Ferien vom Ich

von Martin Dean

Worüber berichten die, die von Reisen zurückkommen? Vom Essen, von Taxipreisen, schlechten Matratzen und verlorenen Sonnenbrillen. Sie klagen über Schlaflosigkeit bei Lärm, über Durchfall nach schlechtem Essen. Wer hat Freunde je von einem unverständlichen Dialekt einer Urbevölkerung, seltsamen Stammesriten um Mitternacht, von wirklich noch nie gesehenen Tieren oder nur schon von Gewürzen schwärmen hören, die neue Sensationen auf den Gaumen zauberten? Das Fremde in der Fremde ist weg. Wofür man im zwanzigsten Jahrhundert in die Ferne fuhr, nämlich um sein Ich zu verwandeln – oder gar zu verlieren –, das gibt es nicht mehr. Zurückgeblieben sind unsere Reisefotos, die aussehen, als hätten wir sie aus einem Kuonikatalog herausgeschnitten. Unsere SMS an unsere Freundin, die wir geradeso gut auch aus dem eigenen Wohnzimmer hätten versenden können. Nach Hause gebracht haben wir Souvenirs, die wir noch schnell am Flughafen gekauft haben. Google Earth und Internet lassen die Distanzen täglich schrumpfen. Der Nachbar, der auf dem Balkon dauernd in der Nase bohrt, ist uns fremder als ein Indianer, der in der Wüste Nevada mit einem Buick an uns vorbeikurvt.

Heimat gibt es zur Zeit im Überfluss. Aber was ist, wenn unser Bewusstsein auch im Ausland nur noch Bekanntes sieht?

Der Zweck des Reisens hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die meisten von uns reisen, um eine Auszeit von Beruf, Umgebung oder Partnerschaft zu nehmen. Um das Fitnessprogramm unter anderen Bedingungen, zum Beispiel beim Segeln oder Klettern, fortzusetzen. Auszeit vom Ich? Das sagen viele, und doch ist eben gerade das nicht der Fall. Denn nichts soll unser Ich gefährden. Panik bricht aus, wenn unser geleastes Teilzeithirn, das uns evolutionsmässig die letzten Jahre als mobiler Stammhirnfortsatz mit App-Zusatz gewachsen ist, – wenn also unser Handy kaputt geht. Erst dann beginnt für die meisten die Auszeit vom Ich.

Wozu Fremderfahrung, wenn uns schon fünf Frauen, die mit der Burka im Coop einkaufen, das kalte Frösteln lehren? Weil das Entdecken dessen, was man nicht ist, zu den wichtigsten Erfahrungen gehört. Weil Bildung nicht nur Büffeln, sondern auch mit Welterfahrung zu tun hat. Weil uns etwas verloren geht, wenn wir nur noch das essen, was wir kennen. Also: Kamera weg und Augen auf. Handy weg und Ohren auf. Schuhe und Socken weg und den Massaigang lernen. Damit unsere Zehen auch was zu erzählen haben.