von Timo Kröner und Daniel Nussbaumer
Gerda Huber leitet seit 2006 die Hochschule für Life Sciences an der FHNW, der Fachhochschule Nordwestschweiz in Muttenz. Durch ihre Postdoc-Zeit am Friedrich-Mielscher-Institut und Stationen in der pharmazeutischen Industrie kennt sie die Institutionen und Orte, an denen Life Sciences betrieben werden, aus bester Erfahrung.
Frau Professor Huber, Sie werben für die Life Sciences an der FHNW mit dem Spruch: „Studieren, um die Welt zu verändern? Mach den Bachelor in Life Sciences!“ Es würde uns zum Einstieg interessieren, wie man mit einem Bachelor in Life Sciences die Welt verändern soll.
Indem man einen Job in der Industrie oder bei einem anderen Arbeitgeber hat, bei dem es wirklich darum geht, innovativ und kreativ etwas aus seinem gesamten Life Sciences-Rucksack beizutragen, den man sich während des Studiums erworben hat. Das kann in der Pharmaindustrie, in der diagnostischen Industrie, bei einem Umweltamt, einer Behörde für Abwasserreinigung oder einem Medizintechnikunternehmen sein – ein ganzes Spektrum also, in das man sich einbringen und wo man mithelfen kann, die Welt zu verändern.
Können Sie uns ein Beispiel nennen, bei dem sich eine neue Technologie von der FHNW etabliert hat?
Ein laufendes Projekt in Zusammenarbeit mit einem Diagnostikhersteller entwickelt neue Methoden, um bei der Anwendung von Immunsuppressiva nachprüfen zu können, ob es nach Organtransplantationen zu Abstossungen kommt. Andere Beispiele sind die Jungunternehmen, die aus unseren Innovationen heraus gegründet werden. Eines davon kann mit einer bei uns erfundenen Technologie, die patentiert wurde, wie bei einem Fischernetz spezifische Stoffe aus einer Flüssigkeit herausnehmen. Mit einem speziellen Angelhaken in dem Fischernetz auf Molekülbasis kann damit also z. B. lactosefreie Milch erzeugt werden. Mit einem anderen Angelhaken können aber auch aus Abwasser andere Stoffe herausgefiltert werden.

Wie viele machen den Bachelor in Life Sciences und wie viele studieren danach weiter bis zum Masterabschluss?
Wir haben hier eine Hürde eingebaut. Es darf jeweils nur das beste Drittel der Bachelor-Absolventen das Masterstudium antreten. Und von denen machen dann relativ viele den Master, einige bei uns. Man kann aber auch an eine andere Fachhochschule oder an die Uni wechseln.
Inwiefern kann ein Life-Sciences-Abgänger von seiner fachwissenschaftlichen Kompetenz her solche Innovationen, wie Sie sie beschrieben haben, tatsächlich machen?
Life Sciences sind sehr interdisziplinär und je länger, desto weniger rein naturwissenschaftlich. Dazu gehört bei uns auch das Beherrschen von Informatik und anderer Aspekte aus den Ingenieurswissenschaften. Life Sciences beinhaltet Naturwissenschaften wie Chemie, Biologie, Physik, Mathematik, aber auch das Steuern von Anlagen, also eher technisches Wissen. Einen weiteren wichtigen Bereich bilden die sogenannten Soft Skills, die für die beschriebenen Tätigkeiten ganz wichtig sind. Das Vermitteln von Teamfähigkeit, von Kommunikationsfähigkeit und vom Umgang mit interkultureller Diversität ist eine besondere Herausforderung. So trainieren unsere Studierenden in Projektarbeiten die Projektorganisation und das Zeitmanagement, auch gerade in der Bachelor-Arbeit. Die Studierenden werden dabei nicht allein gelassen, sondern es unterstützen sie ein Dozent und gegebenenfalls auch ein Praxispartner. Die Studierenden müssen dann organisatorisches und fachliches Denken vernetzen. Wir üben das in Projekten und Summer Schools, z. B. am Meeresforschungsinstitut in Kiel. Unsere Studierenden lernen so, mit Leuten effizient zusammenzuarbeiten, die sie nicht kennen, und das noch in einem fremden Umfeld. Es besteht auch die Möglichkeit, Auslandsemester zu machen an einer Partnerinstitution. Wir bieten auch Studienreisen gemeinsam mit den Hochschulen für Soziale Arbeit und für Wirtschaft. Diese sind kompetitiv ausgelegt. Man muss sich dafür bewerben, ein Motivationsschreiben erstellen. Unsere Studierenden gehen dann eine Zeit lang nach China, nach Amerika oder nach Indien.
Was sollten unsere Lehrpersonen in den Naturwissenschaften vermitteln und wie beurteilen Sie das, was unsere Schülerinnen und Schüler vom Gym und der FMS mit Fachmatura an Kenntnissen mitbringen?
