Wiederholt sich die Geschichte?

von Willi Ebert (Foto: Stefan Haltinner)

In Westafrika haben Ethnologen einen Stamm beschrieben, der an die Wiedergeburt glaubt. Wer stirbt, kommt drei Generationen später wieder zur Welt, bekommt seinen alten Namen wieder und wird erzogen, indem man der betroffenen Person erklärt, was sie in ihrer letzten Existenz getan und gesagt habe. Auf diese Weise verwandelt sich das Kind tatsächlich zunehmend in seinen Ahnen und die Geschichte dieses Stammes ähnelt einem ewigen Kreislauf, in dem jeder seinen Platz und seine Aufgabe hat. Die Geschichte ist zyklisch, immer dann, wenn sie von den Menschen so gestaltet wird – und nur dann. Oder selbst dann nicht: Die Mitlieder des besagten Stamms gehen heute im städtischen Supermarkt einkaufen, barfuss zwar, aber mit einem Einkaufswagen und einer Kreditkarte.

Geschichte ist in Wirklichkeit eben kein Kreislauf. Die Faszination des zyklischen Geschichtsbildes, das immer noch – trotz jeder Anschauung – herumgeboten wird, ist das, was die Philosophen einen „naturalistischen Fehlschluss“ nennen. Und der geht so: Weil die Natur (in den gemässigten Breiten) mit den immer gleichen Jahreszeiten aufwartet, müsse die menschliche Geschichte auch zyklisch sein, da dies natürlich und mithin gut so sei. Die Pointe aber ist die Umkehr des Gedankens: Bequemerweise kann mit diesem zyklischen Geschichtsbild nun jede Schandtat und Brutalität begründet werden als Wiederkehr einer immer gleichen blutigen Geschichte, naturgemäss und folglich auch moralisch gut. Es sind ja bezeichnenderweise die bekannten Dunkelmänner der esoterisch-völkischen Seite, die dieses Geschichtsbild prägten: Der Philosoph mit dem Hammer, Friedrich Nietzsche, predigte die „ewige Wiederkehr des Immergleichen“, in der sich „der Wille zur Macht“ manifestiere. Populärer wurde dann Spenglers „Untergang des Abendlandes“ mit zyklischen Aufs und Abs der Herrenkulturen, wo man bereits den angeblich unvermeidlichen Weltkrieg als Überlebenskrieg riecht. Und im Fahrwasser einer Flut von ähnlichen Traktaten kommt dann noch Hitler mit seinem Tausendjährigen Dritten Reich, in dem der Massenmord durch die „blonde Bestie“ genauso geschichtstheoretisch gerechtfertigt wird.

Wohin sich die Geschichte tatsächlich bewegt, kann niemand voraussehen, sicher ist nur, dass sie sich bewegt. Denn Gegenstand der Geschichte ist die kulturelle Evolution, die Weitergabe und die Weiterentwicklung von Werten und Wissen von einer Generation zur nächsten. Dieser Prozess erhebt uns Menschen weit über die Natur. Nicht der Vollmond oder die Kontinentalverschiebungen mit all ihren Zyklen, sondern wir Menschen selbst sind für den Geschichtsverlauf verantwortlich. Dieser reale Geschichtsprozess wird aber immer komplexer und die Historiker können im Allgemeinen erst hinterher die Entstehung einer neuen Entwicklung nachzeichnen. Die ewige Wiederkehr wie übrigens auch der ewige Fortschritt zum Höheren und Besseren sind untaugliche Begriffswerkzeuge für diese Aufgabe.