert und ich mich um die beiden letzten, bewährt sich ziemlich gut. 

J.H.: Das ist richtig, denn diese Aufteilung schafft Klarheit. Vom Thema Elternabend hat Alex zum Beispiel wenig Ahnung, aber das muss er auch nicht, da es eindeutig in meinen Kompetenzbereich fällt. Im Gegensatz dazu muss ich mich beispielsweise nicht mit der Planung der FMP-Abschlussprüfungen beschäftigen. 

Hat auch das Kollegium diese Aufteilung der Kompetenzbereiche verstanden? 

J.H.: Nein. Insbesondere an der FMS ist man sich gewohnt gewesen, dass ich diejenige bin, die für alles zuständig ist. Es ist aber völlig verständlich, dass ich noch diverse Fragen zur FMS erhalte, die eigentlich nicht mehr in meinen Kompetenzbereich fallen. Es müssen sich alle noch an das neue Konzept gewöhnen. Die falsch adressierten Mails werden jedoch immer weniger. 

Was zeichnet das Gymnasium und die FMS Muttenz besonders aus? 

A.B.: Die offensichtlichsten Dinge sind das MINT-Label, die vielen öffentlichkeitswirksamen kulturellen Anlässe, sei es der Chor oder die Mittagsveranstaltungen. Diese Ideen haben andere Gymnasien teilweise von uns übernommen. Und natürlich das Selbstlernsemester (SLS). 

J.H.: Auch beim Thema Prüfungskultur, die ja immer auch Auswirkungen auf den Unterricht hat, sind wir auf einem guten Weg. Wir stellen uns die Frage, wie Lernen wirklich funktioniert und was unsere Schüler:innen aus ihrer Schulzeit mitnehmen sollen. Die Jugendlichen arbeiten bei uns mit den Lehrpersonen auf gleicher Ebene zusammen und sollen sich vermehrt Gedanken über das selbstständige Lernen mithilfe der digitalen Medien machen. Bei dieser Vision sind wir auf gutem Wege. 

A.B.: Die physische und psychische Gesundheit ist uns ebenfalls sehr wichtig. Dass wir eine Psychologin vor Ort haben ist nicht selbstverständlich. Uns haben schon Eltern angesprochen, die davon begeistert waren. Die Lernbegleitung, bei der es darum geht, die Lernbelastung zu reduzieren, ist ein weiteres Beispiel. Im Austausch mit anderen Schulen wird deutlich, dass diese Dinge nicht selbstverständlich sind. 

Wie wirkt sich eure neue Aufgabe auf euer Privatleben aus? 

J.H.: Interessanterweise habe ich das Gefühl, dass ich früher als Lehrperson öfter noch Arbeit mit nach Hause genommen habe. Als ich vor zwei Jahren die Leitung der FMS übernommen hatte, hat mich das sehr überrascht. Als Lehrperson hast du jeden Tag einen Auftritt und musst liefern. Das ist in der Schulleitung anders, auch wenn der Job sehr zeitintensiv ist. Der Unterschied ist, dass ich jetzt den ganzen Tag mit Leuten zu tun habe, die etwas von mir wollen. Deshalb verspüre ich mittlerweile abends eher die Lust, in Ruhe etwas für mich zu machen. Der Wunsch, abends noch einmal rauszugehen, ist kleiner geworden.

A.B.: Das ist für mich definitiv die grösste Herausforderung und ich weiss auch noch nicht genau, wie ich diesen Spagat hinkriegen soll. Als Lehrperson ist man unglaublich flexibel, gerade auch wenn man Familie und Kinder hat. Aber gestern Abend kam ich gegen Mitternacht nach Hause und musste heute bereits um 6.50h wieder los. Als ich meinem Sohn kurz auf Wiedersehen sagte, meinte er: «Gehst du schon wieder?». Das schmerzt mich. Es muss mir noch besser gelingen, in der Zeit, in der ich zuhause bin, wirklich für meine Familie da zu sein und nicht beispielsweise nebenher noch Mails zu beantworten. 

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