Selbstständige Arbeiten Lernender

Ein Interview mit dem Didaktiker Peter Bonati

Jedes Jahr verfassen viele unserer Lernenden eine eigenständig entwickelte und selbstständig durchgeführte Arbeit, sei dies eine Maturaarbeit in der gymnasialen Abteilung (MA), eine Selbstständige Arbeit in der FMS (SA) oder eine Fachmaturitätsarbeit im Rahmen der Fachmaturität.

Diese „Selbstständigen Arbeiten Lernender“ (SAL) sind ein fester Bestandteil der Abschlüsse und Zeugnisse an unserer Schule und Schwerpunkt des aktuellen „Entfalters“. Daher haben wir ein Interview mit Peter Bonati über diese SAL geführt, der schweizweit als ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet gilt.

Was lernen Lernende grundsätzlich bei einer SAL?

Im persönlichen Bereich geht es darum, ein Thema, das einem wichtig ist, während längerer Zeit möglichst selbstständig zu bearbeiten. Dabei gilt es, die auftauchenden Probleme und Schwierigkeiten zu meistern und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Darüber hinaus gestalten die Lernenden Zusammenarbeit: mit der Betreuungsperson, dem Umfeld und – bei Teamarbeit – mit anderen Lernenden.

Für das schulische Lernen wesentlich ist, dass ein geeignetes Thema auf eine machbare Fragestellung oder (bei kreativen Arbeiten) auf eine tragfähige Gestaltungsidee eingegrenzt wird. Ausserdem wird eine fachliche Methode entwickelt und angewandt, die zu dieser Fragestellung oder Gestaltungsidee passt (z.B. Quellenstudium, naturwissenschaftliches Experiment, Interview, gestalterisches Verfahren).

Im Hinblick auf den Bildungsweg bereiten SAL auf selbstständige Arbeiten im Studium und auf die Leitung von Projekten im Beruf vor, auf Situationen also, in denen der Zeitdruck grösser ist, die Rahmenbedingungen schwieriger sind und man stärker auf sich allein gestellt ist.

Inwiefern ist eine SAL eine eigenständige Forschungsleistung?

Jährlich verfassen in der Schweiz auf der Sekundarstufe II (Gymnasium, weitere allgemeinbildende Schulen, Berufsbildung) ca. 100‘000 Lernende eine Maturaarbeit oder ähnlich gelagerte SAL. Schon wegen dieser Zahl bilden „eigenständige Forschungsleistungen“ wohl eher die Ausnahme. Von den Lernenden ist in der Regel zu erwarten, dass sie teilweise selbstständig, teilweise mit Unterstützung der Betreuungsperson arbeiten und dafür ihr Unterrichtswissen für die SAL nutzen. Sie sollen fachliche Verfahren in vereinfachter Form anwenden (z.B. Dokumentenanalyse, Drehen eines Films, Herstellung eines Gerätes). Es geht dabei weniger darum, ‚neue‘ Erkenntnisse hervorzubringen, als subjektiv bedeutsame und folgerichtige Ergebnisse zu erreichen sowie in Form und Sprache den Anforderungen der Schule genügen.

Es sind üblicherweise einfache mathematisch-naturwissenschaftliche Verfahren möglich, z. B. klar abgegrenzte Felduntersuchungen oder eine nicht zu komplexe Experimentalreihe. Oder es wird eine vereinfachte Literaturanalyse durchgeführt, z.B. durch Anwendung von im Unterricht erlernten Interpretationsansätzen – jedoch nicht mit Methoden, die erst an der Hochschule erworben werden.

In diesem Sinne sind SAL in ihrer grossen Mehrheit wegen des Ausbildungsstandes und der Vorkenntnisse der Lernenden als wissenschaftsvorbereitende und nicht als wissenschaftliche Arbeiten einzustufen. Eine „eigenständige Forschungsleistung“ ist dann die Ausnahme, welche die Regel bestätigt; sie setzt voraus, dass die Lernenden ein überdurchschnittliches inhaltliches und methodisches Vorwissen zum Thema mitbringen.

Wie finden die Lernenden ein geeignetes Thema und eine dazu passende Fragestellung?

Am besten beginnt man mit der Themensuche schon während des gymnasialen Unterrichts vor der SAL. Gute Themen ‚lauern‘ überall: in einer interessanten Diskussion im Literaturunterricht, während einer gestalterischen Arbeit, bei einer kniffligen Mathe-Aufgabe, in einem naturwissenschaftlichen Experiment, hinter einer geschichtlichen Quelle, auf einer biologischen Exkursion. Ich empfehle deshalb unterrichtsnahe Themen und nicht solche, die mit dem Unterricht wenig zu tun haben. Lohnend sind auch Themen aus dem persönlichen Umfeld (Herkunft, Wohnort, Freundeskreis, persönliche Interessen, Hobbies usw.) nach dem Motto: „Grabe, wo Du stehst!“, sofern damit eine intellektuelle Herausforderung verbunden ist.

