von Markus Hilfiker
Am 15. Dezember 2014 brachte der Tagesanzeiger als einzige Schweizer Zeitung die Meldung, der Bund plane, für das Fracking – eine äusserst umstrittene Gasfördermethode – die Gesetze zu lockern. Im Artikel wirft ein namhafter Geologe den Gegnern des Verfahrens fachliche Unkenntnis vor: „Der Widerstand ist leider rein emotional begründet.“ Nebenbei: Denselben Satz hörte ich vor 35 Jahren als Gymnasiast bei einem Besuch im AKW Gösgen auch schon einmal. Gebohrt werden soll u. a. in der Region des Bodensees, der fast fünf Millionen Menschen als Trinkwasserreservoir dient.
Hinter dieser kaum beachteten Zeitungsmeldung stecken ganz grosse energie- und klimapolitische Zukunftsfragen: Wollen wir das fossile Zeitalter noch mehr verlängern? Wenn wir das nicht wollen: Wie soll die Energiewende dann aussehen?
Die aufgeworfenen Fragen gehören zu den vielen, die mit dem Begriff „Natur“ zu tun haben, wobei dieser vieldeutige und vielschichtige Begriff hier vereinfacht verstanden wird als Raum, in dem wir leben, oder als Kulturlandschaft im geografischen Sinn. Gesellschaftspolitisch sind diese Fragen und das Bewusstsein um die kritische Verletzlichkeit der Natur durch die technische Intervention des Menschen erst in den letzten Jahrzehnten in den Fokus gerückt. Daraus entstanden bekanntlich neue Wissenschaftszweige, die man grob als Umweltforschung bezeichnen könnte. Diese hat in der Zwischenzeit einige alarmierende Forschungsergebnisse hervorgebracht, die wiederum auch die Philosophen auf den Plan gerufen haben. So hat Hans Jonas den Kant’schen Kategorischen Imperativ folgendermassen umformuliert: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Wenn wir diese Maxime zur Richtschnur unseres Handelns machen – und dass wir dies tun sollten, scheint mir eine Selbstverständlichkeit, die keiner weiteren Rechtfertigung bedarf –, dann müssen wir uns auch im Schulunterricht intensiv mit der „Natur“ auseinandersetzen.
Dabei muss zunächst ein komplexes Faktenwissen erarbeitet werden, denn dem Vorwurf der technisch-sachlichen Ignoranz und der emotionalen Argumentationsweise ist man schnell ausgesetzt. Sodann folgt ein letztlich ethisches Abwägen, denn bei Fragen zur Natur stehen wir oft vor klassischen Dilemmata, z. B. Naturschutz versus Stromgewinnung. Wenn wir uns diesen Fragen nicht stellen und vernünftige Antworten finden, wird die Natur selbst eine Antwort geben. Ich fürchte, keine angenehme.
P.S.: Drei Tage nach der eingangs erwähnten Meldung, am 18.Dezember 2014, verbot der US-Bundesstaat New York das Fracking wegen möglicher Gefahren für die Umwelt und die Trinkwasserversorgung. Die New Yorker haben offenbar politische Entscheidungsträger, die stark von Emotionen geleitet sind.