Und täglich grüsst das Murmeltier

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von Yvonne Spaar

Gemütlich sitzt man mit einem neuen Buch auf dem Sofa, die Tasse Kaffee auf dem Tisch neben sich. Man beginnt zu lesen, doch nach geraumer Zeit überkommt einen das Gefühl, dass man die Geschichte bereits kennt. Nach der Theorie, welche Christopher Booker in seinem Buch „The Seven Basic Plots: Why We Tell Stories“ aufstellt, ist das gar nicht so unwahrscheinlich. Denn nach dieser gibt es nur sieben Handlungsmuster, welche allen Geschichten zu Grunde liegen. Somit wiederholt sich das, was wir lesen, unendlich.

Das Monster besiegen: Die Welt wird bedroht! Ein Monster oder eine andere böse Existenz will die Welt zerstören. Der Held wird sich dieser Bedrohung bewusst und stellt sich dem Monster. Natürlich muss er es auch besiegen, denn nur so kann die Welt gerettet werden. Als Lohn erwartet ihn Reichtum oder er wird gar zum neuen König gekrönt. Eines der bekanntesten Beispiele für diesen Handlungsverlauf ist das frühmittelalterliche Heldenepos „Beowulf“. Auch in der modernen Literatur ist das Motiv verbreitet wie die „James Bond“-Romane von Ian Fleming und die „Harry Potter“-Reihe von J. K. Rowling zeigen.

Vom Tellerwäscher zum Millionär: Dieser Erzählstrang ist auch immer wieder in Hollywood-Filme zu bestaunen. Ein armer und unscheinbarer Protagonist, der zu Beginn noch als unterlegen daherkommt, entwickelt sich im Laufe eines Abenteuers weiter. Es kommt zu einer Transformation und der Protagonist kann dann sein wahres Ich nach aussen tragen. Sein Schicksal wandelt sich zum Positiven, er gewinnt an Reichtum und seinem neuen, besseren Leben steht nichts mehr im Weg. Hans Christian Andersens Märchen „Das missratene Entchen“ ist ein Beispiel dafür. Aber nicht nur in der Märchenwelt ist dieses Schema zu finden, sondern auch in Winston Grooms „Forrest Gump“ oder in „Great Expectations“ von Charles Dickens.

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Die Suche und Erfüllung einer Mission: In einem bestimmten Zeitraum muss eine Protagonistin ein Ziel erfüllen oder ein bestimmtes Objekt finden, um die Welt vor der Zerstörung zu bewahren. Sie begibt sich auf die Reise und unterwegs kommt es zu allerlei Problemen, Versuchungen und Herausforderungen, die gemeistert werden wollen. Ein klassisches Beispiel ist „Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien. Auch „Children of Blood and Bone“ von Tomi Adeyemi oder „Six of Crows” von Leigh Bardugo behandeln dieses Thema. Dieses Handlungsmuster ist sehr verbreitet in der Fantasy-Literatur.

Reise und Rückkehr: Die Protagonistin reist in eine fremde, unbekannte und realitätsferne Welt. Sie entdeckt diese Welt, doch irgendwann bekommt sie das Gefühl, gefangen zu sein. Sie will zurück in ihre Welt und sie versucht den Weg zurück zu finden. Schlussendlich gelingt ihr die Rückkehr in ihre eigene Welt mit einer aufregenden und meist turbulenten Flucht. Lewis Carrolls Buch „Alice im Wunderland“ illustriert dieses Handlungsmuster gut. „The Time Machine“ von H. G. Wells, ein Schlüsselwerk in Bezug auf die Entstehung der Steampunktliteratur, gehört ebenso in diese Kategorie wie „Mehr als das“ von Patrick Ness.

Die Komödie: Wenn man den Titel dieses Handlungsstrangs liest, denkt man sicherlich gleich an witzige und unterhaltsame Geschichten. Ganz so simpel ist es dann doch nicht. Die Komödie hat ganz bestimmte Handlungselemente. Innerhalb des Plots gibt es einen Konflikt, der immer verwirrender wird und Charaktere, die vorgeben jemand anderes zu sein und enttarnt werden müssen. Ein Happy End stellt sich nur ein, wenn alles aufgedeckt wird. William Shakespeares „A Midsummer Night’s Dream“ und „Twelfth Night“ sind Komödien in diesem Sinne. Der 2015 veröffentlichte Roman „Simon vs. the Homo Sapiens Agenda“ von Becky Albertalli zeigt dieses Muster mit dem Identitätsspiel ebenfalls auf.

