
Wow, krass! Es atmen ja wirklich noch alle! Das muss kurz gefeiert werden! Wuhuu! Wir haben die vier Jahre überlebt! – So, es ist aber auch wieder genug mit der guten Stimmung. Ich habe dringend so ganz ernste Sachen zu bereden…Aber davor stelle ich mich schnell vor: Die letzten vier Jahre verliefen leider nicht ganz so erfolgreich, so dass ich nicht die berühmte Bad Bitch wurde, wie es normalerweise in allen High-School-Serien abläuft und jeder hier meinen Namen kennen müsste. Vielleicht kennt mich aber der eine oder andere als das Mädchen, das ihre Schwester als Schultasche mit in die Schule genommen hat. Auf jeden Fall…Ich bin Vaishnavi Thirupathivasan. Normalerweise würde ich jetzt einen Witz über meine Ethnie droppen, aber am Gymnasium Muttenz hat es einfach zu viele Tamilen.
Von Vaishnavi Thirupathivasan (Fotos: Nu)
Leute, ich mach keine Witze, wenn ich sage, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Tamilen im Schulgang zu treffen, grösser als 1 war. Auch wenn meine Mathelehrerin behauptet, dass p nicht grösser als 1 sein kann… egal, ich schweif wieder ab…also wieder von vorne: Ich bin Vaishnavi und ich bin 20 wie die meisten hier. Wir haben also gerade mal den ersten Schritt aus dem «Teenie-Sein» gemacht und schon schmeissen die uns direkt von der Schule. Leute! Ich habe in den letzten 13 Jahren die Schulfassaden öfters gesehen als die Gesichter meiner Eltern! Google Maps hat mich letztens als erfahrenster Besucher dazu aufgefordert, eine Rezension zum Ort Gymnasium Muttenz zu verfassen… Nun wird uns ein Zeugnis mit 13 Noten, für die wir unseren Arsch 13 Jahren lang aufgerissen haben, in die Hand gedrückt, und «bye bye» gesagt. Versteht mich nicht falsch! Ich bin durchaus bereit diese Freiheit zu geniessen…sie kommt mir einfach nur ein bisschen zu… plötzlich? Es ist ein bisschen wie mit Donald Trump…du bist froh, dass dieser Typ nicht mehr Präsident ist, aber gleichzeitig traurig, dass du nicht mehr jeden Morgen mit den lächerlichsten Nachrichten aufwachen kannst. Daher will ich zum Abschluss eine Dankrede – gerichtet an die Schule – halten.
Schule, ein schei… scheinlich schöner Schauplatz, der schamlos Scheisse verschenkt: z. B. Druck und als Konsequenz Darmprobleme, einen Dachschaden, da dir jegliche dahergelaufene Dämlichkeit reingedrückt wird & darauffolgend Demenz, da gar deine Denkerstirn bei diesem Desaster von detailversessener Denkarbeit doch davonfliegt. Dieser destruktive Dämon namens Schule erwartet daily von dir, dass du zugleich Dichter und Dichtemesser bist, Demograf und Dirigent, Dolmetscher und Diagnostiker, Diskutierer und Diskuswerfer, Destillateur und DNA-Analytiker.
Donnerwetter! Ich hoffe die Deutschlehrer sind nun stolz auf diese hammermässige Alliteration!
Ja, die Schule hat uns vieles geschenkt. Als Erstes natürlich sehr viel Wissen! Wissen, welches ich definitiv benötigen werde, wenn ich mich mal dazu entscheide, meine Zeit in einem Wald zu verbringen, wo ich mich dann frage, welche Gehirnhälfte und Muskeln ich nun brauche, um einen Pfeil zu spannen und kurz vor dem Schuss noch die Wahrscheinlichkeit von einem Treffer berechnen will und beim Braten der Beute natürlich noch wissen will, welche Verbrennungs- und Denaturierungsreaktionen nun ablaufen. Danke Schule! Solch eine Zukunft ist natürlich wahrscheinlicher als eine, in der ich verzweifelt vor einer Steuererklärung sitze, mich frage, was ich nun alles sparen soll, und einen unverständlichen Brief aufmache und meine Deutschkenntnisse hinterfrage.
