Wir machen uns auf den Weg

Frühmorgens am Bahnhof

Unser Zug fuhr um 08:28 Uhr vom Bahnhof SBB los. Als der Zug eine Viertelstunde früher am Gleis ankam, waren die meisten schon da. Schnell hatte jemand entdeckt, welche Waggons für uns reserviert waren. Begrüssungen auf dem Perron. Gedränge beim Einsteigen. Gepäck, das in die Ablagen gewuchtet wurde. Wer sitzt mit wem in welchem Viererabteil? Magst du ein Gipfeli? Viele hatten sich einen Kaffee geholt. Wir werden wohl die drei Tage?

Wahrscheinlich geht es unseren Schüler*innen genauso, wenn sie morgens zum Beispiel in Möhlin auf den Zug gehen. Sie freuen sich, ihre Kolleg*innen zu treffen, tauschen wichtige Informationen für den bevorstehenden Schultag aus und wissen nicht genau, was auf sie zukommt. Wie war dein Wochenende? Hast du den Fussball-Match gewonnen? Hat du Geo verstanden? Gibt es einen unangekündigten Voki-Test in Franzi?

Seit der Coronazeit haben wir im Kollegium immer wieder darüber diskutiert, wie oft Lernende an Prüfungen fehlen. Ein Teil dieser Absenzen hat sicher auch damit zu tun, dass Prüfungen Stress auslösen. Schon an der letztjährigen SCHIWE haben wir uns mit dem Thema „psychische Gesundheit“ beschäftigt und darüber diskutiert, wie wir mit den Belastungen unserer Lernenden am besten umgehen.

Vielleicht sitzt eine unserer Schülerinnen oder einer unserer Schüler immer wieder im Zug, der von Möhlin nach Muttenz fährt, und hat ein ungutes Gefühl: Habe ich genug gelernt? Weiss ich noch, was ich gestern Abend um 23:30 Uhr durchgelesen habe? Was hat die Klasse in den Lektionen behandelt, als ich krank war? Ist das prüfungsrelevant? Unser Beitrag zur Gesundheit war eines der Themen, die wir auf dem Weg nach Flüeli-Ranft im Gepäck hatten.

Der Blick zurück

Als wir in Sachseln ankamen, war es ziemlich kalt. Drei Busse sollten uns den Berg hinauf nach Flüeli-Ranft bringen. Während wir unten am Bahnhof auf die Busse warteten, begann es zu schneien. Als wir dann in dem wunderschönen Jugendstilhotel ankamen, konnten wir aus den Fenstern oder von den Balkonen unserer Zimmer die weissen Berge und Hügel ringsherum sehen. Über dem Tal hing eine dicke Wolkendecke.

Der erste Programmpunkt fand im historischen Saal statt. Konventsvorstand Alexander Bieger und Chemie-Lehrer Arno Reichert referierten darüber, wie unsere aktuelle Prüfungskultur aussieht. Sie stellten uns dazu Reglemente und Ergebnisse von Umfragen bei uns Lehrpersonen und den Lernenden vor. Die Beschreibung des Ist-Zustandes war komplex, aber vielleicht lassen sich die wichtigsten Erkenntnisse so zusammenfassen:

  • Die schriftliche Prüfung am Ende einer Unterrichtseinheit dominiert unsere Notengebung. Summatives Prüfen kann Sicherheit geben, schliesst aber anderes aus.
  • Für ungefähr ein Viertel unserer Lernenden ist unsere aktuelle Prüfungspraxis ein Auslöser von Stress. Das mag auch mit der Frage nach dem Sinn zusammenhängen, liegt aber sicher auch an der Prüfungsdichte im Schulalltag.
  • Nicht alle unsere Prüfungen sind wirklich nachhaltig, also das Gelernte und an der Prüfung Reproduzierte ändert das Wissen und Denken der Lernenden nicht dauerhaft.

Dass wir als Schule nachhaltig sind, hat unsere Baumpflanz-Aktion im vergangenen November gezeigt. Wir haben einen Wald gepflanzt und damit auf die rasante Veränderung des Klimas aufmerksam gemacht. Beim Lernen und Prüfen Bäume zu pflanzen hiesse, weniger auf auswendig gelernten Stoff zu setzen, dafür mehr auf vertiefendes Bearbeiten eines Themas, auf kleinere Lern- und Bewertungsschritte und selbstständiges Denken.

