„Back on Stage“ – Die Wiedergeburt des Chors

Von der Decke hängen vier imposante Kronleuchter. Über der Bühne thront eine riesige, brandneue, silber-goldene Orgel. In den in rotem Samt gekleideten Rängen sitzen wartende Zuschauerinnen und Zuschauer. Die hohen Spiegeltüren zum Balkon öffnen sich. Links und rechts sowie unten auf der Bühne betreten die Sängerinnen und Sänger den weltberühmten Saal des Stadtcasinos in Basel. Vom Parkett erklingt Applaus. Schliesslich ergreift Christoph Huldi das Wort: «Einen wunderschönen Abend, mein liebes Publikum!» Der Chor des Gymnasiums Muttenz, er lebt wieder.

von Jan Soder (Bilder: Daniel Nussbaumer)

Am Mittwoch, dem 25. August, ist es soweit. Der Gym Chor Muttenz steht nach beinahe zwei Jahren endlich wieder auf der Bühne, und diese hat es in sich. Nur ein Jahr ist es her, dass das Stadtcasino mit seinem Konzertsaal von 1876 neueröffnet wurde. Nach etwa vier Jahren Sanierung und einem ordentlichen Ausbau wurde das 77 Millionen-Franken-Projekt von Herzog & de Meuron im August 2020 fertiggestellt. Dass der Chor des Gymnasiums hier auftreten darf, ist Brigitte Jäggi zu verdanken. Sie war es, die den Vorschlag einbrachte. Niemand im schulischen Umfeld war so stark von der Pandemie betroffen wie der Chor. Deshalb solle man sich nun etwas leisten, meinte die Rektorin. Chorleiter Christoph Huldi verrät: «Ich selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, einen solch teuren Ort zu wählen, aber jetzt bin ich natürlich total glücklich damit.»

Im März 2020 wurde der Chor mehr oder weniger aus dem Nichts stillgelegt. Im Fernunterricht fanden keine Proben statt. «Insbesondere der Kammerchor kam dort ziemlich unter die Räder, denn er stand drei Wochen vor einem Konzert», so Huldi. «Wir hatten schon alles vorbereitet», ergänzt Jürg Siegrist, der Leiter des Kammerchors. Nach den Sommerferien fand der Unterricht wieder vor Ort statt und so wurden auch die Chorproben wiederaufgenommen. Jedoch wurde im Oktober das Chorsingen vom Bund verboten. «Das hatte ich noch nie erlebt. Ein schweizweites Verbot von Chorsingen. Das war sehr heftig», erinnert sich Siegrist, «Als im Frühling Lockerungen kamen, konnten wir dann an Probetagen dieses Konzertprogramm planen und üben. Eigentlich hätte es vor den Sommerferien stattfinden sollen.» Die Corona-Massnahmen im Kulturbereich liessen dies jedoch nicht zu. «Zum Glück konnten wir es auf heute verschieben.»

Die Schülerinnen und Schüler waren bereits den ganzen Tag im Stadtcasino am Proben. Etwa die Hälfte von ihnen steht zum ersten Mal mit dem Chor auf der Bühne. Für andere bedeutet dieser Auftritt jedoch Abschiednehmen. Die letztjährigen Viertklässler dürfen noch ein allerletztes Mal mitwirken. «Da wir nie ein Abschlusskonzert hatten, ist es schön, dass wir nochmals mitsingen dürfen. Es ist wie nochmals ein Abschluss», meinen einige von ihnen. Christoph Huldi schätzt die Stimmung im Chor ein: «Jetzt, wo wir an diesem grandiosen Ort singen, sind sie euphorisch, sehr sehr motiviert.»

