¡Esto ha cambiado! 

Spanisch verstehen nicht viele aus unserem Chor. Was nach dieser Woche aber bestimmt bei allen ein müdes Grinsen hervorlockt, ist der Satz: „Esto ha cambiado.“ Das hat sich geändert. Schuld daran sind sicher nicht nur die flexiblere Mentalität der Sänger*innen aus dem „Coro de Jóvenes de Madrid“ und der spanische Tagesrhythmus, den wir Schweizer*innen nicht gewohnt sind. Auch der Gym Chor Muttenz bewies auf dieser Reise sein ausgezeichnetes Talent für nervenkitzelnde Spontaneitäten. 

Text: Helena Bühler; Fotos: Gina Pelosi

Alles begann mit einem einarmigen Dirigenten. Die Mail von Herrn Huldi erreichte uns kurz vor unserer Abreise nach Madrid. Er habe seine linke Schulter verletzt und müsse seinen Arm in der Schlinge tragen. Eher ungünstig, wenn man bedenkt, dass uns eine Woche mit Proben und Konzerten bevorstand, die er dirigieren sollte. Trotzdem freuten sich alle auf eine tolle Chorreise nach Madrid. Für die einen war sie die ersehnte Belohnung nach der Abgabe der Maturarbeit, für die anderen eine musikalische Verlängerung der Herbstferien.

Unter der Begleitung von Christine Boog, Hanna Bächtold, Denise Bucher und Christoph Huldi reisten wir, aufgeteilt auf Zug und Flugzeug, nach Madrid. Als Gastchor des „Coro de Jóvenes de Madrid“, den wir während des letzten Europäischen Jugendchorfestivals beherbergt hatten, kamen wir in den Familien der Sänger*innen unter. Das bedeutete freudige Umarmungen, gebrochenes Englisch und einen dicken Kuss für Herrn Huldi und Frau Boog von Juan Pablo de Juan. Der spanische Dirigent ist meisterlich im wortlosen Ausdruck seiner Freude. Die Sprachbarriere machte das Zusammenreffen mit den Madrileñ@s also nicht weniger herzlich. Für eine etwas klarere Kommunikation zwischen den Chören sorgten ein paar Sänger*innen des „Coro de Jóvenes“, die besonders gut Englisch redeten. Sie begleiteten den Muttenzer Chor durch die ganze Woche, zeigten uns Madrid und sorgten dafür, dass alles rund lief – so rund es eben möglich ist, wenn zwei verschiedene Kulturen aufeinandertreffen und gemeinsam ein Konzertprogramm einstudieren.

„Hey, händ ihr gseh, morn hämmer scho es Konzert in Madrid!“ Ein fragender Blick. „Hä nei, das isch erst am Donnschtig, morn gömmer doch uf Segovia. S’Orchester isch jo morn gar nonig do. Das chunnt erst am Mittwuch uf Madrid.“ Unser Wochenplan stimmte doch tatsächlich nicht mit dem der Spanier*innen überein! Das konnte ja heiter werden. Konzerte, Proben, Stadtbesichtigungen, alles verschob sich und eine ständige Neuorganisation war angesagt.

Als hätte dieses Ereignis eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, lief von diesem Zeitpunkt an so einiges schief: Unsere Leiter*innen wurden der Reihe nach krank. Magendarmgrippe. Gleichzeitig erwischte es mehrere Sänger*innen unseres Chores mit einer starken Erkältung. Darunter auch Solist*innen, die folglich ersetzt werden mussten. Unserem Dirigenten Herrn Huldi fehlte schliesslich nicht nur die Bewegungsfreiheit seines linken Armes, sondern auch seine Stimme, und so musste Frau Boog das Dirigieren des Kammerchors und die Gesamtleitung übernehmen. Auch Juan Pablo de Juan sprang beim Auftritt in der Iglesia Parroquia María Auxiliadora ein und dirigierte nebst Bob Chilcotts „Five Days That Changed The World“ die „Misatango“ von Palmeri. Daraufhin kam ihm spontan die Idee, mit beiden Chören gemeinsam „Viva la Vida“ zu singen. Mehr als die Hälfte unseres Chores hatte dieses Lied jedoch noch nie aufgeführt, kannte weder den Text noch die Melodie wirklich, und in einer halben Stunde begann das Konzert. „Juan Pablo ändert manchmal fünfzehn Minuten vor dem Konzert das Programm. Es kommt auch vor, dass er um Mitternacht eine Chorprobe für den nächsten Morgen ansagt“, erklärte uns eine Spanierin. Für sie schien die Kurzfristigkeit ihres Dirigenten kein Problem zu sein und auch der restliche Chor wirkte entspannt. Da konnten wir vom Gym Chor in dieser Woche wohl einiges von den Spanier*innen lernen!

