von Daniel Nussbaumer (Text, Fotos, Video)
Bleistiftkritzeln, Streicherklang, ein schneller Akkordeonlauf, dann Stille. „Okay, auch da müssen wir mit dir atmen“, sagt Konzertmeisterin Yuki Kasai zur Akkordeonistin. Und gleich setzt das Orchester wieder ein und spielt Haydns Klavierkonzert in G-Dur. Die Rolle des Klaviers übernimmt im Arrangement des Kammerorchesters Basel das Akkordeon. Das Kammerorchester probt im Foyer des Gymnasiums Muttenz, jetzt begleitet von zwei Klassen, die ihre Beobachtungen in Schreibaufträgen formulieren und die Musikerinnen und Musiker in Aktion auf Papier zeichnen. In einer Passage fehlt dem Akkordeon das klangliche Gewicht des ursprünglich vorgesehenen Klaviers. Yuki Kasai lässt das Akkordeon mit dem Kontrabass unisono spielen. „Das klang schon sehr, sehr geil!“, wirft ein Cellist in die Runde. Dieselbe Passage mit den beiden Celli statt mit dem Bass überzeugt das Orchester noch mehr. Es folgt das Ausprobieren verschiedener Varianten. Lärm von aussen. Jemand weist Yuki Kasai darauf hin, dass Pause ist. Sie aktiviert das auf dem Boden liegende iPhone mit dem Geigenbogen, checkt die Zeit und unterbricht die Probe. Das Kammerorchester arbeitet im Lektionentakt des Gymnasiums. Das ist für die Musiker eine neue Erfahrung.
Die Pause ist um, die Musiker haben sich mit Kaffee gestärkt. Die Zeichenklasse ist immer noch da, die Deutschklasse hat die Probe verlassen. Hinzu gekommen ist eine Musikklasse. Die Lernenden erleben hautnah, wie die Profis arbeiten: „Ihr müsst euch da finden auf der Eins von 81“ und „Noch ein bisschen mehr schieben!“ lauten Yuki Kasais Anweisungen. Dass das Kammerorchester in einer Schule probt, ist eine gemeinsame Idee seines Geschäftsführers Marcel Falk und unseres Chorleiters und Musiklehrers Christoph Huldi. Die Musiker spielen die Musik also nicht nur, sie vermitteln sie auch, werben dafür bei der Jugend. Das Kammerorchester und die Kulturförderung der Stadt Basel sowie alle Freunde der klassischen Musik wünschen sich nicht zuletzt eine Verjüngung des Publikums: Der sprichwörtliche Silbersee unter dem Orchester soll sich wieder blond, braun, rot und schwarz färben. Das neue Marketingkonzept erfordert von den Musikern die Bereitschaft, sich auch auf nichtprofessionelle Arbeitsbedingungen einzulassen: ein nicht abschaltbares Lüftungsgeräusch im Foyer, Husten und Geflüster unter den Zuhörern, Getrampel im Treppenhaus. Es ermöglicht handkehrum einen Kontakt und einen Wissensaustausch, der sonst nicht stattfinden könnte. So schielt ein Geiger immer wieder auf die Zeichnung, die neben ihm entsteht. Unsere Schülerinnen und Schüler bekommen in speziellen Workshops nächste Woche auch Einblick in das Marketing einer renommierten Kulturinstitution. Der australische Trompeter Simon Lilly spricht heute Morgen mit zwei Klassen in seiner Muttersprache über sein Instrument, seine Arbeit und darüber, wie er seinen Alltag organisiert. In einem Projekt des pädagogischen FMS-Berufsfeldkurses Gesprächsführung dreht sich alles um die Kommunikation im Orchester. Der Philosoph und Musikpädagoge Peter Dellbrügger und der Klarinettist Etele Etosa bereiten heute Nachmittag die Schülerinnen und Schüler mit Informationen und Aufträgen auf die Orchesterprobe vor und werten die Beobachtungen anschliessend zusammen mit der Psychologielehrerin aus.
Die Kommunikation der Streicher mit der Akkordeonistin hört sich inzwischen so an: „Wir haben Schwierigkeiten bei 125, dass wir mit deiner linken Hand gehen.“ Yuki Kasai drückt es so aus: „Wir sind jetzt ein bisschen unter Tempo. Bis jetzt warten wir einfach so. Wir müssten dich aber auch ziehen dürfen.“ Und für Laien weniger verständlich: „Wir hängen auf einem Sextakkord, sie spielt aber zu Ende, das passt nicht. Kannst du es so enden, dass wir dann weitergehen?“ Konzertmeisterin Yuki Kasai, Ex-Schülerin des Gymnasiums Muttenz, sagt aber auch Sätze, die so universal verständlich sind wie die Sprache der Musik: „Lass uns das so denken…“ und – ein passendes Motto für die Begegnung und Zusammenarbeit von Orchester und Schule –:„Da müssen wir wieder zusammen atmen“. Das Gymnasium Muttenz freut sich und ist stolz darauf, während dieses Schuljahres das Kammerorchester Basel für mehrere Proben und gemeinsame Projekte bei sich beherbergen zu dürfen.
2 Gedanken zu “Zusammen atmen!”
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