Nun stehen alle bestens vorbereitet im gewohnten schwarz-roten Look vor dem Publikum. Christoph Huldi führt seine Ansage fort: «Der Gym Chor Muttenz hat sozusagen fast tot dahingelegen und heute ist sein Wiederauferstehen. Das können wir zusammen erleben. So soll es doch sein, wie es heute sein wird.» Es folgen Danksagungen und Applaus. Dann geht es los. Mit «Come with Me, My Love» lädt der Chor zum Geniessen der Musik ein. Auf beiden Seiten des Balkons sowie auf der Bühne sind kleinere Chöre platziert. Nach der Hälfte wird das Stück zum dreiteiligen Kanon. Das letzte «Come» hängt noch in der Luft, als Olivia Zaugg am Klavier zu «Open up My Heart» ansetzt. Die Stimmen der Solistinnen Tabea Sterchi und Josephine Odermatt füllen in den Strophen den grossen Saal, und dies ohne Mikrofon. Den Chorus kriegen die Zuschauerinnen und Zuschauer erneut von drei Seiten zu hören. Ein erster Gänsehautmoment ist geschaffen. Die Freude ist bei Chorleiter Huldi selbst von hinten nicht zu übersehen. Aber auch die Gesichter der Schülerinnen und Schüler strahlen förmlich. Die Euphorie, welche der Leiter vor dem Auftritt bei seinem Chor beobachtet hat, ist deutlich spürbar. Unter Klatschen von den Rängen kommt es auf der Bühne zu einer Rochade. Wenig später beginnt der Kammerchor seinen Teil des Programms. Los geht es mit französischem Gesang, mit «La Youtse» vom Schweizer Komponisten Joseph Bovet. Es folgen je ein Stück von Felix Mendelssohn und Nils Lindberg, bevor mit Frank Martin wieder mit einem Schweizer Komponisten abgeschlossen wird. Zu seinem Stück «Chanson en canon (Le petit village)» tanzen die Sängerinnen und Sänger auf der ganzen Bühne herum und singen «Vivre c’est un peu comme on danse.» «Es ist mir wichtig, möglichst vielfältige Konzepte von Chormusik mit dem Kammerchor zu singen. Es sind A-capella-Stücke dabei, Choreographien, Schweizer Musik und Jazz-artige Harmonien», erklärt Jürg Siegrist.

Der Kammerchor wird wieder vom restlichen Chor ergänzt und «Sixteen Tons» wird angestimmt. Die Schülerinnen und Schüler verwandeln sich in eine schnippende, beinahe furchterregende Herde amerikanischer Kohlearbeiter. Zwei Songs später scheinen sie alle in einem Rock-n-Roll Klub der sechziger Jahre den Twist zum «Scandinavian Shuffle» zu tanzen. Die mitreissenden Choreographien werden für Lenard Fasnachts beeindruckendes Solo in Billy Joels «And so It goes» pausiert. Doch vor der Pause schwenken sie alle nochmal ihre Hände neben sich zum Jazzstandard «Puttin’ on the Ritz» und ernten eine weitere Runde lautstarken Applaus.

In der Pause trifft man in den Foyers auf Konzertbesucher, welche die silbernen Wände, die ebenfalls in Samt gekleideten roten Treppen und die grossen Kronleuchter bestaunen. Auch beim Toilettengang wird sicherlich der ein oder andere Gast von der Innenarchitektur des Stadtcasinos beeindruckt sein.

Nach der Unterbrechung nimmt der Chor auf dem Balkon Platz, denn auf der Bühne steht jetzt das Junge Kammerorchester Baselland im Rampenlicht. Das Orchester unter der Stimmführung von Christina de Noronha und Mirjam Rietmann ist kein Neuling an der Seite des Gym Chors. Viele sind ehemalige Schülerinnen und Schüler des Gymnasium Muttenz. Die beiden Gruppen sind schon mehrfach zusammen aufgetreten. Die Chance, im Stadtcasino zu spielen, liessen sich die Musikerinnen und Musiker natürlich nicht entgehen. Sie verzaubern das Publikum mit Arthur Honeggers «Pastorale d’été». Der Chor übernimmt mit einer Einlage auf dem Balkon und einem Solo von Claudia Studer. Dann übergibt Christoph Huldi wieder zurück auf die Bühne ans Orchester. Die Streichsektion rüttelt das Publikum mit wuchtigen Klängen aus der Tiefenentspannung, die der Chor zuvor herbeigeführt hat. Motive werden von Instrument zu Instrument gespickt. Nun kriegt auch das Junge Kammerorchester Baselland den Applaus, der ihm gebührt. Der Chor steigt vom Balkon hinunter zurück auf die Bühne. Zusammen mit dem Orchester kommt es zum Höhepunkt des Abends: Martín Palmeris Messe «Misatango», beziehungsweise zwei Drittel davon. Das Werk wurde bereits vor knapp zwei Jahren beim letzten Auftritt aufgeführt, doch es hat in der Zwischenzeit nicht an Eindrücklichkeit verloren. Ein weiterer Gänsehautmoment.

Zum Schluss erhalten die Musizierenden vier volle Minuten Applaus, sie verbeugen sich mehrfach und bedanken sich mit einer kurzen Zugabe beim Publikum. Die Sängerinnen und Sänger, Musikerinnen und Musiker und Leiterinnen und Leiter verlassen die Bühne. Er hat vielleicht zwei Jahre tot gewirkt, dieser Chor des Gymnasium Muttenz. Doch an diesem Mittwochabend ist er wiederauferstanden. Und wie. Der Chor, er lebt.


Anmerkung der Redaktion: Wir zeigen in diesem Beitrag nur Fotos. Video-Aufnahmen folgen noch.

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