Die Abendsonne leuchtet durch das grosse Fenster über dem Chor. Unter einer Glasfensterzeichnung der Elisabethenkirche hängt Jesus am Kreuz, tot. Als wären die beiden Figuren auf der Bühne Jesu Abbilder, sitzt ein Skelett aus dem Biologiezimmer am Kopf der langen Festtafel und liegt ein weiss geflügelter Engel mit dem Kopf auf dem Tisch. Scheinbar schläft er seinen Rausch von dem Fest aus, dessen Spuren überall auf der langen Tafel verteilt liegen.
Zu Beginn des Stückes wandelt eine höfisch gekleidete Festgesellschaft entrückt durch den Raum, als wäre sie nicht aus unserer Zeit. Die Figuren sind dem Basler Totentanz aus der Barfüsserkirche entlehnt. Es ist eine alte, zünftische Gesellschaft. Sie, die nachher von dem wieder nüchternen Engel in Weiss und drei ebenfalls weissen Todesboten umgarnt werden, verlassen mit dem einsetzenden Donner des Kammerorchesters die Bühne fluchtartig, hektisch, laut.
Das Ensemble bespielt den gesamten Innenraum, so dass Musik und Stimmen ständig aus einem anderen Bereich der Kirche den Raum erfüllen. Als der Chor das erste Mal auftritt, singt er von der Empore herab, zuerst gedehnt, dann eng beisammen stehend. Der Kammerchor des Gymnasiums singt vom Chor der Kirche heraus in das Hauptschiff. Auch die Bläser des Kammerorchesters beginnen dort oben auf der Empore und kommen dann im Verlauf des Stückes in die Mitte der Kirche herab an die Tafel.
Diese lange Tafel wird immer mehr zum Zentrum der Aufführung. Während die in weiss gekleideten Boten des Todes zu Beginn von der Orgelempore herab das Ganze beobachten, kommen sie immer näher in die Mitte. Dort kommen sie in der Mitte des Stückes mit der Gruppe der Lebenden zusammen, die wie die anderen Figurengruppen von den Lernenden der IBK-Klasse und der Gymklasse 2Ea gemeinsam gespielt werden. Diese Szene stellt den Mittelpunkt des Stückes dar.
In einem ergreifenden schauspielerischen Dialog werden die Lebenden in Schwarz von den Todesboten in Weiss zuerst wie mit Pesthauch hartnäckig umgeatmet und müssen dann dramatisch um ihr Leben tanzen, in dem sie zum ein- und aussetzenden Orchester „Reise nach Jerusalem“ spielen. Diejenigen die ausscheiden, werden an den Bühnenrand gelegt, bis am Ende dieser Szene der geflügelte Bote lauthals über die „Leichen“ hinweg rufen kann: „J’existe!“ Dieses „J’existe!“ wird gesteigert durch den furiosen Tanz eines Schülers der IBK-Klasse, der sein Gesicht unter einer Todesmaske verbirgt und mit seinen Tanzschritten und seinem Trampeln die ganze Bedrohlichkeit des Todes akustisch mitten im Kirchenraum heraufbeschwört.
Dass sie existieren, der Tod, aber auch die Liebe, zeigt sich auf verschiedenen Ebenen. Immer wieder werden musikalische Motive wiederholt: „L’amour est plus que la mort.“ Die Auftritte der Figuren sind streng symmetrisch komponiert, so zieht der Chor wie eine Trauergesellschaft bei einem verregneten Begräbnis mit Schirmen ein und aus. Nicht zuletzt sind die Figuren antithetisch gestaltet. Die Inszenierung nimmt so eine der zentralen barocken Stilfiguren auf und macht den Tod weiss und die Lebenden schwarz.
Die Musik, hervorragend dargebracht von den Profis des Kammerorchesters Basel, ist ebenso von ihrer Entstehungszeit beeinflusst und hochexpressiv: Laute Trommeln markieren die Donnerschläge, die Angst vor dem Tod treibt zu Beginn des Stückes die Gäste des Festbanketts mit hektischen Streichern von der Bühne. Die Bläser begleiten das musikalische Leitmotiv und klingen wie Begräbnismusik.
Nach der Aufführung feiern die jugendlichen Schauspielerinnen und Schauspieler ausgiebig hinter der Kirche: vollkommen zu Recht. Die Aufführung war perfekt inszeniert. Die Regisseurin Salomé im Hof und die Projektleitung haben es vermocht, die verschiedensten Akteure (Chor und Kammerchor sowie die Klasse 2Ea des Gymnasiums Muttenz, die Integrationsklasse aus Basel, die Profis vom Kammerorchester Basel und die Solisten) so aufeinander abzustimmen, dass die einzelnen Rädchen der Inszenierung perfekt ineinandergreifen und das Publikum ergreifen.
Der Vorabbericht der BZ zum Projekt ist hier nachzulesen. In ihm kommt unser Engel zu Wort. Die Kritik der BaZ finden Sie im folgenden PDF unten auf der Seite:
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