Shakespeare in der Badewanne

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«Ein Sommernachtstraum», im 16. Jahrhundert von Shakespeare geschrieben. Das ist doch einfach nur ein alter Klassiker, den jeder kennt. Der hat doch nichts mit dem 21. Jahrhundert zu tun. Oder etwa doch? Der Freifachkurs Theater des Gymnasiums Muttenz zeigte unmittelbar vor dem Lockdown infolge der Corona-Epidemie unter der Leitung von Aurel von Arx mit Badewanne, Glitzeranzug und vierfacher Besetzung, wie sich dieser Klassiker durch ein weiteres A vom alten Traum zum modernen Trauma verwandelt.  

Von Lisa Güetli (Fotos: Daniel Nussbaumer)

Die Scheinwerfer gehen an. In der Mitte der Aula auf einem Podest eine alte Badewanne. In der Badewanne ein Mann mit Perücke und Mantel. Um die Badewanne Mädchen und Jungen unruhig schlafend. Einige sind gleich gekleidet. Sie rufen und winseln immer wieder die gleichen Namen: Hermia, Helena, Demetrius, Lysander. Aus der nun grün beleuchteten Badewanne steigt Dampf empor, als wäre sie ein riesiger Hexenkessel. Plötzlich klingt aus den Lautsprechern das Kitschlied «Ti amo» von Umberto Tozzi und der Mann in der Mitte steht auf und schmettert mit voller Kehle diesen deutsch-italienischen Schlager. In diesem Moment wird mir bewusst, dass das nicht der«Sommernachtstraum» von William Shakespeare ist, sondern das «SommernachtstraumA» des Theaterkurses. 

Shakespeares Traum 

Die Liebe ist das zentrale Thema der Komödie «Ein Sommernachtstraum» von William Shakespeare. Lysander und Demetrius lieben Hermia, doch Helena liebt Demetrius. Jeder weiss, das kann nicht gut gehen. Der Streit um die Liebe zwischen dem Elfenkönig Oberon und der eifersüchtigen Elfenkönigin Titania gerät zur selben Zeit aus den Fugen. Und gleichzeitig finden auch noch Proben von Handwerkern für ein Theaterstück für die Hochzeit des Herrscherpaares Theseus und Hippolyta in Athen statt. Diese Komödie beginnt also schon mit grossem Chaos. Doch anstatt dieses zu beseitigen, gelingt es dem kleinen Puck, mit einem Saft der Zauberblumen noch mehr Chaos zu stiften. Dieser Saft lässt denjenigen, der ihn im Schlaf auf die Augen bekommt, das lieben, was er zuerst zu sehen bekommt. So liebt Titania einen Handwerker, der in einen Esel verwandelt ist. Lysander und Demetrius lieben Helena und verstossen nun Hermia. Das Chaos ist komplett und eskaliert fast in einem Blutbad. Als schier alles verloren scheint, gibt es dann doch noch ein Happy-End. Puck und Oberon verteilen das Gegengift. Alle Paare finden zueinander, niemand bleibt alleine und das Schauspiel für die Hochzeit kann doch noch stattfinden. Der Klassiker zeigt die Facetten und vor allem die Macht der Liebe mit viel Wortwitz und Humor. 

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Das Trauma beginnt 

Doch das ist nicht die Version, die Aurel von Arx, der Regisseur und Kursleiter, für seinen Kurs arrangiert hat. In seiner modernen Inszenierung wird der Traum zu einem Liebes-Trauma. Die Rollen der Handwerker sind gestrichen und auch die Hochzeit und das Theaterstück haben keinen Platz bekommen. Der Regisseur nimmt die Liebe zwischen den Jugendlichen in den Blick und gibt diesem Thema viel Raum zur Entfaltung. 