Wow…vor allem als ich in Geografie einfach Steine auswendig lerne musste, habe ich mein Leben wie noch nie zuvor hinterfragt. Da hätte ich mich sogar als Klima-Kleberin nützlicher gefühlt.
Schule, ein schei… scheinlich schöner Schauplatz, der schamlos Scheisse verschenkt: z.b. die Fähigkeit zum Prokrastinieren. Dieses Schulsystem ist einfach ausgebaut für einen Profi-Prokrastinierer. Die Freizeit geniessen bis zur letzten Minute und dann die Nacht davor, oder noch besser um 5 Uhr morgens am Prüfungstag, noch den ganzen Stoff wie ein wildgewordenes Wildschwein verzweifelt in sich hineinstopfen und schon bist du ready! Du gehst in die Prüfung, kotzt alles aus, was dir hängengeblieben ist und du kommst aus der Prüfung und merkst, dass du aus Versehen dein komplettes Gehirn mit ausgekotzt hast. Leute! Nach einer Prüfung weiss ich nicht mal mehr, für welches Fach ich gelernt habe! Aber man kommt damit wirklich super durchs Schulleben. Ob ich später mal Herzprobleme wegen dem ganzen Stress haben werde, ist natürlich nicht wichtig im Moment. Unser Gehirn ist also super darauf trainiert, sich immens viel Scheisse auf einmal zu merken und wenn die Arbeit erledigt ist, alles wieder die Toilette runterzuspülen. Mein Langzeitgedächtnis liegt schon seit paar Jahren verstaubt in der Ecke.
Schule, ein schei… scheinlich schöner Schauplatz, der schamlos Scheisse verschenkt: Krankheiten. Ja auch richtige Krankheiten wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und mindestens einmal Depressionen allein wegen dem Lockdown schon. Aber ich meine diese extrem wahrheitsgetreu ausgefüllten grünen Absenzenheftlis. Ab dem 18. Lebensjahr hat eh kein Elternteil hier mehr das Heftchen zu Gesicht bekommen. Und wir Schüler sind im Lügen wirklich bombastisch! Der Kevin z.B. leidet schon seit Monaten an Übelkeit, so dass man sich langsam fragen muss, ob er vielleicht schwanger ist. Und die Jasmin hat jede zweite Woche ihre Menstruation. Irgendwann ist man sogar zu müde, um Lügen zu erfinden, und es steht nur noch: «Es ging mir nicht gut, es ging mir nicht gut» aka: Liebe Lehrer, denken Sie sich selber eine plausible Krankheit aus. Würde man unsere Heftchen zum Arzt bringen, müssten wir locker alle auf die Intensivstation! Aber eigentlich gehören wir mit unseren immensen Rückenschmerzen, in dem jungen Alter, eh schon längst dorthin.
Ja, es war nicht immer einfach. Aber wir haben es geschafft. Wir haben es geschafft an einem Donnerstagmorgen von 10 – 11 Uhr zitternd auf das nicht klingelnde Handy zu starren. Wir haben es geschafft hier zu sein und den Abschluss in der Hand zu halten. Und naja… vielleicht hat die Schule nicht nur schamlos Scheisse verschenkt, sondern auch Schönes: Eine coole Zeit mit Freunden, viele schöne Erinnerungen, die bis zum Lebensende bleiben, und eine Umgebung, in der wir einfach Schüler sein durften mit Sorgen nur um Noten und die nächste Franzstunde. 13 Jahre lang war das hier unser zweites Zuhause und nun verlassen wir es durch die Haustür. Da draussen erwartet uns eine noch unbekannte Welt. Aber jetzt ist noch die Zeit, an die alte Welt zu denken, sich zu bedanken und lachend und weinend sich zu verabschieden.

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