
«Juckt sowieso niemand, was du sagst, du Schwuchtel», «Du wortwörtlicher Schwanzlutscher» und «Hurensohn» so sehen die letzten Hassnachrichten aus, die in meinem Postfach aufgetaucht sind. Es ist nicht das erste Mal, dass ich beleidigt werde im Internet und wie aus dem Text von Julia Fritzsche hervorgeht, bin ich auch nicht der Einzige. Trotzdem ist es das erste Mal, dass es Hassnachrichten sind, die nicht von einem Fakeprofil versendet werden, sondern vom Profil einer Person mit vollem Namen und einem Profilbild. Der Hass wird dadurch realer als bisher. Nun habe ich nicht bloss einen anonymen Feind, da sind drei Personen mit Namen und Gesicht, die mir schaden wollen. Überrascht bin ich nicht. Der Hass ist längst real.
Von Josia Jourdan (Fotos: Nu)
Hass im Internet beginnt bei kleinen Kommentaren, die nicht aggressiv sind, aber in denen bereits ein negativer Unterton mitschwingt. Es sind Kommentare, die Dinge und Menschen beurteilen, obwohl nicht danach gefragt wurde, geschrieben von Menschen, die aus einer Unsicherheit heraus lieber andere Menschen verurteilen, als sich mit sich selbst zu beschäftigen. Es ist ein Phänomen der Menschheit. Wir haben das Bedürfnis, unsere Meinung zu teilen, obwohl niemand danach gefragt hat. Immer und überall. Und durch das Internet haben wir noch eine viel einfachere Möglichkeit gefunden, es zu tun. Wir können nämlich wildfremde Menschen beurteilen, die dadurch, dass sie öffentlich ihr Leben zeigen, ja auch danach fragen, oder nicht?
Auch ich habe das gemacht. Wir sind die erste Generation, die mit Social Media aufwächst. Es ist eine Herausforderung und ein Lernen. So schäme ich mich zwar heutzutage dafür, dass ich bei YouTubern und Instagram-Influencern Dinge kommentiert habe, die ich mir auch hätte sparen können, aber es gehört eben auch zu diesem Lernprozess hinzu. Spätestens nachdem ich selbst angefangen hatte, Inhalte im Internet hochzuladen und mit unkonstruktiver Kritik konfrontiert wurde, habe ich mein Verhalten geändert. Zu sehr musste ich selbst spüren, wie unsicher einen solche Kommentare machen können. Dabei war das ja noch gar kein Hass.
Das erste Mal als Konsument habe ich eine Welle von Hass im Jahr 2015/2016 erlebt. Über dem deutschen YouTube-Sternchen Dagi Bee brach, nachdem sie die Trennung ihres Freundes, der ebenfalls in der Öffentlichkeit stand, publik gemacht hatte, ein regelrechter Shitstorm los. Die Kommentarspalten, die sonst immer voller Positivität und Humor gewesen waren, wurden schnell düster, hasserfüllt und es ging nicht lange, bis die ersten Morddrohungen auftauchten. Ich war damals schockiert und habe mich dann schnell von den Kanälen der YouTuberin zurückgezogen. Denn mit dem kommenden Hass werden nicht nur die angegriffenen Personen getroffen, auch die Menschen, die auf diesen Kanälen einen sicheren Platz im Internet gefunden haben, verlieren diesen. Diese Hasswelle ist am Ende eine Folge von Misogynie. Influencerinnen werden kritisiert, dass sie einen Weg gefunden haben, erfolgreich zu sein. Auch heute werden weibliche Influencer wesentlich regelmässiger kritisiert als männliche und es scheint fast so, als würden die Leute nur auf einen Grund warten, diese erfolgreichen Frauen in den Abgrund zu stossen. Dieser Vorfall prägt mich bis heute. Seitdem bin ich mir bewusst, welche Macht das Internet hat und wie schutzlos man diesen anonymen Kommentaren und Nachrichten ausgeliefert ist.
Tief verankerter Hass
Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, jemals selbst auf diese Art Hass zu treffen. Das war doch nicht real? Alles bloss im Internet. Wenn jemand vor einer anderen Person stehen würde, dann würde man das doch dieser nicht auch ins Gesicht sagen, oder? Aber auch hier wurde ich eines Besseren belehrt. Allein diesen Sommer habe ich aufgrund meiner Homosexualität fünf Hatecrimes melden müssen und wenn ich die Kraft und Zeit gefunden hätte, alle Vorfälle zu melden, wären es bestimmt doppelt so viele. Der Hass aus dem Internet findet sich auch im echten Leben wieder. Die Hassnachrichten und Kommentare sind genauso schnell geschrieben wie eine Beleidigung ausgesprochen. Aber der Effekt ist ein deutlich anderer.
