Geschichten teilen

2016-01-26_Kureyshi_Lesungvon Timo Kröner

„Sprich mit mir. Es will keiner mit mir reden“, sagte ein junger eritreischer Flüchtling zu der Schriftstellerin Meral Kureyshi – auf der Strasse, einfach so, ohne sie zu kennen. Das könnte eine Urszene ihres Schreibens sein, bei dem es darum geht, in der Fremde heimisch zu werden, erzählend eine Heimat zu finden.Meral Kureyshi, 1983 im Kosovo geboren, ist mit neun Jahren mit ihrer Familie in die Schweiz gekommen. Über die Erfahrung dieser Migration erzählt sie in ihrem Debut-Roman „Elefanten im Garten“. Eines der zentralen Motive des Romans ist es, in der Migration, in der Fremdheit einen Anlass und Grund für Geschichten zu finden. Darüber hat sie mit unseren Schülerinnen und Schülern am 26. Januar im Rahmen einer Lesung über Mittag gesprochen.

Welche Bedeutung haben die „Elefanten im Garten“ des Titels? Sie sind ein Trugbild, eine Alternativgeschichte zu den Urlaubsberichten der anderen Klassenkameraden. Erfunden von einem Mädchen, deren Eltern sich jahrelang keinen Urlaub leisten konnten. Erzählt, um erkannt zu werden, um auch etwas zu erzählen zu haben. Aus diesem Erzählen heraus ist ihr Buch über einen Zeitraum von zehn Jahren entstanden. Sie habe mit dem Schreiben angefangen, nachdem der Vater gestorben sei, erzählt Meral Kureyshi im Gespräch mit Martin Dean. „Ich habe für ihn geschrieben.“

Heimat ist für Meral Kureyshi dort, wo Familie und Freunde sind. Der geografische Ort sei egal. Ihre Grunderfahrung des Heimatverlusts und der Aneignung einer neuen Heimat fasst sie so zusammen: „Ich passe nicht mehr in mein ehemaliges Leben, weil ich mich umgepasst habe.“

Daher erklärt sie auch den Erfolg des Buches, das auf der Shortlist zum Schweizer Buchpreis 2015 gestanden ist. Es sei spannend, dass ihr viele Leute schreiben, die ihre eigene Geschichte in ihrer Geschichte wiedererkennen, darin Verbindungen erkennen. Die Migrationserfahrung ist eine universelle Erfahrung unserer Gegenwart.

Ein Schüler stellt im Gespräch fest, dass die Erzählerin viele türkische Begriffe verwendet. Das liegt an den Wurzeln ihrer Familie, in der Türkisch gesprochen wird. Trotzdem ist Deutsch ihre Muttersprache, sie beherrscht es besser. Aber sie sagt auch: „Ich mag die deutsche Sprache nicht. Sie ist meine Muttersprache. Ich habe meine Kindersprache verloren.“

„Wie sollte man jetzt auf die Flüchtlinge reagieren?“, fragt Martin Dean. Miteinander reden, die oder den anderen nicht alleine lassen, Erlebtes erzählen, Geschichten teilen. „Und durch dieses Teilen wird man ein bisschen leichter und reicher!“, gibt sie uns nach dieser bereichernden Mittagsveranstaltung mit auf den Weg.

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Meral Kureyshi und Martin Dean, der die Lesung moderiert hat (Fotos: Nu)