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Die Tragödie: Der Protagonist wird von Personen oder einem Ereignis dazu verleitet, Handlungen auszuführen, die verboten oder böse sind. Und zuerst scheint noch alles in Ordnung zu sein. Er hat damit Erfolg und es fühlt sich an wie die Erfüllung eines Traums. Doch bald schon wendet sich das Blatt: Aus dem vermeidlichen Traum wird ein Albtraum, der darin endet, dass der Protagonist einen gewaltvollen Tod erleidet. „Anna Karenina“ von Leo Tolstoy und „Macbeth“ von William Shakespeare sind zwei der berühmtesten Tragödien der Literaturgeschichte. „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt ist ein Beispiel eines Schweizer Autors für eine Tragödie.

Die Wiedergeburt: Hier wird der Untergang und die (metaphorische) Wiedergeburt eines Protagonisten beschrieben. Durch einen tragischen Vorfall erkennt der Protagonist, dass er sich falsch verhalten hat, und er bereut seine vergangenen Taten. Es wird ihm bewusst, dass er zu einer besseren Person werden will. „A Christmas Carol“ von Charles Dickens ist ein wunderbares Beispiel für die Wiedergeburt des Protagonisten. Auch „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen und „Pride and Prejudice“ von Jane Austen gehören zu dieser Kategorie.

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Die Handlungsmuster sind hier nur kurz zusammengefasst, der Autor geht in seinem Buch noch genauer darauf ein. In einer Geschichte können auch mehrere der Handlungsmuster vorkommen.

Was bedeutet dies aber für uns Leserinnen und Leser? Zuerst einmal kann gesagt werden, dass Christopher Booker nur die Art und Weise beschreibt, wie wir Geschichten erzählen. Es ist kein Qualitätsurteil, sondern eine Analyse der Erzähltradition der Menschen und wie sich diese entwickelt hat. Es darf nicht vergessen werden, dass jeder Autor und jede Autorin einen eigenen Erzählstil hat und neue Aspekte zu einem bereits bekannten Muster einbringen kann.

Wollt auch ihr eine Kurzgeschichte oder einen Roman schreiben? Die Mediothek bietet viele Materialien, welche euch helfen können. In den verschiedensten Büchern werden die obengenannten erfolgversprechenden Handlungsmuster erklärt, analysiert und illustriert, damit man selbst zur erfolgreichen Autorin oder zum erfolgreichen Autor werden kann. Beispielsweise deckt „Schreiben für Film und Serie“ (Benjamin Benedict) den filmischen Bereich ab, während das “Handbuch für Kinder- und Jugendbuchautoren“ (Sylvia Englert) sich der Literatur für ein jüngeres Publikum widmet. „Wie man einen verdammt guten Thriller schreibt“ (James N. Frey) erklärt, wie der Titel schon sagt, welche Elemente ein nicht nur guter, sondern verdammt guter Thriller braucht. Vom Dudenverlag gibt es die Serie „Kreatives Schreiben“: „Schreiben dicht am Leben“, „Schreiben unter Strom“, „Schreiben Tag für Tag“, „Spannend schreiben“ und weitere. Jessica Brody behauptet sogar, ihr Buch „Save the Cat! Writes a Novel: The Last Book On Novel Writing You’ll Ever Need” ist das Buch, welches ihr lesen müsst, um einen Bestseller zu schreiben.

Warum versucht ihr nicht bei der nächsten Lektüre herauszufinden, welche Handlungsmuster ihr in eurem Buch erkennen könnt? Falls ihr nun selbst zu Stift und Papier greifen wollt, dann habt ihr jetzt Anhaltspunkte, wo ihr Inputs für das eigene kreative Schreiben findet. Gutes Gelingen!

Kennt ihr schon unsere Lese-Challenge? Jeden Monat geben wir ein Thema vor, ihr lest ein passendes Buch und schreibt eine kleine Rezension. Jede abgegebene Rezension erhält einen tollen Preis! Das Thema im März: ein Buch mit Tier auf dem Cover.

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