Ein 50-jähriges Geburtstagskind feiert

Ein Kind will ein Jahr lang seinen Geburtstag feiern. Es fragt sich zwar immer noch, wo es wirklich zu Hause ist, obwohl es schon 50 Jahre alt ist. Aber seine Geschwister und seine Eltern sind gestern zu ihm gekommen und haben ihm gratuliert. Und es hat seine Geschichte erzählt und vor Freude gesungen: auf Zulu, auf Englisch und im Baselbieter Dialekt. Denn es ist stolz auf seine Diversität, seinen Pioniergeist und seine Kultur, in der ein Mischwald aus Wissenschaften, Kreativität und Engagement gedeiht.
Von Daniel Nussbaumer (Text und Fotos)

Das Kind ist das Gymnasium Muttenz, sein Zwilling ist das Gymnasium Oberwil, das ebenfalls 1972 das Licht des Baselbiets erblickte. „Das Gym Oberwil auf dem Hügel mit schöner Aussicht, das Gym Muttenz in der Ebene mit guten Anschlussmöglichkeiten“, so besagt es das mehrmals ausgesprochene Bonmot des Abends. Weitere Geschwister sind die Gymnasien Liestal, Münchenstein und Laufen. Die Mutter und der Vater sind der Kanton Baselland und die Gemeinden Muttenz, Birsfelden, Pratteln und Frenkendorf. Und ein weiterer Erziehungsberechtigter hilft mit: der Kanton Aargau.

Am offiziellen Auftakt des Jubliäumsjahres vom 2. September in der Aula Polyfeld Muttenz anlässlich des 50-jährigen Bestehens unserer Schule umrahmte der Gym Chor die Begrüssung unserer Rektorin Brigitte Jäggi und die Ansprache von Regierungsrätin Monica Gschwind. Die Vorsteherin der Bildungs-, Sport- und Kulturdirektion gratulierte dem Gymnasium Muttenz zum 50-Jahr-Jubiläum, anerkannte seine Verdienste in der Weiterentwicklung der Didaktik sowie den Pioniergeist bei der Etablierung von Klassen im Bring-your-own-Device-Setting. Im Speziellen lobte sie die herausragenden Auftritte unseres Chors. Sie erinnerte sich und das Publikum exemplarisch an die eindrückliche Aufführung des Oratoriums „Elias“ von Felix Mendelssohn im Musicaltheater im Jahr 2018. Sie schloss ihre Rede mit einem Zeitsprung in die Zukunft und wünschte dem Gym Muttenz, dass man sich in 50 Jahren nicht nur an das eidgenössische Schwingfest in Pratteln und an Russlands Überfall auf die Ukraine erinnern möge, sondern auch daran, dass das Gymnasium 2022 in eine sichere und gute Zukunft aufgebrochen sei, gemeinsam mit der FMS und den Berufsschulen des Kantons und in einem richtigen Zuhause auf dem Polyfeld Muttenz.

Im Anschluss an die Rede der Erziehungsdirektorin erzählte unsere ehemalige Schülern Fatjona Haziri (Matur 2016), wie sie als erstes Mitglied ihrer Familie in der Schweiz eine gymnasiale Maturität erreichte. Dies war unter anderem darum möglich, weil sie in einem Mischwald aus vielfältigen, sich ergänzenden und unterstützenden Einflüssen, Fächern und Personen heranwachsen durfte. Diesen Mischwald zeichnete Fatjona Haziri als Metapher für eine nachhaltige Bildungslandschaft. Nach einem Wirtschaftsstudium und einer Tätigkeit in der Wirtschaft sieht sie es jetzt als ihre Aufgabe, den Mischwald mitzupflegen: Sie unterrichtet seit August 2022 am Gym Muttenz und bildet sich an der FHNW zur Lehrperson aus.

