Die Wiese des Gym Muttenz ist ein Stück Heimat

Es ist ein Heimspiel für Martin R. Dean, als er am Dienstag, 12.11., ans Gymnasium Muttenz zurückkehrt, um seinen neuen Roman „Tabak und Schokolade“ vorzustellen. Während fast 20 Jahren hat Martin R. Dean Kolleg:innen aus der Schweizer Literaturlandschaft bei uns an Mittagsveranstaltungen vorgestellt. Nun haben das Schüler:innen aus den Klassen 2 B, 2 WA und 4 E übernommen. (Bilder: Daniel Nussbaumer, Text: Ann Hunziker, Sophia Reichel und Flavia Manella)

Es sei schön, nach seiner Pensionierung wieder hier zu sein. In seiner humorvollen Art erläutert er, dass er noch einigermaßen aufrecht gehen könne, den Rollator draussen stehen habe und sein Haar nach wie vor strubbelig sei. Die Lacher der etwa 140 Schüler:innen hat er damit auf sicher.

Doch dann geht es um seinen autofiktionalen Roman, der für den Schweizer Literaturpreis 2024 nominiert ist. Martin R. Dean liest uns den Anfang des Romans vor. Es ist eine traurige Stelle, in der erläutert, warum seine Mutter seinen biologischen Vater verlassen muss, nämlich aus Angst, noch mehr Gewalt erleben zu müssen,  auch dem damals wenige Monate alten, gemeinsamen Sohn Martin gegenüber. Der Grundton des Romans ist damit vorgegeben.

Der Schreibanlass dieses Romans ist der Lebenslauf der Mutter, der an ihrer Beerdigung vorgelesen wird. In diesem Lebensrückblick fehlen fünf Jahre. Fünf tabuisierte Jahre, in denen sie in Trinidad Tobago mit ihrem kleinen Sohn lebte und die sie an ihrem 80. Geburtstag als die glücklichste Zeit ihres Lebens bezeichnet. Statt eine Betonvilla erbt Martin R. Dean ein Fotoalbum mit bisher unbekannten Fotos aus den Tropen. Für einen, der gerne Geschichten erzählt und Geschichten hört, ist das der Moment, in dem er sich auf die Suche nach seinen Wurzeln macht.

Martin R. Dean kommt in Menziken als Sohn einer Schweizerin auf die Welt, die sich lebenslustig und voller Abenteuerlust in London in einen Mann aus Trinidad Tobago verliebt, mit ihrem gemeinsamen Sohn nach Trinidad reist, sich trennt und nach ein paar Jahren mit ihrem Sohn auf der Insel zurück in die Schweiz heimkehrt. Gemeinsam mit einem Stiefvater, der später Dorfarzt wurde und zu dem Martin R. Dean ein Leben lang ein schwieriges Verhältnis hat. Im Roman erzählt er von der Begegnung mit seiner indischstämmigen Familie, seinen Cousins, einer lustigen Tante; er erzählt aber auch von seiner Schweizer Familie, von der geliebten Großmutter Erna Metta, die in den 20er Jahren von Rügen in die Schweiz gekommen war. Und immer wieder erwähnt Martin R. Dean das Gefühl, nicht dazuzugehören, ein Aussenseiter zu sein. Während der Fragerunde erzählt Dean, wie es war, als kleiner Junge in diesem aargauischen Dorf aufzuwachsen. Später lässt er sich die Haare lange wachsen, damit sich das Auffallen im Dorf auf die Haare und nicht auf seine Hautfarbe bezieht.

Ein einschneidendes Erlebnis ist für Martin R. Dean, als er mit 17 nach Paris kommt und eine amerikanische Familie ihn nach dem Weg zum Eiffelturm fragt. Er gehört dazu, wird als Pariser gesehen. Er fällt nicht auf. Ein unglaubliches Gefühl, das auch Jahrzehnte später noch so empfunden wird. Die Suche nach kulturellen Wurzeln, die Recherche würden helfen, sich vollständig werden zu lassen, wenn man sich löchrig fühle – so der Autor. Doch der Roman ist nicht nur eine persönliche Suche, sondern er erläutert in verschiedenen Kapiteln viele historische Bezüge, die Bedeutung Grossbritanniens als Kolonialmacht in Indien und was es hiess, als Kontraktarbeiter in andere Kolonien geschickt zu werden.

Für Schüler:innen im Jahre 2024 ist es nicht ganz einfach, die Ausgrenzung, die Martin R. Dean erlebt hat, nachzuvollziehen – wenn er sagt, dass er und der Wasserkopf des Dorfes beim vorbeiziehenden Zirkus Knie wie ein Weltwunder angeschaut wurden. Er sei so auffällig wie ein Zebra gewesen. Ein Aargauer Dorf in den 60er Jahren sei aber nicht vergleichbar mit der aktuellen multikulturellen Gesellschaft. Heute seien Die Ausgrenzmechanismen anders als damals, meint er.  Er selber sagt, dass Hautfarbe sehr relativ sei. In Schweden werde er als Italiener wahrgenommen, in Deutschland als Türke und in Italien als Marokkaner. Und wenn er auf seine indischen Wurzeln hinweist, sagen die Leute: „Aha ja, das het öppis.“ Aus diesem Grund, sagt Martin R. Dean, sei es furchtbar in Nationen zu denken.

Im letzten Teil der Veranstaltung wird stellen ihm die Schüler:innen Fragen zu seinem Beruf als Autor. Sie sind neugierig darüber, ob sich Dean während seiner Berufstätigkeit mehr als Schriftsteller oder als Lehrer erlebt habe. Martin R. Dean antwortet ganz bestimmt: „Es ist keine Gratwanderung.  Als ich hier an der Schule war, war ich einfach 100% Lehrer, und jetzt bin ich Schriftsteller. Schreiben macht viel einsamer als das Unterrichten.“

Wir danken Martin R. Dean herzlich für seinen Besuch an seiner alten Wirkungsstätte.

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