Leidenschaft lohnt sich!

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Musik braucht Leidenschaft und vermittelt Emotion. Kultur entsteht jedoch nicht ohne Geld. Im November 2016 erlebte die Klasse 2MZ im Rahmen des Projektes „Schule macht Orchester“ angewandten Wirtschaftsunterricht im Workshop mit Marcel Falk, dem Geschäftsführer des Kammerorchesters Basel (KOB).

von Daniel Nussbaumer (Text und Fotos)

„Warum seid ihr hier beim Kammerorchester?“, fragt Marcel Falk vom KOB die 19 Schülerinnen und Schüler der 2MZ um halb neun Uhr morgens im Renaissance-Festsaal des Ackermannshofs in Basel. Daniel Fasnacht, der die Klasse im Grundlagenfach Wirtschaft und Recht zwei Semester lang unterrichtet, gibt die Antwort gleich selber: „Weil ich das wollte. Sie mussten also herkommen.“ Die Frage nach der Motivation im Beruf und vor allem diejenige nach dem Geld, das es braucht, damit Kultur- und Bildungsprojekte zustande kommen, wird die Klasse einige Stunden lang beschäftigen.

So findet an diesem Morgen angewandter Wirtschaftsunterricht statt: Mit welchen Anspruchsgruppen wirtschaftet das „Unternehmen“ Kammerorchester und welche Zielkonflikte ergeben sich daraus? Betriebswirtschaftslehre pur, heute allerdings geleitet vom Geschäftsführer Marcel Falk selber, der eben genau diese Ansprüche erfüllen und ausgleichen muss, damit das KOB überleben und die Musikkultur bereichern kann. Anfänglich unterdrückt mancher Jugendlicher noch ein Gähnen, einige wären bei vier Grad Kälte wohl lieber im Bett geblieben. Aber ein Blick aufs Profil der Klasse bestätigt: Hier sitzen Gymnasiasten mit den Schwerpunktfächern Musik und Bildnerisches Gestalten, deren berufliche Zukunft durchaus im Kulturbetrieb oder in der Kulturproduktion liegen kann. Ein zweiter Blick in die Runde zeigt, dass darunter zumindest eine Jazzsängerin und ein Hardrock-Schlagzeuger mit Bühnenerfahrung sind, die ihre eigene Arbeit bereits vermarkten müssen. Und so dauert es denn auch nicht lange, bis allen klar ist: Hier bleibt der BWL-Stoff nicht graue Theorie. Die Lernenden erwerben am Beispiel des Kammerorchesters praktisches Wissen über Finanzierung und den Umgang mit Zielkonflikten zwischen Lieferanten, Mitarbeitern, Geldgebern, Staat, Öffentlichkeit, Konkurrenten, Publikum respektive Kunden und Veranstaltern. Das geschieht an diesem Morgen in einem mehrfachen Zugriff: Zunächst leitet der Geschäftsführer des KOB selber ins Thema ein und stellt sein Expertenwissen zur Verfügung. Anschliessend definieren die Schüler mit der didaktischen Methode des Gruppenpuzzles die Ansprüche der Sponsoren, des Staates, des Publikums und der externen Veranstalter und setzen einander darüber in Kenntnis.

Einen direkten Einblick in die Sicht der Sponsoren bieten an diesem Workshop Laura Wichmann und Dominik Werner von der Lonza. Die beiden sind beim Chemie-Unternehmen für die Kommunikation zuständig und verdeutlichen, dass der Druck der Öffentlichkeit, Anleger und der Kunden auf die Unternehmen gewachsen ist, sich sozial zu engagieren. Es wird auch politisch diskutiert, inwieweit Firmen verpflichtet werden können, verschiedene Grundsätze der Nachhaltigkeit einzuhalten. Lonza will sich lokal positionieren als ein Unternehmen, das sich für Bildung und die Jugend einsetzt. Deshalb unterstützt die Firma das „Klassenzimmerstück“ des Kammerorchesters, bei dem eine Gruppe von Musikern direkt in den Schulklassen ein Theaterstück aufführt, das den Schülern das Leben und Arbeiten für die Musik und das Orchester näherbringt.