Gestern für einmal nicht in Grün, sondern in Blau, trat die Rektorin Brigitte Jäggi noch mal vor das Publikum und erzählte in Person des Gymnasiums Muttenz als eines Kindes von der Entstehung, von den Baby- und Jugendjahren, vom Wachstum, bisweilen auch vom Überlebenskampf und von der Suche nach dem richtigen Zuhause. Mehrmals hat auch das Engagement der Schülerinnen und Schüler mitgeholfen, dass nebst noch grösseren Sorgen etwa auch Raumprobleme zumindest provisorisch gelöst werden konnten. Der Stolz darauf, trotz nicht immer erfreulicher Bedingungen zu einer erfolgreichen und innovativen Schule herangewachsen zu sein, schwang bei jedem Satz der Rektorin mit. Sie kündigte an, dass im Sinne der Nachhaltigkeit und als Zeichen der Zuversicht Mitte November jede Schülerin und jeder Schüler des Gym Muttenz einen Eichenbaum in der Gemeinde Muttenz pflanzen werde.

Der gestrige Abend war nicht nur der Auftakt zum Jubiläumsjahr und als solcher ein Festakt mit Reden und Apéro, sondern er war auch die Vernissage unserer Festschrift „50 Jahre Gym Muttenz“, die nebst anderem auch die Veränderung des Lernens und Unterrichtens an unserem Haus thematisiert. Jürg Hostettler moderierte ein Gespräch mit dem inzwischen pensionierten Historiker und Didaktiker Robert Labhardt, der Biologin Regina Bandi und dem diesjährigen Maturanden Jan Soder. Robert Labhardt berichtete vom ersten didaktischen Schritt weg von der puren Wissensvermittlung hin zum entdeckenden Lernen mittels der „Erweiterten Lernformen“, welche er in zwei Versuchsklassen ausprobieren und weiterentwickeln durfte. Regina Bandi schilderte den Prozess der Unterrichtsentwicklung, wie im Zuge der Einführung des vierjährigen Gymnasiums das Lernen im SLSplus-Konzept zunehmend selbstorganisiert abläuft: Es beginnt am Gym Muttenz in der zweiten Klasse mit zwei interdisziplinären Projekten, findet eine konsequente Umsetzung im Selbstlernsemester zu Anfang der dritten Klasse und mündet anschliessend in die Maturaarbeit, die auch alle anderen Gymnasien ihren Lernenden abverlangen. Jan Soder hatte diesen Ablauf, bei uns SLSplus genannt, selbst als Schüler erlebt und stellte ihn in seinen Gesprächsbeiträgen als wichtige Erfahrung dar, die ihn gelehrt hat, Verantwortung für sein Lernen und das Einhalten von Zielen zu übernehmen. Die Runde diskutierte Chancen und Risiken des selbstorganisierten Lernens und war sich darin einig, dass strukturgebende Inputs von Lehrpersonen immer noch wichtig seien, genauso wie eine gute Betreuung in Phasen des selbstorganisierten Lernens. Alle drei erwarten, dass mit den neuen digitalen Lern- und Arbeitsmöglichkeiten das selbstorganisierte Lernen und Zusammenarbeiten an Bedeutung gewinnen wird. „Lernende wollen und dürfen aber auch einmal etwas richtig gut erklärt bekommen“, meinte der pensionierte Geschichtslehrer. Könnten Schüler*innen aber auch die Verantwortung für ihr Lernen übernehmen und sich selbst als wirksam erleben, seien sie sehr viel motivierter, als wenn sie nur die Stichwörter in einem fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch liefern müssten, damit die Lehrperson mit ihrem Programm weitermachen könne.

Den Abschluss des Festaktes und gleichzeitig den Übergang zum Apéro markierte Brigitte Jäggi – nun ganz die Herrin des Hauses und nicht mehr das Kind auf der Suche nach dem Zuhause – mit der Ankündigung der Festschrift, die sie, verpackt in einer im Haus designten Tasche, präsentierte und dem Publikum als Geschenk darbot. Und bevor die Gelegenheit ungenutzt verstreichen konnte, baten wir diese vierfache Frauenpower zum farbenfrohen Gruppenbild. In unserer gelben Aula lächeln uns entgegen: Schulratspräsidentin Susanna Käch in Grün, Rektorin Brigitte Jäggi in Blau, Landratspräsidentin Lucia Mikeler Knaack in Rot und Bildungsdirektorin Monica Gschwind in Schwarz-Weiss.