Die Studienanfänger müssen das Knowhow der Berufsmaturität mitbringen. Wenn sie dieses mit einer gymnasialen Matura nicht mitbringen, so müssen sie es in einem Praxisjahr noch erwerben. Zudem müssen sie über eine gute Lernmethodik verfügen. Sie müssen wissen, wie man selbständig lernt.
Welches Verständnis von Naturwissenschaften sollte an Mittelschulen unterrichtet werden?
Es soll ein möglichst hohes fachliches Niveau angestrebt werden. Für uns ist das naturwissenschaftliche Grundwissen wichtig und wir bedauern es, dass bei den Berufsmaturitäten hier eher gekürzt wird.
Sie leiten als Frau die FH, was können Sie unseren Schülerinnen als Ratschlag für die berufliche Laufbahn mitgeben? Und wie gehen Sie mit dem Geschlechterthema an der FH um?
Ich persönlich bin immer gleich behandelt worden. Aber: Ich war ehrgeizig, habe viel gelernt und hatte immer eine hohe Leistungsbereitschaft. Und wenn eine Frau oder ein Mann – da mache ich keinen Unterschied – bereit ist und sagt: „Ich will das!“, dann kann man das.
Vor meiner Zeit an der FH war ich Direktorin der Vorgängerinstitution der FHNW in Solothurn und leitete dort den Ingenieur-Bereich. Es gab ausser mir noch zwei Frauen, alles andere waren Herren. Und die Studenten waren zu ungefähr 99% junge Männer. Da habe ich das erste Mal gemerkt, dass es einen Geschlechterunterschied gibt im Studien- und Berufsumfeld.
Als Drittes möchte ich den Punkt „Frau – Familie – Karriere“ ansprechen. Je höher man sich karrieremässig entwickeln will, desto schwieriger ist es, z. B. Job-Sharing zu machen. Auf Projektebene geht das, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Aufgabe mit Linienführung und mit Mitarbeiterführung geteilt werden kann. Deswegen empfehle ich jungen Frauen, möglichst schnell Kinder zu haben, damit sie sich dann, wenn die Kinder gross sind, zeitlich wieder voll der Karriere widmen können.
Im Übrigen befürworten es Unis und FHs sehr, dass man in einem frühen Stadium der Ausbildung Kinder und Karriere kombinieren kann. Das erfordert natürlich auch ein Umfeld – also einen Vater, der bereit ist, das mitzutragen und seinen Teil zu machen. Ich glaube, da hat es einen Bewusstseinswandel bei jungen Männern gegeben. Sie sehen es als normal und wünschenswert an, dass ihre Frau Karriere machen kann. Und die Arbeitgeber sind auch zunehmend offen dafür. Wir sind aber noch nicht so weit wie andere Länder auf der Welt, in denen es das Tageskrippensystem gibt.
Und wie wird das Thema an der Fachhochschule behandelt?
Die FHNW hat die Frauenförderung auf einer hohen Prioritätsebene. Wir an der Hochschule für Life Sciences laden Frauen aus der Industrie ein und bieten Diskussionsplattformen für junge Studentinnen und auch für Studenten und Mitarbeitende. Dort kann dann über Rollenmodelle, Arbeit und Alltag, Familie und Karriere diskutiert werden. Oder wir besuchen Firmen und schauen uns an, wie dieses Thema gehandhabt wird. Wir waren schon bei Roche oder hatten Führungsfrauen von der Novartis bei uns. Weiter machen wir jährlich einen Workshop zum Thema „Auftrittskompetenz“. Damit wollen wir den Studentinnen zeigen, wie man sich präsentiert und die eigene Aussenwirkung verbessert.
Zum Schluss möchten wir gerne wissen, wie Sie das Verhältnis zwischen der Fachhochschule und der Universität sehen. Bundesweit sind die Fachhochschulen ja auf dem Vormarsch. Was unterscheidet einen FH-Abschluss von einem Uniabschluss?
Direkt beim Bachelor-Abschluss hat der Unterschied eine gewisse Grössenordnung. Fünf Jahre danach gibt es wahrscheinlich keine grossen Unterschiede mehr. Der Unterschied ist der Werdegang und der Praxisbezug. Wenn jemand drei oder vier Jahre lang eine Lehre in einem industriellen Umfeld macht, weiss er, wie eine Firma funktioniert. Man macht diese Erfahrungen ja automatisch z. B. dass das Budget immer im September ein Thema beim Chef ist oder dass es bei einem Auftrag Zeitdruck gibt. Das ist bei FH-Absolventen an dem Tag des Abschlusses da. Bei jemandem, der nach der gymnasialen Matura an die Uni geht, ist dieses Wissen nach dem Abschluss noch gering – wobei sich dieser Unterschied nach 2 oder 3 Jahren aufgehoben hat.
Man kann ja aus mit der Fachmaturität wie auch mit der Lehre sowohl an die Fachhochschule als auch via Passerelle an die Uni gehen, umgekehrt kann man mit einer gymnasialen Matur direkt an die Uni gehen oder mit einem Praxisjahr an die Fachhochschule. Den Hauptunterschied macht nach wie vor der Praxisbezug aus.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.