Wir werden auch den nächsten Hügel meistern

Maturrede 2025 von Anna Konkoly, 4E

Liebe Maturae und Maturi,
Liebe Schulleitung und Lehrpersonen,
Liebe Familien und Anwesende,

Der untergegangene Philosoph Leonardo DiCaprio sagte einst, dass «jede neue Stufe im Leben eine andere Version von einem erfordert». Und auch der heutige Meilenstein – Maturfeier, man kann es kaum glauben! – hat eine Version von uns hervorgebracht, die hoffentlich nicht nur ein paar Jahre älter, sondern auch ein paar Jahre weiser ist. Eine Spezialausgabe, ein Resultat aller vergangener Versionen, die Sie als Familie, Angehörige und Freunde sicherlich noch vor Augen haben.

Sie als Eltern sehen vielleicht noch das kleine Kind, etwa so gross mit Hut, dem man am Fussgängerstreifen die Hand reichen und stundenlang das Schnürsenkelbinden beibringen muss, das von Differentialgleichungen genauso wenig versteht wie von Steuererklärungen.

Ihr als Geschwister seht heute vielleicht diese Leute in den ersten Reihen, so aufgebrezelt und hoch offiziell, und erinnert euch an «Das ist überhaupt nicht fair», «Ich hatte das zuerst» und «Das geh ich Mama sagen». Jemand, mit dem man nicht nur Kuchenstücke auf den Millimeter genau geteilt hat, sondern auch eine Kindheit – meist natürlich mit einer gesunden Portion an Trotz und Neid, denn wie soll man denn wissen, dass 10-Jahre-alt-Sein nicht für immer anhält?

Und ihr, als Abschlussklassen und Stars der Show, schaut nach links und rechts, auf die Mitschüler:innen, die heute neben euch sitzen und für die letzten Jahre neben euch sassen – in Klassenzimmern und Zügen, auf nationalen und internationalen Reisen, in guten und schlechten Zeiten. Vielleicht seht ihr noch die Leute, die damals – vor vier Jahren, sieben Jahren oder sogar schon viel früher – durch die Tür getreten sind, ein paar Pickel reicher und einige Lebenserfahrungen ärmer; so grün hinter den Ohren, dass es fast schon ein Bio-Label verdient hätte. Wie nervös wir waren, die Leute zu treffen, mit denen wir für die nächsten Jahre den Grossteil unserer Zeit verbringen würden, und was ein Glück wir doch hatten, in ein Gebäude voller Fremder zu laufen und es mit einem Haufen Freunde wieder zu verlassen.

Solche, die mit unerschütterlicher Unterstützung bei Fahrprüfungen, ersten Abstimmungen, vier Geburtstagen, bei schmerzenden Herzen und rauchenden Hirne da waren und dafür nichts verlangt haben ausser vielleicht manchmal ein Gipfeli und eine Bio-Zusammenfassung. Damals konnten wir natürlich nicht wissen, dass wir an einen Punkt gelangen würden, wo jeder jedermanns Cousine, Hund und Grossmutter kennt, aber wie schön es doch ist, heute mit dem Wissen aus der Tür zu treten, dass man einen kleinen Platz im Herzen von so vielen Leuten hat – auch wenn wir uns dafür zuerst zwölfmal durch die gleichen Eisbrecher und in einem bemerkenswerten Fall auch durch Feuerspucken kämpfen mussten.

Die Lehrpersonen, an denen es lag, uns stocksteife Eiszapfen ein wenig aufzutauen, haben natürlich ihr Bestes getan, selbst angesichts unseres Jahrgangs, der noch ein bisschen weniger Französisch konnte als der davor und im Home-Schooling fast schon das Konzept von Schule verlernt hat. Wir brillierten an erster Stelle im Sammeln von Absenzen. Dass Sie sich trotzdem mit so viel Geduld und Engagement für uns eingesetzt haben und uns sets in die richtige Richtung gelotst haben, rechnen wir Ihnen hoch an.

Es ist klar, dass wir nicht mehr diejenigen sind, die wir einmal waren: Ob wir Differentialgleichungen verstehen, ist zwar immer noch fragwürdig, aber Fussgängerstreifen und Schnürsenkel meistern wir jetzt ganz allein, fürs Kuchenschneiden brauchen wir noch nicht einmal mehr ein Lineal und das Grün hinter den Ohren haben wir an den Klassenzimmertüren liegen lassen.

