Kleines Foyer, grosse Bühne

Es ist Mittwochvormittag, 13. Dezember 2023. Die Klasse 2IS führt das Stück ‘Antigone oder so’ auf. Nach zweimonatiger Probezeit im Deutschunterricht ist endlich die Première. Unser Theaterleiter, Aurel von Arx, hat das Stück von Thomas Sturmfels mit uns einstudiert. Zahlreiche bekannte und unbekannte Gesichter sind ins kleine Foyer des Gym Muttenz geströmt. Manche schauen neugierig auf das Bühnenbild: Ein paar Sandsäcke, zwei Leitern, ein paar Spraydosen und Stühle. Laute Musik erfüllt den Raum. Andere Schüler:innen unterhalten sich mit Freunden. Grundsätzlich weiss niemand, was nun auf sie zukommen wird. Alle haben Platz genommen, das Licht geht aus. Finsternis. Ich schalte die Kamera an. Ich spürte die Aufregung von meinen Klassenkamerad:innen. Ich selbst bin auch aufgeregt.

Das Stück beginnt. Aglaia erzählt irgendetwas auf Griechisch. Susi schaut sie verwundert an. Sie ist nicht die Einzige. Alle horchen auf. Kassandra erscheint und fängt an zu diskutieren, sie könne die Rollen viel besser spielen. Katharina versucht die Situation zu beruhigen. Ein wahrer Tumult. Die Inszenierung zeigt eine Klasse, welche das Antigone-Stück proben möchte, kaum etwas funktioniert, nicht mal die Rollen sind verteilt – und Susi versteht nicht nur kein Griechisch, auch Antigones Familiengeschichte ist ihr ein Rätsel. Um das Ganze aufzulösen, will Katharina eine Familienaufstellung machen. Somit soll Susi und dem Publikum Einiges verständlicher werden. Eine ältere Dame aus dem Publikum nickt zustimmend.

„Antigone“ ist ein antikes Drama von Sophokles. Im Drama geht es darum, dass auf der Familie von Antigone ein Fluch liegt. Dieser wurde von den schlechten Taten von Ödipus, ihrem Vater, verursacht. Nach dem Tod von Ödipus wird entschieden, dass Antigones Brüder Eteokles und Polyneikes in Theben abwechselnd herrschen sollen. Nach einem Jahr gibt Eteokles den Thron nicht frei. Polyneikes greift Theben an und die Brüder töten sich gegenseitig im Kampf. Kreon, der neue König und Onkel von Antigone, verbietet die Bestattung von Polyneikes. Dieser ist in seinen Augen ein Verräter. Antigone möchte das göttliche Gesetz befolgen und entschliesst sich, den Bruder trotz des Verbotes zu bestatten. Kreon findet dies heraus und bestraft Antigone.

In der nächsten Szene lernen wir die probende Klasse besser kennen. Sie zeigen, welche Rolle sie im Stück haben – oder haben wollen. Chantal hat grundsätzlich keine Lust, irgendeine Rolle zu übernehmen, Aglaia ist von allem total begeistert, während Tom vor sich hindöst. Katharina rennt Susi hinterher und will ihr alles erklären. Eine typische Klasse, kennen wir doch alle.

Ein weiterer Charakter kommt auf die Bühne. Jedes gute Theaterstück braucht eine*n Leiter*in. Das ist Tippi. Gestresst wirft sie ihren Mantel auf den Boden. Sie schaut hilflos herum, merkt, dass ihre Theatergruppe ohne sie in den Proben noch nicht vorwärtsgekommen ist. Ab jetzt müssen sich alle konzentrieren. Das ist nicht ganz einfach, denn schon wieder kommt jemand Neues auf die Bühne. Emily und ihr Cousin Mario. Das Publikum erkennt sofort, wie Mario den Rest der Charaktere aufregt. Tippis Handy klingelt. Zum ersten und zum zweiten Mal. Die Ton- und der Lichttechniker schauen sich grinsend an. Perfektes Timing. Tippi wird am Telefon mitgeteilt, dass eine weitere Person erscheinen wird. Es ist Max. Ein hoffnungsloser Fall, der Sozialstunden leisten muss.

Die Klasse fährt fort, „Antigone“ zu proben. Ein Stück im Stück. Die Rollen werden ständig gewechselt. Um es den Zuschauenden leichter zu machen, hat jede Rolle aus „Antigone“ ein eigenes Kostüm.

„Antigone- oder so“ ist ein fesselndes Stück. Es lässt einen kaum ausatmen, und ständig gibt es Rollen- und Szenenwechsel.Die Witze im Stück kommen gut an. „Aglaias zwei gute Argumente“, so wie Mario sie nennt, lösen Gelächter unter den männlichen Zuschauern aus.

Während der inszenierten Szenen gibt es mehrmals Streit auf der Bühne. Aglaia will die Gewaltherrschaft von Kreon nicht so darstellen wie Tippi. Kassandra möchte am liebsten alle Rollen selbst übernehmen. Chantal will gar nicht spielen und Emily will höchstens eine stumme Rolle. Tippi versucht alle zu motivieren und miteinzubeziehen.

Schlussendlich zerfällt alles. Die Klasse hat Streit, Antigone ist gestorben, auch ihr Verlobter Haimon ist tot. Kreon ist ein gebrochener Herrscher. Die Hintergrundmusik verrät, die Proben sind vorbei, das Licht geht an. Die Klasse versorgt ihre Requisiten und will gehen. Aus dem Publikum hört man das Rascheln von Schultaschen und Jacken. Doch jetzt spricht Emily, gefühlt zum ersten Mal im Stück. Sie zieht die Blicke auf sich wie ein Magnet. Sie kritisiert ihre Klassenkamerad:innen. Sie ist der Meinung, dass das Verhalten ihrer Kameraden total unpassend ist. Chantal ziehe alle runter mit ihrer schlechten Laune, Susi stelle zu viele Fragen, Kassandra denke, sie sei die Einzige auf der Bühne. Jetzt solle man sich endlich mal zusammenreissen. Alle nicken verstohlen. „Nomol vo vorne! Tippi, du gisch ’s Zeiche.“

Und schon sind wir wieder am Anfang. Viele fragen sich, was nun kommt. Aglaia und Susi ziehen ihre Antigone-Kostüme an. Sie setzen sich hin, wie am Anfang des Stücks. Das Licht geht aus. Im Raum ist es dunkel. Die Zuschauer schauen herum. Der Scheinwerfer scheint auf Aglaia und Susi. Griechisch. Und schon wieder dieselbe Frage: „Was bedüttet das?“

Wir danken der Brocki auf dem Wolf für die Kostüme, die wir für die Vorführung ausleihen durften.

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