Eine Suppe für den Weg

Wie wir nachhaltiger prüfen können, hat uns Dominik Petko am Dienstagmorgen erläutert. Er lehrt an der Universität Zürich Allgemeine Didaktik und Mediendidaktik und plädiert grundsätzlich dafür, Lernprozesse an Gymnasien zu verändern. Der Ausgangspunkt dafür ist die enge Verknüpfung von Prüfen und Unterrichten.Wenn wir anders prüfen, zum Beispiel weniger summativ, dann ändert sich auch unser Unterricht. Petko verwendet dafür den Begriff «Backwash-Effekt».

Das Thema von Dominik Petkos Vortrag ist so alt wie die Pädagogik selbst: Wie können wir Lernende dazu bringen, dass sie etwas selbst wissen und können wollen, ohne dass wir sie dazu zwingen? Etwas moderner gesagt hiesse das: Wie können wir unseren Unterricht so gestalten, dass Lernende Mastery Goals erreichen wollen? Die zentralen, aber stark verkürzten Aussagen des Vortrags waren:

«Macht euch als Schule auf den Weg zu zeitgemässem Prüfen. Achtet beim Unterricht darauf, dass die Lernenden geistig wachsen (können). Denkt daran, dass Lernen immer eine Ko-Produktion ist von Lehrenden und Lernenden. Werdet bunter in euren Prüfungsformen. Lasst eure Schüler*innen mit mehr Ruhe vertiefter an komplexen Aufgabenstellungen lernen. Nutzt dafür zeitgemässe Programme wie ChatGPT klug und umsichtig.»

Nach dem Vortrag tauschten sich die Klassenteams der ersten und zweiten Klassen darüber aus, wie sie das, was wir als Ist-Zustand festgestellt haben, verbessern und die Anregungen aus dem Vortrag umsetzen können. Durch die Koordination von Prüfungen in den Klassenteams liesse sich ein wesentlicher Kritikpunkt an unserer aktuellen Prüfungskultur leichter beheben, nämlich zu dichte Prüfungsphasen.

Der Vortrag von Dominik Petko war wie ein Bio-Markt, auf dem man an allerhand Ständen gesunde, regionale Produkte kaufen kann. Wir gehen auf diesen Markt mit der Idee, dass wir eine Kartoffelsuppe kochen möchten. Während wir über den Markt schlendern, finden wir weitere Zutaten, an die wir bisher gar nicht gedacht haben, die diese Suppe aber bunt machen: Chili, Petersilie oder Ingwer. So entsteht schrittweise Neues.

Das Bad in der Sonne

Doch wenn man etwas Neues ausprobiert, entstehen Unsicherheiten, und daraus erwächst das Bedürfnis, dass man sich an etwas festhalten kann. Darum ging es am Mittwoch. Der Tag begann damit, dass Daniel Nussbaumer das Kollegium auf einem grossformatigen Gruppen-Foto festgehalten hat. Damit sind die vielen neuen Lehrpersonen, die an dieser SCHIWE dabei waren, mit und in unserem Kollegium aufgenommen worden.

Wir haben im Verlauf dieser drei Tage auch festgestellt, dass wir an Dingen festhalten möchten, die sich bewährt haben. Vor allem aber haben wir die vielen kreativen Ideen festgehalten, die am Vortag vielleicht noch unbestimmt, flüchtig oder nicht ganz durchdacht waren. Am Ende dieses Mittwochvormittags hatten wir in unserem OneNote eine riesige Liste von spannenden, vertiefenden, interdisziplinären ­ bunten Prüfungsformen.

Nach getaner Arbeit konnten wir den Arbeitsteil dieser schulinternen Weiterbildung auf der Terrasse des Seminarhotels Paxmontana abschliessen. Der Himmel war blau, die Sonne schien, und in den vielen Gesprächen bei Tee oder Kaffee ging es um die Zukunft: die anstehende Rückfahrt, die Freude auf die Familie zu Hause, die geplanten Ferien, die zu korrigierenden Prüfungen, hie und da aber auch um bunte neue Ideen für die Klassen.

Credits: Die Metapher vom Markt stammt von Alexander Bieger.

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