
Christian Robardey ist Lehrer am Gymnasium Muttenz. Aber nicht nur das. Seit 2019 lässt er mit seinem Verein Les Soirées Amusantes die bürgerliche und adelige Salonkultur aus dem 18. Jahrhundert wieder aufleben. Dazu zählen neben Musik und Tanz auch Kleidung und der Einsatz von originalen Artefakten. Les Soirées Amusantes geben Einblick in die Stuben vergangener Zeiten. Interview: Sophie Germanier und Michael Baumgärtner
EF: Christian, Les Soirées Amusantes machen das Salonleben aus dem 18. Jahrhundert erfahrbar.
Robardey: Genau. Wir möchten diese Epoche mithilfe gesellschaftlicher, tänzerischer und musikalischer Animationen erfahrbar machen. Dazu präsentieren wir unter anderem unsere privaten Sammlungen und geben den genutzten Artefakten gleichzeitig ihre ursprüngliche Funktion wieder. Ein sogenannter serviteur muet soll also nicht nur stumm im Raum thronen. Vielmehr findet dort wirklich eine Tee-Urne Platz. Wir möchten, dass diese Originale wieder für das gebraucht werden, wofür sie ursprünglich erschaffen wurden. Indem das Publikum diese Artefakte auch anfassen und nutzen darf, machen wie die Epoche wieder erfahrbar.
EF: Ihr nutzt originales Mobiliar?
Robardey: Ja, aber nicht nur. Wir tragen auch die passende Kleidung. Die meisten Mitglieder kommen aus dem Reenactment-Bereich, wo in Sachen historischer Rekonstruktion einsehr wissenschaftlicher Ansatz vertreten wird.
EF: Was bedeutet das?
Robardey: Das bedeutet, dass alles, was wir tun, im Idealfall durch mindestens drei Quellen belegt werden muss.
EF: Dann geht eurer Arbeit eine grosse Quellenarbeit voraus?
Robardey: Das ist so. Wenn ich eine spezifische Naht nähe, dann müssen mindestens drei Originale aus dem 18. Jahrhundert genau diese Naht haben und es muss vergleichbare Kleidungsstücke geben. Alles, was wir tun, ist immer mit dem Anspruch verknüpft, dass wir sagen können, woher welches Objekt stammt und wie dieses stilistisch einzuordnen ist. Darüber hinaus gilt: Don’t make the common rare and the rare common. Wenn du also ein für die Epoche untypisches Original findest, solltest du dieses nicht unbedingt als Ausgangspunkt für deine historische Darstellung verwenden. Repräsentative Originale aus dem 18. Jahrhundert gibt es mehr als genug – und die Quellenlage ist sehr gut.
EF: Ist das auch der Grund, warum ihr euch gerade für das 18. Jahrhundert interessiert? Geht es um die Quellenlage?
Robardey: Nein, nicht unbedingt, aber das 18. Jahrhundert hat etwas sehr Geselliges, wenn es um die Salonkultur geht. Und das betrifft insbesondere die Tänze. Das Tanzrepertoire aus dieser Zeit ist unheimlich spannend und gleichzeitig auch Darsteller*innen zugänglich, die keine Profitänzer*innen sind.
EF: Das heisst, eine Grundidee der Soirées Amusantes ist auch die Partizipation?
Robardey: Auf jeden Fall. Wir möchten die Tänze dem Publikum näherbringen. Klar, damals waren die Tänze einer Elite vorenthalten. So haben die Adeligen nur jene Leute in den Salon eingeladen, mit denen sie auch tanzen wollten. Es gibt aber auch Quellen, die von öffentlichen Bällen in Frankreich berichten, bei denen hunderte Menschen mittanzten. Interessant ist jedoch, dass gerade in einem solch grossen Raum, wo doch unterschiedliche soziale Schichten anwesend waren, die Tanzenden nicht gemischt wurden. Vielmehr gab es eine Ecke, in der sich die gute Gesellschaft wiederfand und andere, in denen sich das Bürgertum oder die Handwerker trafen. An diesen Bällen wurde also der gleiche Tanz zur gleichen Zeit getanzt, aber eben nicht miteinander.
EF: Wie läuft so ein Abend mit Les Soirées Amusantes konkret ab?
Robardey: Wir haben uns bis dato stark auf den Tanz fokussiert. Dabei erklären wir dem Publikum, wie die Rekonstruktion funktioniert, dass wir Tanztraktate und Tanzschriften analysieren und vergleichen. Auf dieser Grundlage erfolgt dann die Darbietung der Tänze. An den letzten Barocktagen in Solothurn haben wir beispielsweise ein Concert comme au 18ème siècle inszeniert, wo auch das Teetrinken zelebriert wurde, wie das beispielsweise die Autorin Sophie von La Roche beschreibt: man trifft sich im Salon, trinkt gemeinsam einen Tee und führt gepflegte Konversation. Vielleicht rezitiert jemand ein Gedicht oder man spielt ein Gesellschaftsspiel.
EF: Welche gesellschaftliche Rolle haben diese Tänze im 18. Jahrhundert gespielt?
Robardey: In erster Linie nutzte man Bälle als eine Art Heiratsvermittlungsbüro für über 15-Jährige. Die Jungen in diesen Salons, die ja sonst meistens unter den Knuten der Gouvernanten standen, konnten sich hier näherkommen, miteinander sprechen, sich an der Hand nehmen – wenn auch immer unter Aufsicht. Darüber hinaus war es auch eine Aktivität, mit der man die kalten Wintermonate in der Stadt überbrückte. Gleichzeitig kristallisiert sich im 18. Jahrhundert auch eine ritualisierte Tanzkultur heraus, eine Form, in der Gesellschaft zu existieren. Tänze sind immer so konstruiert, dass ich mit allen in Kontakt komme. Es gibt Blickkontakt, man lächelt und flirtet. Man ist kein für sich allein tanzendes Individuum, sondern erschafft mit anderen Menschen im Moment eine Gesamtheit.

EF: Inwiefern machst du an diesen Soirées eine Verwandlung durch?
Robardey: Ich würde das eher als eine Art Rollenspiel bezeichnen, bei dem wir Kleider tragen, die so gemacht sind, wie Originale aus dem 18. Jahrhundert. Eine Verwandlung vollzieht sich aber insofern, als man durch die Kleidung, durch deren Schnitt, in eine andere Pose gezwungen wird, die sich von der heutigen unterscheidet. Der enge Schnitt im Rücken sorgt beispielsweise für eine aufrechte Postur. Insofern verwandelt sich die Körperhaltung und man bewegt sich anders, aufrechter, langsamer.
EF: Ihr bezieht euch auf die Salonkultur in Frankreich. Können wir damit rechnen, so etwas auch in der Schweiz des 18. Jahrhunderts zu finden?
Robardey: Wir kennen bisher nur wenige Quellen aus der Schweiz. Wir wissen, dass hier auch Bälle gehalten wurden, allerdings ist das Tanzrepertoire kaum bekannt. Es gibt jedoch ein Tanztraktat, das in Lausanne publiziert wurde, eine Bündner Handschrift sowie einen Druck in Neuenburg, alle drei zu französischen Contredanses aus dem späten 18. Jahrundert.
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