Claudia Engeler leitet seit 2014 die Schweizer Schule in Santiago de Chile, an der regelmässig einige unserer Schülerinnen und Schüler ein Austauschjahr oder -semester verbringen.
Liebe Frau Engeler, stellen Sie bitte kurz die Schweizer Schule in Santiago de Chile vor.
Die Schweizer Schule Santiago de Chile ist eine der 17 Schweizer Schulen in der Welt. Der Patronatskanton ist Baselland und gegründet wurde die Schule 1939 aus historischen Gründen. Zahlreiche Schweizer Familien waren aus politischen Gründen nicht mehr bereit, ihre Kinder in die Deutsche Schule zu schicken.
Die Schule bietet einen Kindergarten (2 Jahre), eine Primarschule (6 Jahre), eine Sekundarschule (2 Jahre) und ein Kurzzeitgymnasium (4 Jahre) an. Abschliessen kann man mit der bilingualen Schweizer Matur oder natürlich mit dem chilenischen Diplom. Alle Schülerinnen und Schüler, welche das Gymnasium in Chile abschliessen und an der chilenischen Universität studieren wollen, müssen zudem die PSU (die Aufnahmeprüfung der Universitäten) ablegen.

Wie ist der Alltag an Ihrer Schule? Wie sprechen die Schüler und die Lehrkräfte miteinander, spanisch, deutsch oder beides?
Im Kindergarten gibt es in jeder Gruppe zwei Kindergärtnerinnen, wobei eine ausschliesslich deutsch, die andere spanisch spricht. In der Primarschule werden alle Fächer auf Deutsch unterrichtet. Eine Ausnahme bilden Spanisch und Geschichte/Geographie.
In der Sekundarschule werden ausserdem die Naturwissenschaften (Biologie, Chemie und Physik), Sport und Kunst (Musik und bildende Kunst) auf Spanisch unterrichtet.
Im Kurzzeitgymnasium werden alle Fächer auf Spanisch erteilt (mit Ausnahme der Fremdsprachen). Wer die bilinguale Matur ablegen will, muss zusätzlich die Fächer Geschichte, Geographie, Einführung in Wirtschaft und Recht auf Deutsch belegen.
Die meisten Kinder sprechen untereinander Spanisch. Schweizerdeutsch oder Deutsch hört man auf dem Pausenplatz kaum. Nur ca. 25% unserer Lernenden besitzen einen Schweizer Pass. Die meisten von ihnen gehören jedoch schon der zweiten, dritten oder vierten Generation an. Zu Hause wird meistens kein Deutsch oder Schweizerdeutsch mehr gesprochen.
Einige Lehrkräfte im Kindergarten und in der Primarschule sprechen untereinander Schweizerdeutsch. Da jedoch viele chilenische Lehrkräfte hier arbeiten, wird meist Spanisch gesprochen.
In welchem Verhältnis steht die Schweizer Schule in Chile zur Schweiz und speziell zum Kanton Basel-Landschaft?
Wir pflegen einen regen Kontakt zu unserem Patronatskanton. Dieser beaufsichtigt uns in pädagogisch-didaktischer Hinsicht. Dorothee Widmer, Beauftragte des Kantons BL für die Betreuung der Schweizer Schule Santiago, besucht alle zwei Jahre unsere Schule und verschiedene Unterrichtslektionen, um uns und dem Kanton eine Rückmeldung geben zu können. Auf der anderen Seite besucht uns jährlich ein Experte aus Baselland anlässlich unserer Maturprüfungen. So war letztes Jahr Herr Dr. Thomas Rätz Experte bei unseren Prüfungen.
Auch durch den Semesteraustausch, den wir mit den fünf Gymnasien im Kanton Baselland pflegen, haben Schülerinnen und Schüler von Santiago und aus der Schweiz die Möglichkeit, sich ein Bild vom jeweils anderen Land zu machen.
Worin konkret besteht die „Swissness“ Ihrer Schule, die ja nationalen chilenischen Gesetzen untersteht und auch in einer Konkurrenz mit anderen einheimischen und internationalen Schulen auf dem Platz Santiago de Chile steht?
Die Swissness zeigt sich einerseits in der Sprache: Deutsch. Auf der anderen Seite sind wir die einzige Schule in Santiago, in welcher die Lernenden mit vier Sprachen abschliessen können: Spanisch, Deutsch, Englisch und, als Schwerpunktfach im Gymnasium, Französisch.
Swissness bedeutet für uns auch Pünktlichkeit, Respekt vor anderen Kulturen und Selbständigkeit. Jährlich laden wir auch Schweizer Persönlichkeiten ein, die Vorträge, Lesungen oder Konzerte halten. Letztes Jahr durften z.B. die Gymnasiasten den Film „Vitus“ sehen und im Anschluss Teo Gheorghiu interviewen. Er bot uns zum Schluss ein Konzert und gab zwei begabten Lernenden eine Meisterklasse.
