von Daniel Nussbaumer (Text und Bilder)
Nichts gegen die 80er Jahre. Sind wir nicht damals mit Träumen aus „Fame“ und „Flashdance“ vor dem Kalten Krieg geflüchtet? Haben wir uns nicht mit „Material Girl“ von Madonna vor den stummen Schreien der hungernden äthiopischen Kinder die Ohren verstopft? Haben wir uns nicht mit „Kuschelrock 1 bis X“ so in der Adoleszenz eingelullt, dass wir einen zweitklassigen Westernschauspieler in der Rolle des amerikanischen Präsidenten und eine eiserne Lady an der 10 Downing Street als die grösstmöglichen Regierungsirrtümer der Welt hinnahmen? Fragen über Fragen und Memories über Memories.Warum jedoch hat unser interdisziplinärer Musical-Wahlkurs – beteiligt sind die Fächer Musik und Englisch – ausgerechnet diese abgegriffene Nummer aus Andrew Lloyd Webbers Kitschkiste gezogen? „Cats.“ Moment mal! „Rats“, nicht „Cats“? Wer weiss, vielleicht verpassen unsere Schüler*innen dem Evergreen ja mal so etwas wie eine Handlung und unser rattenscharfer Verstand bekommt mehr Arbeit, als sich unaussprechliche Katzennamen zu merken, wie Old Deuteronomy, Munkustrap, Skimbleshanks, Mungojerry und all die anderen Zungenbrecher der Figurenliste am Ende dieses Beitrags.
Setzen wir uns also im Roxy in die erste Reihe und führen uns vor Augen und Ohren, ob es der Truppe gelingt, den Kitschklassiker zu entstauben und uns zugleich zu begeistern. Spoiler: Die Jugendlichen schaffen das mit witzigen Inszenierungsideen, leidenschaftlicher Spiel- und Bewegungsfreude und mit Stimm-Talent unter der Leitung von Franziska Baumgartner und Karolina Kowalska. Und so ist es denn die Uraufführung eines eigenen Stückes, das wir zu sehen bekommen.
Der erste Blick auf die Bühne irritiert schon mal. Ausstattung fürs Schauspiel ist reichlich vorhanden. Wo in dieser bühnenwirksamen Müllhalde inklusive Kanalrohr als natürliches Habitat der Ratten soll denn aber das Orchester oder die Band spielen?
Die Band, das sind schlicht und einfach der Musiklehrer Jürg Siegrist an Keyboard 1 und die Musikmaturanden Enrico Nitihardjo an Keyboard 2 sowie Yannick van Diest am Elektroschlagzeug, ergänzt mit dem Bassisten Vito Cadonau. Zu viert kreieren Sie das Klangpodest, auf dem der Gesang der Truppe aufbaut, alles geregelt und beleuchtet von Lukas Schweizer am Mischpult.
Von der eigentlichen Inszenierung und Handlung sei hier nichts verraten, denn es folgen noch drei weitere Vorstellungen. Hier nur so viel: Die Mädels und Jungs machen ihren Job: Sie können zunächst mal sehr gut singen. Sie sind zudem in ihren Kostümen und in ihrer Maske so verwandelt, dass sie zum Teil kaum mehr erkennbar sind. Und sie spielen zur Freude des Publikums ihre Rollen mit Lust und Intensität. Wir hören Schüler*innen Soli singen, die wir bis jetzt nur im Chor oder gar nicht singen gehört haben. Wir erleben ein Zusammenspiel von Musik, Choreografie und Schauspiel, das uns bestens unterhält und immer wieder auch so berührt und in Staunen versetzt, dass wir nicht wissen, ob wir zur Applaus-Unterstützung fiepen oder miauen wollen.
Und was ist nun mit „Memory“, dem Kuschelrock-Ohrwurm der 80er-Jahre schlechthin? An verschiedenen Stellen des Musicals klingt die Melodie zuerst an, auch mal im Chor der Company, hauptsächlich jedoch als Solo – unbeeindruckt von all den Referenzstimmen des Musical-Business, die sich an seiner Klimax schon abgearbeitet haben, gesungen von Gina Pelosi alias Grizabella – die richtige Besetzung für eine Figur, die zum Ausdruck bringt, dass sie schon mehr vom Leben gesehen hat als die Sonnenseite und dass es sich manchmal lohnt, von einer neuen Hoffnung zu träumen: „Look a new day has begun.“
Mit Bildern sind wir in diesem Beitrag noch etwas geizig. Es folgen weitere Beiträge im gedruckten Entfalter und auch hier im Blog. Es spielen:
Helena Bühler: Munkustrap; Gina Pelosi: Grizabella; Jacqueline Balosetti: Mungojerry; Milena Brogly: Jellylorum; Zoé Menzinger: Skimbleshanks; Leonie Näf: Jemima/Sillabub; Enrico Nitihardjo: Old Deuteronomy/Piano; Laura Schäfer: Ms Mistofelees; Alexandra Brecht: Bombalurina; Lara Flückiger: Demeter; Giuseppe di Benedetto: Rum Tum Tugger; Anna Gygli: Victoria; Mischa Stebler: Asparagus; Yannick van Diest: Macavity/Drummer Rat; Selina Widmann: Etcetera; Milena Zarkovic: Jennyanydots; Lisa Güetli: Rumpleteaser; Jeyapiragash Jeyapalan: Coricopat; Dilara Kökhan: Tantomile; Cassandra Mawad: Cassandra; Dominique Hänggi: The director.
3 Gedanken zu “„Rats“ – alles andere als Katzenjammer”
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