Es ist ebenfalls klar, dass wir noch nicht diejenigen sind, die wir einmal sein werden. Obwohl wir wahrscheinlich in Bezug auf Körpergrösse nicht mehr viel Höhenmeter gewinnen werden, bin ich doch überzeugt, dass wir auch in Zukunft jede Chance nutzen werden, um an neuen Herausforderungen zu wachsen. Und wie Frau Jäggi so schön sagte: «Man sieht sich immer zweimal im Leben.» Also wer weiss, wen man in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor dem Bankomaten, an der Lidl-Kasse oder auf Seelensuche in Australien zufällig wiedersehen wird. Das Leben nimmt unvorhersehbare Wendungen und vielleicht sieht man plötzlich ein bekanntes Gesicht als Bundesrat, verheiratet mit fünf Kindern, oder als Nobelpreisträgerin in der Zeitung. Die Möglichkeiten sind endlos, denn um es mit Barbie zu sagen: «You can be anything».

Doch egal wo in der Welt wir auch landen mögen, einige Sachen werden uns wohl noch lange verbinden, wie beispielsweise das Wissen, dass ein funktionierender Beamer zu 90 Prozent von Willenskraft und zu 10 Prozent von Herr Bitterli abhängt, dass ein gelungenes Chemiepraktikum fast schon preiswürdig ist und dass ein Hörverständnis nur dann ein Erfolg wird, wenn man es auch drei Stockwerke weiter unten hört. Wir alle wissen, dass Treppenlaufen eine gelernte Kunst ist, genau wie Schlangestehen im Coop und Formeln in allerletzter Sekunde zu lernen. Wir haben herausgefunden, dass man sich durchaus an die interessante Kombination von grünen und gelben Türen, rotem Boden, blauen Treppen und violettem Geländer gewöhnen kann, erst recht, wenn man das Gebäude sowieso fast schlafend betritt. Die Krähen vor dem Fenster hingegen hört man jeden Tag wie zum ersten Mal.

Aber vor allem verlassen wir diese Schule heute mit der Gewissheit, dass wir auch Hürden meistern können, die zunächst unüberwindbar gewirkt haben, dass Fehler und Misserfolge nicht das Ende der Welt sind und dass sich stetiges Engagement in der Regel auszahlt. Wir haben gelernt, geweint, gelacht und sind über uns hinausgewachsen, haben alle unsere Entscheidungen hinterfragt und kurz darauf voller Überzeugung verteidigt. Wir haben uns selbst gesucht und in manchen Fällen sogar gefunden. Wir haben gelernt, auf uns selbst und auf andere zu zählen, einen Sprung zu wagen und auf unser Umfeld zu vertrauen, wenn wir doch ins Straucheln geraten sind. Es kommt von tiefstem Herzen, wenn ich sage, dass man auf jede Person hier vorne mehr als nur stolz sein kann.

Heute ist ein Tag, um die vergangenen Jahre mit all ihren Höhen und Tiefen zu feiern, und voller Hoffnung in die Zukunft zu schauen; ein Tag, um nicht nur uns selbst zu feiern, sondern auch alle Versionen von uns, die wir in dieser Zeit zurückgelassen haben. Es mag zwar ein Abschluss sein, aber es ist auch ein Anlass, um kurz innezuhalten und auf den Weg zu blicken, den wir bereits zurückgelegt haben: auf die Hügel, die wir überwunden haben, auf die Erfahrungen, die wir gesammelt haben, und auf die Dinge, die wir auf der Reise gewonnen und verloren haben. Eine Chance, den Kopf zu drehen und die Leute wertzuschätzen, die dabei immer hinter uns gestanden sind, auch wenn sie mittlerweile vielleicht ein paar Kilometer entfernt sind und nur noch aus der Ferne winken. Um die Leute neben uns wahrzunehmen, die auch diesen nächsten Schritt mit uns machen und um schliesslich den Blick nach vorne zu richten, mit der Gewissheit, dass wir auch den nächsten Hügel meistern werden.

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