Zu den vielen Krankheitsfällen und dem unklaren Tagesablauf kamen die für uns verschobenen Zeiten. Schlafen und Essen fand grundsätzlich drei Stunden später statt als in der Schweiz. Am ersten Tag warteten wir also vergeblich auf die Mittagspause. Unsere Mägen knurrten, die Konzentration liess nach. Als wir um drei Uhr endlich Zeit zum Essen bekamen, waren wir so hungrig, dass wir es noch knapp bis ins nächste Restaurant schafften. Daraus hatten wir eine Lehre gezogen. Für den Rest der Woche rüsteten wir uns mit Snacks und Getränken aus, um eine weitere Hungersnot zu verhindern.

Die drei Konzerte fielen trotz chaotischem Drum und Dran erstaunlich gut aus. Das gehört wohl zu den grössten Qualitäten des Gym Chor Muttenz: Wenn es drauf ankommt, liefert er ab! Zwei Konzerte sangen wir in Madrid selber zusammen mit dem spanischen Chor, eines in der Iglesia Parroquia María Auxiliadora, das andere in der Basílica la Milagrosa. Beide Chöre gaben ausser den Werken von Palmeri und Chilcott einen Teil ihres Repertoires zum Besten. Das dritte Konzert sang der Gym Chor alleine. Für diesen Auftritt in der Iglesia de la Compañía de Jesús statteten wir dem mittelalterlichen Städtchen Segovia einen Besuch ab. Und was für eine Freude: Auch das Orchester war bis dahin in Madrid angekommen und konnte immerhin an einem der Konzerte mitspielen!

Die Auftritte dauerten im Durchschnitt bis um halb zwölf. Anschliessend kehrten wir zurück in unsere Gastfamilien, wo dann erst das Abendessen serviert wurde. Oft sassen wir also bis um halb zwei am Tisch und plauderten mit unseren Gastgeber*innen. Bei den meisten fand das mit Händen und Füssen statt. Aber es klappte. Die Familien nahmen uns sehr herzlich auf, wollten viel von der Schweiz wissen, machten uns mit ihrer Kultur bekannt und sorgten dafür, dass wir am nächsten Tag zum jeweiligen Treffpunkt fanden. So waren die Tage voll mit neuen Sinneseindrücken und an den Abenden fielen wir wie Kartoffelsäcke ins Bett. „In Madrid gömmer denn fett in Usgang“, hatte es vor der Reise geheissen.

Unseren Ausgang haben wir definitiv bekommen. Nicht so, wie wir ihn uns vorgestellt hatten, aber auf jeden Fall genauso aufregend. Die Reise hatte turbulent begonnen, und so ging sie auch zu Ende. Unser Lokführer liess uns auf der Heimfahrt nämlich kurzerhand im Stich. Mitten in Figueres, einem Kaff an der Grenze zu Frankreich. Ein Streik. Also packten wir unsere Noten aus, stellten uns auf das Perron und sangen ein letztes Mal unser Chor-Repertoire. Zur Freude der wartenden Passagiere! Die Verspätung brachte zwar eine weitere Nacht in Paris mit sich, aber dafür haben wir eine Geschichte mehr, die wir erzählen können, und ein weiteres Ereignis, das den Chor zusammengeschweisst hat.