Das Publikum sitzt dabei nicht wie bei einer normalen Theateraufführung auf einer Seite, sondern auf zwei gegenüberliegenden Seiten. Das Bühnenbild ist sehr schlicht gehalten. Alle Elemente stellen Symbole dar. In der Mitte der Bühne steht auf einem Podest eine alte Badewanne. Sie ist der Anfang des Traums, der zu einem Trauma wird. Die Badewanne ist Dreh- und Angelpunkt der ganzen Inszenierung. Durch Nebel- und Lichteffekte geht von ihr etwas Mystisches und Anziehendes aus. In den darum liegenden Ecken sind kleine symbolische Elemente der Protagonisten aufgestellt. So schläft der einfache und bescheidenen Lysander auf einem Teppich. Gegenüber lässt der von sich überzeugte Demetrius immer wieder seine Muskeln spielen, während er auf Gymnastikmatten trainiert. Die schöne Helena schaut in einen Spiegel und kämmt sich, und die wohlbehütete Hermia sitzt immerzu unter den Sonnenschirmen. 

Nun kommen die Darsteller auf die Bühne. Die Rollen der Dramenfiguren sind alle vierfach besetzt. So gehen die verzweifelten Liebesdialoge immer zwischen den Figuren hin und her oder vervierfachen sich gar. Die Wirkung der Verwirrung, die die Jugendliebe mit sich bringt, wird so unterstrichen. Diese Verwirrung führt noch weiter, indem alte Klischees über Bord geworfen werden. Das Geschlecht spielt keine Rolle mehr, denn schliesslich leben wir im 21. Jahrhundert. So wird der doch so männliche Demetrius von vier starken Frauen mit Hosenträgern und Adiletten verkörpert und die doch so zierliche und wunderschöne Helena mit ihren schönen langen Haaren unter anderem von einem Mann im blauen Kleid gespielt. Er spricht immer über sein weibliches Dasein, was dem Publikum einige Lacher entlockt. Andere Lacher gehen auf das Konto des Drolls Puck. Puck wirkt in seinem auffälligen Glitzeranzug sehr tollpatschig und naiv, er fühlt sich selbst aber wie Superman. Er ist vor allem für das Versprühen des Liebessafts zuständig. Dies tut er mit seiner Pistole, die bei jedem Aufsaugen durch den Soundeffekt des Schlürfens zum Running Gag wird. Gegen Schluss verwandelt er sich jedoch in eine dunkle Figur, die bewaffnet aus einem Videogame entsprungen scheint, und zeigt dadurch die zerstörerische Macht des Liebeszaubers. 

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«Ti amo» 

Das Schauspiel wird immer wieder durch Livemusik der Schüler unterstützt. Die Anfangsszene beginnt bereits mit dem Schlager «Ti amo». Das irritiert zuerst, aber nach genauem Hinhören taucht der Zusammenhang langsam aus dem trüben Badewasser auf. Bereits in diesem Opening-Lied ist fast die ganze dramatische Geschichte der Liebe, die in Shakespeares Sommernachtstraum vorkommt, verpackt. Unter anderem erklingen noch am Klavier der Anfang der verträumte Mondscheinsonate von Beethoven oder ein absoluter Schlagerklassiker «Marmorstein und Eisen bricht», der mit einem breiten Lächeln und gekonntem Zwinkern endet. 

Happy End oder doch Blutbad? 

Aurel von Arx gelingt es mit viel Humor und Mut, die Turbulenzen der Liebe in seinem Schauspiel in Szene zu setzen. Das Theaterstück ist gespickt mit vielen kitschigen, aber auch dramatischen Momenten, wie der Eskalation der Situation im grossen Gezanke, das durch die vielen Schauspieler und schnell aufeinanderfolgenden Texte packend ist. 

Am Ende wird alles gut. Doch Moment, wird denn wirklich alles gut? Es handelt sich ja schliesslich um ein SommernachtstraumA und Traumas haben kein Happy End. Beginnt nicht durch Pucks und Oberons Versprühung des Gegengifts auf alle sich Liebenden das Blutbad von neuem? Das wird wohl nur die Badewanne, der Anfang des Traumas, wissen.