von Brigitte Jäggi, Rektorin; Foto: Daniel Nussbaumer
Alexander von Humboldt ist in aller Munde: Vor 250 Jahren wurde das Universalgenie geboren und man erinnert sich an seine biologischen, geologischen, meteorologischen, geografischen, ethnologischen, kartografischen und agronomischen Studien. Dabei ist diese Aufzählung nicht einmal vollständig und vielfach war Humboldt zusätzlich bemüht, seine Erkenntnisse auch in die Praxis umzusetzen. So verbesserte er als Bergmeister die Arbeitslage der Arbeiter und entwickelte eine Grubenlampe.
Etwas weniger Aufsehen erregte vor zwei Jahren der 250. Geburtstag des Bruders von Alexander, des preussischen Gelehrten, Schriftstellers und Staatsmanns Wilhelm von Humboldt. Er war überdies Bildungspolitiker und formulierte das Humboldtsche Bildungsideal: eine ganzheitliche Ausbildung in den Künsten und Wissenschaften, um damit auch der Allgemeinbildung Genüge zu tun.
Doch ist dieser Anspruch auch heute noch gültig? Kann ein Bildungsideal, welches zu Beginn der Industriellen Revolution entstanden ist und vielleicht diese Wissensrevolution auch mitausgelöst hat, heute noch brauchbar sein? In einer Welt, in welcher das Digitale mehr und mehr das Analoge ersetzt?
Die Fragestellung klingt schwierig, die Antwort ist jedoch einfacher als gedacht: Die Rede ist nicht von den Humboldtschen Bildungsinhalten, sondern vom Bildungsideal. Folglich stellt sich die Frage, ob Ganzheitlichkeit wünschenswert geblieben ist, ob eine Ausbildung in Wissenschaften und Künsten den Anforderungen der Gegenwart genügt und was Allgemeinbildung heute noch bezweckt.
Heutzutage sollen weiterführende Schulen eine vertiefte Allgemeinbildung und Gesellschaftsreife vermitteln. Diesen Forderungen muss unsere Schule selbstredend entsprechen. Darüber hinaus unterstützen wir den Austausch mit anderen Kulturen, z. B. mit dem Projekt Nischnjie Selischtsche, zu welchem wir uns als Unesco-assoziierte Schule verpflichtet haben. Mit dem Label “MINT-aktives Gymnasium” engagieren wir uns nachdrücklich im Bereich der Naturwissenschaften, u. a. mit der Teilnahme an Wissenschaftsolympiaden. Neben der Wissensvermittlung soll die Gesundheit nicht zu kurz kommen: Abgesehen vom obligatorischen Sportunterricht wird in Freifächern und an Sporttagen den Lernenden eine nachhaltige Freude an Bewegung vermittelt. Damit Schülerinnen und Schüler zu aktiven Mitgliedern der Gesellschaft befähigt werden, erklären wir im Fach Politische Bildung die notwendigen Zusammenhänge und fördern eine eigene Meinungsbildung, indem wir z. B. Kandidierende für den National- und Ständerat zu Podiumsdiskussionen einladen.
Insofern bleibt das Humboldtsche Bildungsideal in der digitalen Wissensgesellschaft auch deshalb aktuell, weil wir es mit aktuellen Inhalten versehen haben. Dass damit Universalgenies wie Alexander von Humboldt entdeckt und gefördert werden, ist wohl heute kaum noch möglich. Das mag nach einem Verlust klingen. Doch die Erkenntnis, dass viele gut ausgebildete Talente, die zur Zusammenarbeit animiert werden, zu ähnlichen Leistungen befähigt sind, ist und gibt Anlass zu Freude und Hoffnung.
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