Maturrede 2018

Maturfeier 2018 Gymnasium Muttenzvon Anna Holm (Foto: Nu)

Liebe Anwesende, Maturanden und Maturandinnen, Lehrpersonen, Eltern

Wozu stehe ich heute vor Ihnen?

Eine Stimme aus der Schüler*innenschaft macht sich immer gut, sie verspricht geistreiche Anekdoten und einen authentischen Blick von innen. Dank Stehpult wirkt auch heisse Luft noch souverän.

Nachsichtig mit meinem teils über Banalitäten der Schulalltags nörgelnden Ich soll ich hier vor Ihnen stehen und am besten bin ich durch das Erhalten des Maturitätszeugnisses sprunghaft weiser geworden, bedächtig, vielleicht auch ein wenig pathetisch angesichts dieses ach so bedeutungsschweren Moments in unserem Leben. Ein Ausbund an Wertschätzung und Dankbarkeit mit einem zarten nostalgischen Hauch von Erinnerung an diese guten vier Jahre!

Bitte verzeihen Sie mir den ironischen Unterton. Noch zu lebendig kann sich meine Wirbelsäule an diese unbesitzbaren Stühle erinnern, noch zu intensiv liegt mir der Geruch von Linoleumböden und selbstgemachtem Popcorn in der Nase und die alleinige Vorstellung von unter die Tischplatte geklebten Kaugummis lehrt mich noch immer das Grauen. Worüber möchte ich dann heute sprechen?

Über den Grund dieses Anlasses. Über etwas, über das oft nur im Zusammenhang mit Kosten, mit Sparen, mit Leistung gesprochen wird. Etwas, dessen gesellschaftlicher Wert gerne vergessen geht. Etwas, das man sich stattdessen zu romantisieren, glorifizieren oder idealisieren bemüht. Ich spreche von Bildung.

Doch was steckt hinter diesem so harmlos anmutenden Begriff? Bildung ist die Befähigung, die Auswirkungen des eigenen Handelns zu reflektieren. Bildung ist das Werkzeug, mit dem wir die Umstände, in denen wir leben, erfassen und als Konsequenz von vorhergegangenen Prozessen erkennen. Bildung ist die Grundlage zur Veränderung eben dieser Umstände. Und Veränderung ist notwendiger denn je.

Veränderung braucht dieser Kanton, in dem seit Jahren schamlos ein Abbau auf Kosten der Schülerinnen und Schüler betrieben wird. Die Schweiz braucht Veränderung, wenn tausende Studierende auf die Strasse gehen, weil ein Universitätsabschluss immer mehr von der wirtschaftlichen Lage des Elternhauses abhängt. Ein Land, in dem derart offensichtlich mit dem Ideal der Chancengleichheit gebrochen wird, braucht frischen Wind!

Veränderungen sind global gefragt: Wir sind nicht die Generation X, Y, Easyjet oder was auch immer – wir sind die Generation, die die Welt fundamental verändern muss, wenn wir wollen, dass dieser Planet auch für die kommenden Jahrtausende bewohnbar bleibt.

Es wird nicht einfach. Wir dürfen uns nicht vom Vorwurf der «Illusion» einschüchtern lassen: Jugendfantasien, tolerierbar, aber irgendwann sollte man dann doch auch zur Vernunft kommen, sich mit der Realität begnügen.

Es ist grausam, dass wir in einer Welt der Superlative leben. Wir lieben Heldenfiguren, diese Ikonen des nicht zu Überbietenden, und vergessen dabei, dass Geschichte von den Tausenden mitgeschrieben wird, von denen wir nie in unseren Büchern lesen. Und was geschieht, wenn wir nicht bereit sind, uns mit den Ungerechtigkeiten der Gegenwart abzufinden? «Jugendliche Naivität» wird einem vorgeworfen.

Doch Illusionen sind kein Privileg der Jugend oder ein Zeichen von Unwissen, sondern eine gesundheitsfördernde Massnahme! Es ist nur ein Begriff, um den schmalzigen Beigeschmack von Hoffnung zu umgehen. Und an Hoffnung darf es nie mangeln. Für Veränderung braucht es Mut! Mut zur Selbstkritik. Mut, Verantwortung zu übernehmen, sich dem Urteil Dritter auszusetzen, für etwas einzustehen.

Wir brauchen Herzblut, wir brauchen Willen, wir brauchen dieses Etwas, das nicht erzwungen werden kann. Wir finden es nicht dort, wo wir effizienter wirtschaften, nicht dort, wo wir unbeirrt mit den Scheuklappen der Ignoranz ein Ziel ansteuern, wo wir uns nach Angebot und Nachfrage richten, nicht dort, wo Menschen um etwas wetteifern, nicht dort, wo wir verbissen versuchen, besser zu sein als andere. Dort finden wir sie nicht. Ich spreche von Leidenschaft. Und Leidenschaft kann man nicht kaufen.

Dieses Verständnis findet nicht überall Anklang. Nur allzu deutlich bekommen wir das im Kanton Baselland zu spüren. Die Voraussetzung für Veränderung, für konstruktiven Wandel, die Bildung ist einer schikanösen Abbaupolitik ausgesetzt. Freifächer, Instrumentalunterricht, selbst ganze Schulstandorte werden zum Freiwild, wenn dadurch eine Kostensenkung in Aussicht steht. Dass Abbau bei der Bildung immer Abbau der Zukunft bedeutet, scheint gerne verdrängt zu werden.

Der Widerstand gegen diese kurzsichtige Politik hat sich insbesondere in den Reihen von uns Schüler und Schülerinnen gebildet. Und zwar nicht mit Backsteinen, nicht mit lautem Schreien und Polemik. Wir haben uns mit Bildung für Bildung eingesetzt. Wir haben das Fundament für die Zusammenarbeit der Schülerinnenorganisationen beider Basel gelegt und die Räder einer Bewegung ins Rollen gebracht. Durch interkantonale Vernetzung mit den Studierendenprotesten haben wir uns schweizweit Gehör verschafft. Wir Schülerinnen und Schüler sind eine der führenden Stimmen im Kampf für nachhaltige Bildungspolitik geworden.

Antrieb dieses Engagements ist der simple Grundsatz der Demokratie: Politik bestimmt die Umstände, in denen wir leben, deshalb müssen unsere Lebensrealitäten, unsere Bedürfnisse in der Politik Resonanz finden. Unser unermüdlicher Einsatz hat gezeigt, dass Idealismus kein Luxus ist, sondern eine Notwendigkeit. Er hat gezeigt, dass wir Gymnasiast*innen, Fachmittelschüler*innen, Lernende, Studierende nur erfolgreich sein können, wenn wir unsere Interessen, unsere Bestrebungen miteinander zu einem Strang verweben und mit vereinten Kräften daran ziehen.

Aktivismus verteilt keine Lorbeerkränze, wir können uns nicht in den vergangenen Erfolgen sonnen, unsere Relevanz zeigt sich nur im Hier und Jetzt. Darum: bleiben wir hartnäckig, bleiben wir bissig, werden wir nicht müde im Jetzt für ein Morgen einzustehen!

Gestalten wir uns unsere Realitäten, machen wir uns die Welt, wie sie uns gefällt!

Und machen wir es hoffnungsfroh, mutig und leidenschaftlich! Lang lebe die Illusion!

Dangge villmoll!