von Urs Martin, Konrektor, und Jürgen Kräftner von Nestu
Spürbare Begeisterung
Eine Reise im Herbst 2006 mit der Familie nach Nischnje Selischtsche. Streifzüge durchs Dorf, Begegnungen, Diskussionen am Abend und gemeinsames Arbeiten vermittelten mir das tiefe Gefühl, dass hier starke Kräfte vorhanden sind, die einen Weg in die Zukunft suchen. Ein Besuch in der dortigen Schule zeigte eine Aufbruchstimmung, die den Glauben an eine positive Zukunft nährte nach dem Motto: „Wir haben wenig, aber wir machen viel daraus.“ Statt Projektor und Beamer gab es einen Kleiderständer auf Rollen, an den Kleiderbügeln hingen selbst gemalte Plakate auf Packpapier. Im Gespräch mit Oleksander Lipchey, dem Schuldirektor, nimmt dann das Projekt Gästehaus Gestalt an. Ich zitiere hier aus dem Projektbericht:
Hintergrund
Der Umbau des alten Schulgebäudes von Nischnje Selischtsche in ein Jugendgästehaus war von Beginn an ein Schweizerisch-Ukrainisches Kooperationsprojekt auf Grassroots-Level. Der Konrektor des Gymnasiums Muttenz ermutigte seinen Kollegen in Nischnje Selischtsche, Oleksandr Lipchey, dazu, den Wunsch nach einer Empfangsstruktur für die vielen Jugendanlässe in diesem Dorf umzusetzen.
Nischnje Selischtsche ist ein 3000 Einwohner grosses Dorf in den ukrainischen Karpaten, 20 km von der rumänischen und 40 km Luftlinie von der ungarischen Grenze entfernt. Der grössere Teil der Bevölkerung lebt von Saisonarbeit in anderen Regionen der Ukraine, häufig auch im Ausland. Dieses Gebiet ist zum Glück nicht direkt von den aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine betroffen. Doch breite Teile der Bevölkerung leben infolgedessen am Existenzminimum.
Projektgeschichte
Seit den 1990er Jahren gibt es in Nischnje Selischtsche eine Niederlassung der Europäischen Kooperative Longo mai. Deren Mitglieder haben im Laufe der Zeit mit der Bevölkerung eine Reihe von Projekten realisiert: Eine Dorfkäserei nach Schweizer Vorbild, die Wiedereröffnung des Kindergartens und des Kulturhauses, eine Komposttoilettenanlage und eine Trinkwasserleitung für die Dorfinstitutionen.
Auch im Bereich der Kultur sind auf diesem Nährboden aussergewöhnliche Projekte entstanden. Gut 50 Kinder und Jugendliche proben regelmässig im Theaterstudio Tschiga-Biga. Die hier geleistete Theaterpädagogik ist aus dem Dorf nicht mehr wegzudenken; sie integriert Kinder aus mittellosen Familien, erweitert den Horizont der jungen Generation und ermuntert sie zu Eigeninitiative.

Der Lehrkörper der Gemeindeschule von Nischnje Selischtsche trägt ebenfalls dazu bei, dass der soziale Zusammenhalt hier besser ist als in vielen anderen Dörfern der Region. Die Absolventen sind überdurchschnittlich erfolgreich. Der Sport trägt das seine dazu bei: Im Volleyball messen sich die Jugendlichen erfolgreich auf nationalen und internationalen Wettbewerben und die Schule organisiert Turniere mit Beteiligung aus der Region und den Nachbarländern. Für diese Aktivitäten braucht es dringend eine Unterkunft für Gruppen. Das leerstehende ehemalige Schulgebäude im Dorfzentrum bot sich für einen Umbau sehr gut an.
Kochen, Backen, Schöpfen
Zurück in der Schweiz entschloss sich die Schule dazu, die Idee zu ihrem Projekt zu machen. Waren es zu Beginn vor allem Lehrpersonen, die sich zum Kochen, Backen und Schöpfen zusammen fanden, so kamen nach und nach auch Klassen und Schülergruppen dazu. Der erste Event war ein Suppenessen mit Borschtsch, der Suppe, die im Osten Europas weit verbreitet ist. Es folgten weitere Mittagessen, Kuchenverkäufe und Konzerte.
Sichtbare Erfolge
Im Sommer 2008 konnten dann etwas mehr als Fr. 30‘000 in die Ukraine überwiesen werden. Damit konnte die Aussenhülle des Gebäudes renoviert werden. Im Jahre 2013 erfolgte die Eingabe eines Gesuchs an den Lotteriefonds Basel-Landschaft um Unterstützung in der Höhe von Fr. 60‘000. Auch wegen der Vorgeschichte mit dem Gymnasium Muttenz wurde dem Gesuch 2014 entsprochen. So konnten das alte Schulhaus endgültig seinem neuen Zweck zugeführt werden.
Persönliches Fazit
Für mich war beim Projekt die Wirkung in die Schule hinein ebenso bedeutsam wie die Hilfe nach aussen. Den Jugendlichen die Erkenntnis zu vermitteln, wie gut es uns geht, wie viele andere bedeutend schlechtere Lebensbedingungen haben und wie einfach es ist, hier in bescheidenem Rahmen zu helfen.
Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen im Foyer beim gemeinsamen Essen zu sehen wog den intensiven Einsatz beim Vorbereiten bei Weitem auf. Folgerichtig war dann auch die Fortsetzung dieser Tradition. Der Erlös unserer Mittagessen ging später an die Glückskette, an die Gassenküche und andere Institutionen. Zuletzt haben wir mit unseren Aktionen die Erdbebenopfer in Nepal unterstützt.
Weitere Informationen: www.nestu.org.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.