Digitalisiertes Lernen

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von Brigitte Jäggi, Rektorin (Foto: Nu)

1658 erschien in Nürnberg ein wichtiges Lehrbuch unserer Kultur. Es versuchte, die Welt in Bildern zu erklären.  Der Titel lautete „Orbis sensualium pictus“, auf Deutsch „Die sichtbare Welt“. Auf gut 300 Seiten beschreibt der Autor Johann Amos Comenius alles, von Gott bis zu den Insekten, das heisst: von der Vorstellung des Grösstmöglichen bis zum damals kleinsten Bekannten. Das Werk blieb bis ins 19. Jahrhundert in den Schulen ein Standardwerk, folglich wurde der „Orbis pictus“ erst nach gut 200 Jahren Gebrauch von einer immer grösser werdenden Anzahl an Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien abgelöst. Seit 1850 und bis in die Gegenwart sind diese „papierenen“ Lehrmittel unangefochtene Grundlagen der Wissensvermittlung geblieben, ab und zu unterstützt von surrenden Filmvorführungen und farbigen Diavorträgen.

Die Lehrmittelverlage hatten das Glück, in den Schulen lange Zeit dankbare Abnehmer ihrer Produkte zu finden, hatten darüber jedoch die Entwicklung des Internets als digitalen Informationsspeicher völlig unterschätzt. Als erste Massnahme für den Anschluss an die digitalisierte Welt wurden die analogen Bücher als elektronische Texte angeboten. Doch erst seit kurzer Zeit ist es den Lehrmittelverlagen klar geworden, dass diese Massnahme längst nicht das Potential nutzt, welches ein Lernen mit digitalisierten Lehrmitteln bieten könnte:

  • Sie ermöglichen eine interaktive Wissensvermittlung.
  • Sie können stets aktuell gehalten werden.
  • Sie vereinfachen die Vernetzung mit anderen Fachgebieten, d.h. die Interdisziplinarität.
  • Sie nehmen Rücksicht auf die individuellen Lerngeschwindigkeiten.

Und sie fördern vor allem das selbständige Lernen, ein zentrales Anliegen unseres Gymnasiums. Doch welche Rolle kommt in dieser interaktiven und selbständigen Lernlandschaft den Lehrpersonen noch zu?

Mit Hilfe der digitalisierten Lehrmittel ist der Schritt in die Uferlosigkeit des Internets klein. Und gerade an diesem Punkt bleiben die Lehrpersonen die Fachverantwortlichen und helfen den Lernenden, sich in der Informationsflut zu orientieren, helfen prüfen, gewichten, so dass die Lernenden nicht nur wissen, sondern ihr Wissen auch hinterfragen. Eine Wachheit und kritische Einstellung, welche die Grundlage nicht nur für ein Studium, sondern auch für das berufliche und persönliche Wirken sein sollte.

Seit dem „Orbis pictus“ bilden Lehrmittel die Baseis für die Wissensvermittlung. Die Lehrmittel haben sich offensichtlich gewandelt und mit ihnen auch die Rolle der Lehrerin und des Lehrers. Trotzdem hat sich gezeigt, dass Lehrpersonen stets eine zentrale Aufgabe beim Wissenserwerb der Lernenden wahrgenommen haben. Und dies wird sich trotz der Digitalisierung auch in absehbarer Zeit nicht ändern!