Die Geduld wurde in Sardinien erfunden, …

der Fahrplan nicht! Ein Bericht von Mark Braun, Klassenlehrer der F3c (Fotos: Pascale Hafen)

Namhafte Verkehrshistoriker und Verhaltensforscherinnen sind sich heute einig darüber, dass die Geduld nicht zur Grundausstattung des Homo sapiens patiens gehört, sondern erst in den 1930er-Jahren von einem sardischen Landarbeiter erfunden wurde, der drei Tage lang auf seinen täglich verkehrenden Bus wartete. Der Busfahrer hielt sich schon damals an seinen ganz persönlichen Fahrplan.

Auf den Spuren dieses kulturhistorischen Meilensteins hat die Klasse F3c eine Bildungsreise durchgeführt, die betreffend Forschungsgegenstand keine Wünsche offenliess. Um uns nicht zu sehr zu verzetteln, haben wir uns auf das Wirkungsdreieck Geduld-Busfahrplan-Nervenkostüm beschränkt. Kaum wurden wir – eine halbe Stunde zu spät – in Porto Torres aus der Fähre ausgespuckt, durften wir ein erstes interessantes Beispiel von Fahrplankohärenz kennenlernen. Gemäss schriftlicher Bestätigung der Busgesellschaft wartet der Bus nach Alghero, unserem Zielort, maximal eine halbe Stunde auf verspätet ankommende Fähren, aber der Fussweg zur Busstation war noch einmal einen Kilometer lang, sodass auch der geduldigste Busfahrer nicht mehr warten konnte. Zum Glück verfügt das sardische Busnetz über eine bemerkenswerte Fahrplandichte, die es erlaubte, nach einem kurzweiligen fünfstündigen Aufenthalt den nächsten Bus zu besteigen.

Auch der nächste Tag liess keine Wünsche offen: Am Kiosk waren die Busbillette um 9 Uhr morgens bereits ausverkauft, sodass ich am Bahnhof mein Glück versuchte. Dank der Hilfsbereitschaft eines Beamten gelang es mir immerhin, dem Automaten innerhalb von zehn Minuten ebenso viele Fahrkarten zu entlocken. Müde vom vielen Ausdrucken stürzte das Gerät verständlicherweise ab und ich konnte die restlichen acht Karten nicht mehr rauslassen. Na gut, da muss uns halt der Buschauffeur weiterhelfen. So weit kamen wir dann aber nicht, da dieser behauptete, nicht an unserem Zielort Lazaretto halten zu wollen, obwohl genau diese Station auf dem offiziellen Fahrplan vermerkt war. Kein Problem, am Nachmittag fuhr ja schon der nächste Bus, der uns dann genau am richtigen Ort auslud, und wir konnten die dreitausend Jahre alte Nuraghen-Siedlung Palmavera besuchen.

Die Krönung unserer Forschungstätigkeit sparte uns das Schicksal für den letzten Tag auf. Ein Höhepunkt der Woche, eine Schlauchbootfahrt mit Schnorcheln an der herrlichen Küste, stand auf dem Programm. Eine letzte Prüfung musste aber zuerst gemeistert werden, nämlich die Busfahrt zum Startpunkt unseres Bootsausfluges. Beim Besteigen des Busses fragten wir den Chauffeur in seiner Landessprache, ob er nach Capo Galera fahre. «Ja, ja, einsteigen!» Endlich einmal pünktlich im richtigen Bus. Wir fahren voller Zuversicht und nach 15 Minuten bitte ich den Chauffeur, uns zu sagen, wo wir genau aussteigen müssten. «Ja, ja, natürlich!» Als wir uns der Endstation näherten, die wir bereits von einem früheren Ausflug her kannten, kam die Gewissheit, dass es auch am letzten Tag nicht klappen würde. Auf meine erstaunte Frage hin, weshalb er nun bis zum bitteren Ende durchgefahren sei und uns nicht bei Capo Galera rausgelassen habe, antwortete er: «Capo Galera, ah nein, dort halte ich nicht. Ich dachte, ihr wollt nach Bivio!» Das konnte ich natürlich gut verstehen, tönt doch diese Ortschaft ganz ähnlich wie unser Zielort. Er behauptete in der Folge, wir hätten den falschen Bus genommen, obwohl auch in diesem Fall der Fahrplan seine Theorie zweifelsfrei widerlegte.

Immerhin zeigte der Leiter unserer Schnorcheltour eine unerwartete Flexibilität und holte uns in der Nähe der Busendstation mit dem Schlauchboot ab. Ein wunderbarer Nachmittag auf dem glasklaren Meer liess uns sämtliche Strapazen dieser Woche vergessen. Das Fazit unserer Forschungswoche: Mit der nötigen Geduld braucht man überhaupt keine Fahrpläne.