
von Evelyne Balsiger
Eripitur persona, manet res.
Wird die Maske heruntergerissen, bleibt das wahre Wesen.
(Lukrez, De rerum natura, 3,58)
In fast ganz Europa, in Nordafrika und im Nahen Osten, soweit sich das Römische Reich erstreckte, sind antike Theater bis heute Sehenswürdigkeiten. Manchmal fast vollständig erhalten, wie im südfranzösischen Orange, manchmal nur noch in Ruinen zu erahnen, wie im aargauischen Lenzburg. Wohin auch immer die Römer kamen, sie bauten ein Theater. Der Theaterbesuch war eine der beliebtesten Vergnügungen im alten Rom.
Und die Schauspieler traten mit Masken auf. Es gab unterschiedliche Masken für die Tragödie und für die Komödie. Im Laufe der Zeit bildete sich ein grosses Ensemble von Figuren aus. Damit diese Charaktere immer wieder erkennbar waren, wurden klar definierte und leicht wiedererkennbare Masken hergestellt. Typisch sind die weit aufgerissenen Münder, denn das Publikum musste ja den Text, den der Schauspieler unter der Maske sprach, bis in die obersten Reihen des Theaters verstehen. Die Verständlichkeit wurde unterstützt durch die geniale Baukunst.
Im Laufe der Zeit brachten die Masken die Gefühle der Rollen immer besser zum Ausdruck. So ergänzten die lachenden, verschmitzten Masken, die in der Komödie Verwendung fanden, die schmerzvollen der Tragödie. Der griechische Grammatiker Iulius Pollux zählte im 2. Jh. n. Chr. zweiundsiebzig verschiedene Maskentypen auf. Alte Männer, Jünglinge, alte und junge Frauen, der schlaue und der dumme Sklave, Hetären und so weiter. Sie unterschieden sich in Haar- und Bartracht, Brauen, Mundpartie, Gesichtszügen und Farben. Von den Schauspielern, welche Männer und Frauen verkörperten, wurde schneller Rollen- und Maskenwechsel erfordert.
Persona ist der lateinische Begriff für diese Theatermaske. Im 13. Jahrhundert gelangte das Wort als Lehnwort ins Deutsche. Durch die Maske wird die Rolle des Schauspielers und der Charakter dieser Rolle definiert. Schliesslich wird daraus die Bezeichnung für ein Individuum. Das lateinische persona ist etruskischen Ursprungs. Die Römer haben das Maskenspiel nicht erfunden, schon die Etrusker und Griechen verwendeten Masken im Theater. Die Maske erlaubt es dem Menschen, aus seiner Persönlichkeit herauszutreten und durch Verwandlung übernatürliche Kräfte zu gewinnen; sie ermöglicht aber auch die Wandlung ins Lächerliche und Obszöne oder dient der Erzeugung von Schrecken.
Das Tragen der Maske ist in verschiedenen altgriechischen Kulten bezeugt. Vor allem im Kult zu Ehren des Gottes Dionysos hatte die Maske eine grosse Bedeutung. Sie war Symbol seiner Präsenz, wurde in Prozessionen mitgeführt, als Weihgabe in Heiligtümern aufgehängt und als Kultbild verehrt. Von dort gelangte sie ins Theaterspiel. Um 330 v. Chr. wurde mit dem Dionysos-Theater in Athen das erste fest gebaute Bühnenhaus errichtet. Dionysos ist der Gott des Weines, des Rausches, der Ekstase. Wie sich Sänger und Schauspieler unter dem Einfluss der Maske verändern, zeigt der sogenannte Pronomos-Krater aus dem 5. Jh. v. Chr., ein Gefäss zum Mischen von Wein und Wasser, welches heute im Nationalmuseum von Neapel ausgestellt ist. Auf ihm sind die an einem Satyrspiel beteiligten Schauspieler zu sehen: Während einige mit der Maske in der Hand noch locker miteinander plaudern, beginnt ein Maskierter schon ergriffen zu tanzen.
Den Theatermasken nachgebildete Köpfe sah man auch als Wasserspeier an den Dächern von Tempeln und anderen Gebäuden. Aus dem weit geöffneten Mund fliesst das Wasser von den Dächern und aus den Regenrinnen ab. Ein schönes Beispiel sind die drei Satyrköpfe aus Terrakotta am Apollon-Tempel im griechischen Thermos (1). Bis weit in die Neuzeit findet man solche abschreckenden Figuren an unseren Dächern. Es ist anzunehmen, dass sie schon in der Antike Böses vom Haus fernhalten sollten.
Satyrn waren in der griechisch-römischen Mythologie Begleiter des Dionysos, Mischwesen mit stupsnasigen, runden Gesichtern, trinkfreudige Gestalten mit spitzen Tierohren und Bocksfüssen. Zu Anlässen des Dionysoskultes verkleidete man sich als Satyr mit Maske, Felltrikot und Schurz, an dem ein Pferdeschwanz fixiert war. Dieser Brauch wurde in Konstantinopel 692 n. Chr. verboten (2), also erst etwa 300 Jahre, nachdem sich das Christentum als Staatsreligion durchgesetzt hatte. Daraus lässt sich erkennen, wie tief solche Riten im Volk verankert sind. Unschwer werden wir an heutige Neujahrs- und Fasnachtsbräuche erinnert. Damals wie heute geht es darum, hinter der Maske verborgen wenigstens einmal im Jahr aus sich herauszugehen, in eine andere Gestalt zu schlüpfen, exzessiv sein zu dürfen, die Grenze zwischen Menschlichem und Animalischem zu verwischen, die gesellschaftlichen Regeln auf den Kopf zu stellen.
An der Basler Fasnacht ist die Verwendung des Begriffs «Maske» verpönt. Es heisst «Larve». Auch dieses Wort stammt aus dem Latein. Larva bedeutet ebenfalls «Maske» oder eben «Larve». Larvae sind Masken, welche die Züge von Gespenstern haben, böse Geister von Verstorbenen, Fratzen, Gerippe. Die Römer waren sehr abergläubisch. Larvae waren Geister, die Wahnsinn auslösten, Gespenster, die den lemures, den Totengeistern, gleichgesetzt wurden, wenn diese aus der Unterwelt auf die Erde zurückkehrten. Die Guten unter ihnen waren die lares, die Bösen die larvae. Ut larva intravi sagt Nikeros in dem vom römischen Schriftsteller Petronius geschriebenen und von Federico Fellini verfilmten Roman «Satyricon», nachdem er auf einem Friedhof die Verwandlung seines Begleiters in einen Werwolf mitansehen musste und sich im allerletzten Moment in das Haus seiner Freundin retten konnte: Ut larva intravi: Leichenblass trat ich ein.
Im Latein wird persona wie auf Deutsch im übertragenen Sinn verwendet. Die eingangs zitierte Sentenz des römischen Philosophen Lukrez spricht für sich. Auch das folgende Zitat ist selbsterklärend: Heredis fletus sub persona risus est. Das Weinen des Erben ist unter der Maske ein Lachen.
(1) Kachler, Karl Gotthilf, Antike Theater und Masken, Chronos Verlag, Zürich, 2003
(2) Der Neue Pauly, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, 2001
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.