Während ich in den sozialen Medien in meiner eigenen Filterblase lebe, die sich durch Toleranz und eine linke politische Gesinnung auszeichnet, ist das in der Realität anders. Auf einer öffentlichen Strasse kann ich nicht entscheiden, wem ich begegne. Ich kann keine Menschen blockieren, keine Nachrichten löschen. Ich muss mich dem Hass stellen. Jeden Tag aufs Neue und da habe ich realisiert, dass der Hass im Internet mehr ist als bloss eine Nachricht oder die Unsicherheit einer anderen Person. Der Hass sitzt tief verankert in unserer Gesellschaft und kann uns überall treffen. Das Internet bestärkt Menschen in ihrem Hass bloss, denn auch sie umgeben sich online mit Menschen, die ähnliche Haltungen haben wie sie.
Es sind 35 Prozent der Bevölkerung, die aktiv Nein zur Ehe für alle – zur Gleichberechtigung – gestimmt haben. Sprich jede dritte Person, die ihre Stimmzettel eingeworfen hat, hat queerfeindlich gehandelt und mir und vielen anderen Menschen gleiche Rechte verwehren wollen. Das sind reale Zahlen. Das sind reale Menschen und das zeigt auf, dass Hassnachrichten im Internet nur ein weiterer Weg sind, diesen gesellschaftlichen Hass gegen einzelne Gruppen zu verbreiten. Denn auch wenn es zur Ja-Kampagne viel Zuspruch gab, so gab es eben auch viel Hass und bis heute kommentieren Menschen unter meinen Beiträgen, dass die Schweiz am 26. September eine falsche Entscheidung getroffen habe, uns gleiche Rechte zu geben.
Der Echoeffekt
Es ist nicht zu unterschätzen, welche politische und gesellschaftliche Macht das Internet haben kann. Denn genau so, wie sich Klimabewegungen, queerer Aktivismus und Feminismus übers Internet verteilt, neue Menschen erreicht haben und ins Zentrum gesellschaftlicher Diskussionen gerutscht sind, so haben das auch hasserfüllte Meinungen geschafft. Rechtsradikale Gruppierungen rekrutieren geschickt über Soziale Medien neue Mitglieder, Fremdenhass wird unterschwellig durch Memes verbreitet und unter Newsbeiträgen von national bekannten Zeitungen zum Thema LGBTQIA+ finden sich sehr schnell hasserfüllte Kommentare unterschiedlichster Personen, die sich durch Zustimmung in ihrer Meinung gegenseitig bestätigen.
So wie ich mich im Internet gesehen fühle, nach Menschen mit gleichen Ansichten suche und mich versuche für eine tolerantere Welt einzusetzen, tun das eben auch jene, die ein Problem mit gewissen Menschengruppen haben. Nur dass sie sich anstelle von mir nicht für eine tolerantere, sondern für eine Welt nach ihren Vorstellungen einsetzen, und die sieht nun mal so aus, dass gewisse Menschen weniger Rechte verdient haben. Es ist der Echoeffekt, von dem Julia Fritzsche schreibt, und den wir alle nur zu gut aus unserem eigenen Verhalten kennen.
Gedankengut verbreitet sich von Posts über Kommentare bis hin zu Telegramgruppen ins reale Leben. So wachsen sowohl auf der linken als auch auf der rechten politischen Seite die Anhänger*innen, und das ist auch bei Wahl- und Abstimmungsergebnissen deutlich spürbar.
In Deutschland zeigt sich das mit einer AfD im Bundestag, in der Schweiz sind es die durch rassistische Vorurteile gewonnenen Vorlagen der SVP und im Alltag die Anwendung von Wörtern wie «schwul» oder «Schlampe» als Beleidigung, die immer noch regelmässig benutzt werden. Der Hass im Internet wird genauso wenig verschwinden wie der Hass im Alltag. Solange Rassismus, Homo- und Frauenfeindlichkeit salonfähig bleiben, und sei es auch nur getarnt von schwarzem Humor, werden marginalisierte Gruppen Hass erfahren. Das Internet dient bloss als Brandbeschleuniger.

Josia Jourdan rezensiert Bücher in seinem eigenen Blog und ist publizistisch tätig für verschiedene Medien, u. a. für die BZ Basel und für Bajour.
Ein Gedanke zu “Wie real ist der Hass wirklich?”
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