Zielkonflikte zwischen den Anspruchsgruppen

Den sinnlichsten Zugang zum KOB bietet der Workshop dann mit einem Besuch der Probe von Nicola Antonio Porporas Weihnachtsoratorium „Il verbo in carne“ in der alten Druckereihalle. Die Klasse darf sich direkt zu den Musikern setzen, einer kleinen Formation aus Cembalo, Cello, Theorbe und drei Sängern. Die Musiker empfangen die Klasse mit Humor und führen kurz ein, dass sie die Rezitativstellen des Werkes proben möchten. Das hört sich zunächst vertraut an, bis einer der Sänger in einer Tonlage zu singen beginnt, die man sich nur von einer Frau gewohnt ist. Der Kontratenor löst bei den Jugendlichen doch Verwunderung, ja Verstörung aus, die – zurück im Besprechungssaal – erörtert wird. Jetzt sind definitiv alle wach und es geht auch wirklich ans Eingemachte. Marcel Falk erklärt, dass das KOB in Einzelprojekten arbeitet. Die Proben bei einem erstaufgeführten Stück müssten auch festlegen, ob die musikalische Qualität trage oder ob das Werk zu kürzen sei, und das zwei Tage vor dem Konzert und eine Woche vor der CD-Aufnahme! Falk sagt: „Unsere Musiker können eigentlich alles spielen, was in den Noten steht. Deshalb wird ein Werk in zwei bis drei Tagen erarbeitet, es geht vorrangig um Fragen der Interpretation und der Gestaltung. Dann geht das Werk auf die Bühne, es bekommt etwa vier bis acht Aufführungen, vielleicht eine CD-Aufnahme, dann geht es zum nächsten Projekt.“ Die qualitäts- und inhaltlich orientierte Arbeit unterliegt jedoch mitunter Zielkonflikten zwischen den Anspruchsgruppen: Die Sponsoren hören gerne die grossen, bekannten Werke Beethovens 3., 5. ,7. Sinfonie, „Blockbusters“, wie sich Falk ausdrückt. Denn sie wollen primär mit Kunden und Geschäftspartnern networken. Sie wollen potenzielle Konsumenten und Abnehmerfirmen erreichen, das Publikum hingegen will nicht mit Werbung und Logos erschlagen werden und trotzdem günstige Konzerttickets. Der Staat wiederum verbindet seine Unterstützung in Basel mit programmatischen Vorstellungen und gibt kein Geld für populäre Musik. Er will auch weniger bekannte Musik am Leben erhalten, vor allem wenn sie einen Bezug zur Region hat. Das Kammerorchester will das ebenso. Es braucht jedoch auch Publikum, vor dem die Musiker als Virtuosen brillieren können. Mäzene schliesslich unterstützen Projekte, die ihren eigenen Vorstellungen entsprechen. Die Programmation wird zu einem Spagat, um den verschiedenen Ansprüchen zu genügen.

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Motivatoren

„Lohnt sich das?“, fragt der Wirtschaftslehrer den Geschäftsführer. Dieser aber ist selbst ausgebildeter Musiker und spricht vom inneren Feuer, das zuvor in der Probe loderte: Kurz vor der Aufführung noch an einzelnen Takten zu feilen, erst mit der Qualität zufrieden zu sein, wenn man in die Grossstädte der Welt eingeladen werde und wenn es bei der CD-Aufnahme hervorragend klinge, ja, das lohne sich! Nicht immer finanziell, aber von der Motivation her bestimmt. Und auch die Wirtschaftswissenschaften haben das schon definiert: Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie sieht den Lohn als einen der Hygienefaktoren, die zur Arbeitszufriedenheit beitragen, die jedoch nicht allein ausschlaggebend sind. Wichtiger sind die Motivatoren wie Erfolg, Anerkennung, Verantwortung. So sind sich Daniel Fasnacht und Marcel Falk wohl einig darin, dass die Motivation nicht nur beim Geld, sondern in der Verwirklichung einer Herzensangelegenheit liegt. Für die Musiker des Kammerorchesters bedeutet das auch, unbekanntere kompositorische Perlen zu entdecken und zu vermitteln, an der Interpretation und am Ausdruck zu feilen, Anerkennung durch Applaus zu bekommen. Jedoch läuft eben auch die Kulturmaschinerie nicht ohne den wichtigsten Schmierstoff: das Geld. Und um dieses Geld müssen die Kulturinstitutionen konkurrieren. Auch die gemeinsamen Projekte des Kammerorchesters mit dem Gymnasium Muttenz und mit der IBK unter dem Label „Schule macht Orchester“ kosten Geld. Es stammt von der Stiftung Mercator Schweiz, vom Kanton Basel-Landschaft und vielen weiteren Stiftungen.