Wir gelten auf dem Platz Santiago als seriöse, qualitativ hochstehende Schule. Da wir konfessionsfrei und mit etwa 660 Lernenden eher klein sind, wird auch die familiäre Atmosphäre der Schule geschätzt.
Aus welchen Gründen melden Einheimische ihre Kinder in Santiago de Chile an einer Schweizer Schule an?
Die qualitativ gute Ausbildung, die konfessionelle Unabhängigkeit, die familiäre Atmosphäre, die sprachlich vielfältige Ausrichtung sind gute Gründe, um unsere Schule zu besuchen. Auf der anderen Seite gibt es von Jahr zu Jahr auch immer mehr Leute aus dem Quartier, die ihre Kinder in unsere Schule schicken wollen. Der Verkehr nimmt in Santiago täglich zu: Eine Schule in der Nähe des Wohnortes ist daher ein grosser Pluspunkt.
In Chile ist das öffentliche Bildungssystem qualitativ nicht besonders stark. Daher versuchen alle Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder in eine Privatschule zu schicken. Das CSS ist eine gute Möglichkeit dafür.
Gibt es heute eine Zusammenarbeit mit den deutschen Schulen vor Ort, ist die Schweizer Schule für deutsche Zuwanderer attraktiv? Und welche Beziehungen pflegt die Schule zu andern internationalen Schulen vor Ort?
Mit den deutschen Schulen pflegen wir direkten Kontakt. Da die Deutsche Schule Santiago sehr gross ist, gibt es doch einige deutsche Eltern, die sich für die Schweizer Schule entscheiden, auch weil unsere Schule viel familiärer ist. Zu anderen Schulen pflegen wir eher einen losen Kontakt. Das hängt weniger mit dem fehlenden Interesse als mit der Zeitnot im Alltag zusammen, zumal die Distanzen in Santiago nicht zu unterschätzen sind.
An welche Schulen gehen die Angehörigen kleinerer Minderheiten der Expat-Szene in Chile, die keine eigenen Schulen aufgebaut haben, aber traditionell Deutsch lernen – also z.B. Norweger oder Tschechen? Bemüht sich die Schweizerschule aktiv um diese Gruppen?
Bis jetzt hat sich die Schweizer Schule nur bedingt um diese Gruppen bemüht. Die Idee wurde schon mehrmals besprochen. In näherer Zukunft wird dieses Projekt möglicherweise umgesetzt werden können. Im Moment haben wir jedoch jährlich bis zu 200 Anfragen für den Kindergarten, obwohl wir nur zwischen 50 und 60 Plätze anbieten können.
Welche Chancen bietet die Schweizer Schule in Chile einer Austauschschülerin oder einem Austauschschüler aus Muttenz?
Die Austauschschüler haben die Möglichkeit, eine neue Kultur kennen zu lernen und eine Sprache zu vertiefen (hier wird „castellano“ und nicht „español“ gesprochen; um ehrlich zu sein ist es sogar „chilenisch“). Die 12 000 Kilometer Entfernung von der Heimat sind bestimmt auch ein Erlebnis für sich. Zahlreiche Austauschschülerinnen und Austauschschüler bleiben ein Leben lang im engen Kontakt mit „ihrer“ chilenischen Familie. Das heisst, sie gewinnen auch neue Eltern und Geschwister.
Welche Kulturschocks erleben die Jugendlichen, wenn Sie nach Chile kommen – oder andersherum, wenn sie in die Schweiz kommen?
Der grösste Schock ist meist die Sprache (Schweizerdeutsch – Chilenisch), dann aber auch die Grösse der Städte (Santiago vs. Möhlin). Je nach Familie gibt es auch einiges, an das man sich gewöhnen muss. Unsere Schülerinnen und Schüler lernen in der Schweiz, selbständiger zu sein, während die Schweizer sich hier manchmal etwas „überbehütet“ vorkommen. In Santiago ist es üblich, Hausangestellte zu haben, was in der Schweiz nicht oder in geringerem Masse der Fall ist. Das heisst: Unsere Schülerinnen und Schüler lernen in der Schweiz auf- und abzutischen oder auch ihr Zimmer selber aufzuräumen.
Sie haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, entnehmen wir der Homepage der Schule: Die Grüne Schule (Colegio Verde), eine energie-autarke Schule, die mit Solarenergie und Geothermie funktioniert. Wie kommt das in Chile an?
Die Reaktionen auf unser Projekt sind hervorragend. Letztes Jahr haben wir einen Innovationspreis gewonnen. Möglicherweise (das entscheidet sich in den nächsten zwei Wochen) werden wir als erste Schule im Land die überschüssige Energie, die wir produzieren, ins Netz der Elektrizitätswerke speisen können. Falls wir das erreichen, gibt das unserem Projekt natürlich viel Aufwind.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.