von Mark Braun (Foto: Nu)
Jedes Mal, wenn wir unser Schulhaus verlassen, können wir an der Glasscheibe über der Recycling-Station ein Umwelt-Zertifikat bestaunen, das uns einen mustergültigen Umgang mit unseren knappen Ressourcen bescheinigt. Knapp 9000 PET-Flaschen hat unser Gymnasium im letzten Jahr gesammelt und dadurch 235 Liter Erdöl eingespart. Ins gleiche Horn stossen die regelmässig erscheinenden Zeitungsartikel, die uns Schweizerinnen und Schweizern zu Recycling-Weltmeistern küren. Solche Ehren lassen wir uns selbstverständlich gerne gefallen und hüten uns davor, sie zu hinterfragen. Höchste Zeit also, es trotzdem zu tun!
Zuerst zu den nackten Zahlen: Die folgende Tabelle zeigt, dass die Sammel- bzw. Verwertungsquoten von Abfällen in der Schweiz in vielen Kategorien recht hohe Werte erreichen.
Menge pro Einwohner | Menge gesamt | 1Sammelquote
2Verwertungsquote |
|
Altpapier | 156.3 kg | 1’307’056 t | 81% 1 |
Glasflaschen | 30.3 kg | 253’665 t | 93% 2 |
PET-Getränkeflaschen | 4.6 kg | 38’661 t | 83% 2 |
Weissblech | 1.4 kg | 11’590 t | ca. 86% 1 |
Alu-Dosen | 1.1 kg | 9’590 t | 91% 2 |
Batterien | 0.3 kg | 2’724 t | 67% 1 |
Separat gesammelte und rezyklierte Siedlungsabfälle (Auswahl). BAFU, 2015.
Bei einer kritischen Interpretation der Zahlen stellen wir fest, dass jedes Jahr 19’000 Tonnen Glas, 950 Tonnen Aluminium und 1880 Tonnen Weissblech nicht rezykliert werden. Diese beträchtlichen Mengen landen im besseren Fall in der Kehrichtverbrennungsanlage, wo sie aber nicht verwertet werden können, oder im schlechteren Fall in der Umwelt. Zum Glück sind die korrekt gesammelten Mengen im Vergleich dazu wesentlich grösser und dienen wieder zur Herstellung von neuen Flaschen und Dosen. Bis diese aber wieder abfüllbereit sind, müssen die alten Dosen und Glasscherben mit hohem Energieaufwand aufgeschmolzen und ganz neu produziert werden.
Verglichen mit der Herstellung aus den in der Natur vorkommenden Primärrohstoffen ist das Recycling immerhin weniger energie- und kostenintensiv und deshalb sinnvoll. Der Aufschmelzvorgang bei Temperaturen von 1600 °C wäre aber nicht zwingend nötig, denn nach dem Konsum eines Bieres oder eines Weins ist die Flasche ja noch völlig intakt und könnte nach einer gründlichen Reinigung problemlos wieder aufgefüllt werden. Es gibt Brauereien, die das noch tun, aber in den meisten Fällen ist die Mehrwegflasche in der Schweiz aus der Mode gekommen. Eine Ökobilanzstudie des BAFU bescheinigt der Mehrweg-Bierflasche aus Glas eine deutlich geringere Umweltbelastung als der Einweg-Bierflasche. Noch besser schneidet nur der Ausschank ab Fass ab.
Zwecks Minimierung ihres Aufwands haben die Abfüller und Detaillisten die Mehrweg-Glasflaschen mit Pfand in den letzten Jahren schrittweise aus dem Sortiment genommen. Würde heute noch ein Pfand von 30 Rappen verlangt, würde sich mit grosser Wahrscheinlichkeit die Zahl der Flaschen, die achtlos im Siedlungsraum oder in der Natur liegengelassen werden, deutlich verringern. Zum Vergleich: In Deutschland haben die PET-Flaschen mit Pfand eine Rücklaufquote von 98 %. In der Schweiz gibt es nur PET-Flaschen ohne Pfand, von denen lediglich 83 % nach Gebrauch in den Sammelbehältern landen. Wenn die Abfälle einen Geldwert haben, findet sich immer jemand, der sie an den richtigen Ort zurückbringt.
Wir dürfen uns nicht einreden, wir führten ein besonders umweltfreundliches Leben, nur weil unsere Recycling-Quoten hoch erscheinen. Die OECD führt die Schweiz auf ihrer Recycling-Rangliste übrigens bloss auf dem sechsten Rang. Unser Ziel muss es sein, deutlich weniger Energie und Rohstoffe zu verbrauchen und die Stoffkreisläufe besser zu schliessen.
Abfälle zu rezyklieren, ist sicher eine sinnvolle Massnahme. Sie zu vermeiden, ist aber noch viel schlauer und nachhaltiger.
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