Das ist der Wert der Bildung!

von Timo Kröner und Daniel Nussbaumer (Foto)

 

Einige Tage vor der Übereinkunft der Kantonsregierungen von BL und BS zur gemeinsamen Trägerschaft der Universität Basel haben wir mit Frau Prof. Dr. Andrea Schenker-Wicki, der neuen Rektorin der Universität Basel, über den Wert der Bildung und die Positionierung der Universität Basel in der regionalen und internationalen Bildungslandschaft gesprochen.

Wie würden Sie als Ökonomin den Wert der Bildung für unsere Region und unser Land definieren? Andrea Schenker-Wicki: Bildung hat für die Schweiz einen sehr hohen Stellenwert. Wir haben kaum Bodenschätze. Aber wir haben kluge Leute und müssen mit diesen klugen Köpfen etwas machen – das heisst, wir müssen sie gut ausbilden. In einer Wissensgesellschaft ist Bildung etwas sehr Wichtiges.

Wir machen das übrigens in der Schweiz sehr erfolgreich. Bildung hat also nicht nur bei mir als Ökonomin und Rektorin einer Universität einen hohen Stellenwert, sondern überhaupt in unserer Gesellschaft.

15-10-21-Schenker
Prof. Dr. Andrea Schenker-Wicki leitet die Universität Basel

Kann man den Wert der Bildung an konkreten Faktoren bemessen? Ja, es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man Bildung respektive den Impact von Bildung bemessen kann. Zum Beispiel anhand von Investitionen, die eine Gesellschaft in Bildungsinstitutionen, in Forschung und in Entwicklung tätigt oder anhand der Entwicklung von wissensintensiven Branchen. So hat beispielsweise der Life-Sciences-Cluster der Region Basel in den letzten zwanzig Jahren ein durchschnittliches Wachstum von über sechs Prozent pro Jahr erlebt. Dieser Cluster trägt daher sehr viel zum Wohlstand unserer Region und der gesamten Schweiz bei. Für die Bildungsinstitutionen der Tertiärstufe, insbesondere für die Universitäten, gibt es zudem internationale Rankings, anhand derer man die Positionierung und in einem gewissen Sinne auch die Performance von einzelnen Universitäten herauslesen kann. Eine weitere Möglichkeit ist der vom WEF herausgegebene Innovation Scoreboard. Die Schweiz belegt dabei regelmässig Platz 1.

Was sind die wichtigsten Stationen, die ein Kind und Jugendlicher auf seinem Bildungsweg durchquert? Ich kann da nur für mich persönlich sprechen: Meine wichtigste Zeit war die Gymnasialzeit. Ich war im Kanton Aargau in der Bezirksschule und anschliessend im Kanton Freiburg im Obergymnasium. An beiden Orten habe ich eine gute und umfassende Bildung erhalten und hatte ausgezeichnete Lehrerinnen und Lehrer. Später an der Universität habe ich mich in den technischen Wissenschaften spezialisiert. Ich profitiere aber immer noch von meiner Gymnasialzeit – von der Geschichte, der Philosophie und den Sprachen: Ich bin immer noch in der Lage, lateinische Inschriften zu verstehen. Das Gymnasium war für mich eine sprudelnde Bildungsquelle!

Wie kann man die Qualität einer Bildungseinrichtung messen? Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Was sich in den letzten Jahren etabliert hat, ist das internationale Benchmarking. Es ist immer gut, wenn man Experten fragt, was andere besser machen, und dabei untersucht, wie sie es machen. Erfolgreiche Schulen sind strikt in ihren Anforderungen und legen den Fokus darauf, dass die Schülerinnen und Schüler den vermittelten Stoff auch wirklich beherrschen.

Ist die Maturandenquote in der Schweiz zu hoch? Sie ist meines Erachtens nicht zu hoch. In anderen Ländern ist sie viel höher. Bei uns liegt sie bei etwa 20 Prozent. Diese Quote verträgt sich auch gut mit unserem Arbeitsmarkt, der die Absolventinnen und Absolventen der Tertiärstufe sehr gut aufnimmt. Ein Problem bei den Gymnasien sehe ich aber bei den Buben. Wir haben in vielen Klassen nur noch einen geringen Anteil an Knaben und einen deutlichen Überhang an Mädchen. Es ist zwar gut, dass die Mädchen jetzt aufgeholt haben. Aber es ist nicht so gut, dass die Knaben zwischen Stuhl und Bank fallen. Die Buben sind ja nicht per se dümmer geworden, sondern wir haben etwas am System verändert. Sie fallen vermehrt durch oder kommen gar nicht mehr an die Gymnasien und später an die Universitäten. Das ist besonders schwierig, wenn man einerseits bedenkt, wie wichtig der Tertiärbereich für die Wissensgesellschaft ist, und andererseits davon ausgeht, dass die Männer auf dem Arbeitsmarkt immer noch einen höheren Beschäftigungsgrad aufweisen als die Frauen. Man müsste daher alles daran setzen, die Buben wieder an die Gymnasien zu holen und gleichzeitig den Arbeitsmarkt für die jungen Frauen so zu gestalten, dass ein Verbleib trotz Familienpflichten attraktiv ist!