Welche Rolle spielen die Betreuung durch eine Lehrperson und das weitere schulische Umfeld?

Die Betreuungsperson soll in der Lage sein, die Lernenden in folgenden Aufgaben zu unterstützen: Wahl eines geeigneten Themas, Erarbeitung der Fragestellung oder Gestaltungsidee, Wahl und Anwendung der fachlichen Methode, Nutzung der Ressourcen (z.B. Archive, Amtsstellen, Organisationen der Arbeitswelt), Planung des Arbeitsprozesses, insbesondere Zeiteinteilung und selbstständiges Erbringen der Leistung mit Offenlegung fremder Hilfe. Wie viel Betreuung im Einzelfall notwendig ist, hängt von den Voraussetzungen, welche die Lernenden mitbringen, und von der Schwierigkeit des Themas ab.

Die Schule kann die Lernenden im Zusammenhang mit SAL auf vielfältige Weise fördern. Ich lege dabei das Gewicht auf die pädagogische Unterstützung seitens der Schule, vor allem auf folgende Impulse: Fähigkeiten, die für SAL wichtig sind, sollten im Fachunterricht und im Projektunterricht eingeübt werden (z.B. Fragestellungen entwickeln, recherchieren, eine Disposition oder ein Konzept erstellen, mit einem Zeitplan arbeiten, korrekt zitieren, kleinere Facharbeiten verfassen). Die Schule sollte Hilfestellung geben durch eine informative Einführung zu Beginn der SAL und eine praxisbezogene Wegleitung mit klaren Regeln zur Bewertung. In einzelnen Fächern (z.B. Fremdsprachen, Mathematik) sollten Hinweise auf geeignete SAL-Themen gegeben werden. Die Lehrpersonen sollten in der Betreuung und Bewertung von SAL weitergebildet werden.

Welche Bedeutung hat das private Umfeld für eine SAL?

Das private Umfeld ist nicht zu unterschätzen, und wenn Lernende eine „Maturaarbeit GmbH“ gründen, beweisen sie, ein Projekt klug leiten zu können. Beteiligt sind Familie, Freunde und Bekannte, welche durchsehen, diskutieren, aufmuntern, trösten – eine wichtige und gute Erfahrung. Nur schreiben sollte man die Arbeit selbst…

Welche Schwierigkeiten können auftreten und wie können sie überwunden werden?

Ich nenne drei häufige Schwierigkeiten:

(1) Die Zeiteinteilung. Sie bereitet erfahrungsgemäss am meisten Mühe; dies belegen auch wissenschaftliche Untersuchungen zur SAL. Man beginnt zu spät und arbeitet ohne Terminkontrolle. Empfehlung: frühzeitig beginnen; mit einem Zeitplan arbeiten.

(2) Die Themensuche. Es werden Riesenthemen („Atommacht Iran?“) oder abgegraste Themen („Bierbrauen“, „Bulimie“, „Ein Surfbrett bauen“) gewählt – beides erschwert eine Eigenleistung. Empfehlung: bei der Themenwahl vom eigenen Interesse ausgehen; Themen wählen, zu denen man Vorkenntnisse aus dem Unterricht hat; mögliche Themen durch Einlesen auf ihre Eignung prüfen, bevor man sich festlegt.

(3) Die Fragestellung. Immer noch begegnet man SAL ohne klare Fragestellung (z.B. „Porträt der Firma X“; „Der Kosovo-Krieg im Überblick“). Empfehlung: Das Thema durch Einarbeitung und durch Meinungsaustausch mit der Betreuungsperson auf eine machbare und interessante Fragestellung eingrenzen (z.B. „Die Firmenphilosophie der dritten Unternehmer-Generation in der Firma X“; „Was denken junge Kosovaren in meinem Umfeld über den Kosovo-Krieg?“).

Peter Bonati war Deutsch- und Philosophielehrer an der Alten Kantonsschule Aarau und anschliessend Direktor des Höheren Lehramts an der Universität Bern. Seit 2002 ist Bonati als Schul- und Unternehmensberater freiberuflich tätig. Er hat selbst eine grössere Zahl selbstständiger Arbeiten betreut und ist Mitverfasser des Standardwerks: Peter Bonati / Rudolf Hadorn: Matura- und andere selbständige Arbeiten betreuen, Bern 22009.