Sollen die Studierenden vor allem die Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten mitbringen oder vor allem viel Fachwissen? Sie sollen vor allem Fachwissen mitbringen, dabei spielen die Basiskompetenzen eine zentrale Rolle. Zu den Basiskompetenzen gehören in erster Linie Mathematik und die Muttersprache. Wenn die Beherrschung der Muttersprache nicht gegeben ist, dann hapert es bei jeder Fremdsprache und bei uns bei den Seminar- und Bachelorarbeiten. Die Fundamente der Muttersprache zu kennen schliesst auch ein vertieftes Grammatikstudium ein. Weiter soll das Gymnasium aber auch eine breite Bildung in vielen verschiedenen Fächern anbieten.

Reicht denn die Matur nicht für einen Hochschulzugang? Eigentlich sollte die Matura reichen, doch leider ist dies heute nicht immer der Fall. Fazit ist, dass wir an der Universität teilweise sehr hohe Durchfall- und Studienabbrecherquoten haben. Da kann man entweder sagen: Die können es nicht. Oder die Studierenden können ihre Begabungen oder das zukünftige Berufsfeld nicht richtig einschätzen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Jemand, der Psychologie studieren möchte, stellt sich vor, dass er an der Universität gleich zu Beginn mit psychologischen Problemen konfrontiert ist, und ist sich nicht bewusst, dass am Anfang in erster Linie sozialwissenschaftliche Methoden vermittelt werden. Weil er Statistik nicht mag, bricht er das Studium ab. Das nennt man „adverse selection“, und an dieser Stelle werden die Universitäten in Zukunft wahrscheinlich bedeutend mehr machen müssen.

Besonders begabte und leistungsbereite Schülerinnen und Schüler von uns studieren parallel zur gymnasialen Ausbildung bereits an der Uni Basel. Warum bietet die Uni das an? Dieses Programm für die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten läuft sehr gut bei uns! Wir bieten damit eine spezielle Chance für die besonders begabten und die reifen Schülerinnen und Schüler. Leider hat es dies zu meiner Zeit nicht gegeben. Ich wäre sicherlich auch eingestiegen, weil es mir in den letzten zwei Klassen des Gymnasiums zeitweise ziemlich langweilig war.

Was sind die gravierendsten Unterschiede zwischen dem ausgedienten Lizentiatssystem und dem neuen Bologna-System? Im Gegensatz zum Liz-System sind die Studierenden mittlerweile „Punktejäger“ geworden, die genau wissen, wie sie ihre Credit Points bekommen können. Sie sind klug und richten sich nach den Anreizen, die dieses System bietet. Sie verzichten auf Fächer, die nicht unbedingt notwendig sind, weil sie ja überall Prüfungen ablegen müssen. Der Impact des alten und neuen Systems wurde bis anhin meines Wissens noch nie gesamtheitlich evaluiert. Vor allem die Frage, ob die Absolventinnen und Absolventen über die gleichen, über mehr oder über weniger Kompetenzen verfügen, ist offen. So haben mir Kollegen aus der juristischen Fakultät berichtet, dass ihre Absolventinnen und Absolventen teilweise Mühe hätten zu plädieren und sich diese Kompetenz erst im Berufsalltag aneignen würden.

Wie sieht die Bildungslandschaft Nordwestschweiz in zwanzig Jahren aus? Basel wird immer noch ein Juwel sein! Wir werden die Universität finanziell stabilisieren, sodass wir in dem für uns sehr wichtigen Shanghai-Ranking weiter nach vorne kommen. Wir werden auch die Chancen nutzen, die der Life-Sciences-Cluster der Region bietet. Es gibt keine Region in der Schweiz, die in diesem Bereich ein so grosses Potential hat – da liegt für uns die Zukunft: für die Universität, für die Industrie und die Gesellschaft. Ferner werden wir einerseits die Zusammenarbeit mit der ETH, aber auch diejenige mit der Fachhochschule, verstärken und die Infrastruktur vermehrt gemeinsam nutzen.