Wofür schlägt dein Herz?

Maturrede von Evelyne Jöhri (4Wa)

 

Sehr geehrte Damen und Herren; liebe Eltern, Freunde, Bekannte, liebe Lehrer. Aber vor allem: liebe – seit Neustem – Mit-Maturi und Mit-Maturae. Ja, das nennt man wirklich so.

Zugegebenermassen kann ich nicht sagen, dass ich die Ehre bekommen habe, hier sprechen zu dürfen – ich habe sie mir nämlich viel eher genommen. Trotzdem freue ich mich sehr hier vorne stehen zu dürfen, um ein letztes Wort mit euch zu teilen, bevor wir die Schulzeit endlich endgültig hinter uns lassen.

Für viele von uns mag die Zeit am Gymnasium ein Höhepunkt gewesen sein. Umgeben von Freunden, sorglos und neugierig, voll Abenteuerlust und Vorfreude auf das Leben. Und jetzt steht das Leben unmittelbar vor uns, und ich frage mich: Was jetzt? Ich habe meine Matur, ich habe Zukunftsvisionen, ich weiss so grob, wann ich wo sein möchte und wie und wie mein Weg dorthin aussieht. Und dennoch habe ich irgendwie das Gefühl, dass etwas fehlt. Etwas, das mich berührt, etwas, das für mich mehr ist als ein Studium oder ein Beruf. Ein Sinn, ein Zweck. Etwas, das mich vorantreibt, das mich leitet. Vielleicht ist euch jetzt nicht klar, was ich damit meine, aber fragt euch doch einmal, was ihr in 10 Jahren erreicht haben wollt, was sich nicht mit einem Universitätsabschluss oder einem Arbeitszeugnis zeigen lässt. Habt ihr in eurem Leben die Herzen der Menschen berührt? Könnt ihr mit gutem Gewissen sagen, etwas für diese Welt getan zu haben? Liegt hinter euch ein Weg voller Taten, die ihr nicht getan habt, weil es sich gut im Lebenslauf macht, sondern einfach weil ihr es wolltet?

Malala Yousafzai ist eine Kinderrechtsaktivistin aus Pakistan, wo es vielen Mädchen verboten ist, eine Schule zu besuchen. Malala, welche als „das Herz von Millionen von Menschen“ bezeichnet wird, setzt sich für die Bildung ein, für die Rechte von Mädchen. Dafür hat sie letztes Jahr den Friedensnobelpreis erhalten. Mit gerade mal 18 Jahren. Wir sind 18, oder sogar älter, und ich würde jetzt mal behaupten dass noch keiner von uns einen Friedensnobelpreis erhalten hat. Hier die Matur erhalten zu dürfen gehört sicherlich zu den wichtigsten Dingen, die wir bisher erreicht haben – und das ist auch gut so! Wir dürfen stolz darauf sein! Aber wir müssen uns auch bewusst sein, dass Prüfungen schreiben und Noten erhalten diese Welt nicht zu einem besseren Ort machen.

Ich weiss, das klingt jetzt sehr nach Predigt, und ich will nicht, dass ihr das Gefühl habt, ich zwinge euch weniger zu duschen oder nur Bioprodukte zu kaufen oder euer ganzes Erspartes zu spenden – ich möchte euch einfach nur dazu anregen, eure Augen offen zu halten, nach dem Leitfaden, der euer Leben bestimmen soll, fernab von Geld und Gesellschaft. Für die, die jetzt sagen: Ja, du hast doch selbst noch nichts erreicht. Stimmt. Und genau deshalb stehe und spreche ich hier, weil ich Angst habe, dass die Zeit uns langsam davonrennt. Weil ich Angst habe, keine Zeit mehr zu haben, etwas zu erreichen, was wirklich wichtig ist. Die Welt verändert sich rasant und man sieht nur noch eine grausame Welt voll von Schrecken und Zerstörung. Was, wenn ich meine Chance verpasst habe, dieser Welt etwas Gutes zu tun, bevor sie beginnt, zu zerbrechen?

Was bewegt euch? Wo hört ihr automatisch genauer hin, wenn es in den Nachrichten oder im Radio erwähnt wird? Wo werdet ihr von Leidenschaft gepackt? Wo möchtet ihr unbedingt mitdiskutieren? Bei was blüht euer Herz auf, wo seid ihr mit Herzblut dabei? Wo hört euer Herz auf zu schlagen?

Es gibt so viele bedeutende Bewegungen, die im Moment stattfinden. Umweltschutz, Feminismus, Veganismus, der Kampf gegen Rassismus und der Kampf gegen die Ausländerfeindlichkeit, um nur ein paar zu nennen. Vielleicht versteht ihr nicht, wieso ihr euch einsetzen sollt – uns geht es doch gut! Es ist doch so viel bequemer, einfach die Augen zu schliessen. Aber auch uns wird es nie wirklich gut gehen, auch unser Herz wird nie voll aufblühen, wenn nicht diese Welt, auf der wir leben, wieder gesund wird. Ist die Welt krank, sind es auch wir – da spielen Landesgrenzen keine Rolle mehr.

Stellt euch vor, was wir alle erreichen können… Mit dem Privileg, hier in der Schweiz sicher aufgewachsen zu sein und Zugang zu einem guten Bildungssystem erhalten zu haben, lässt sich doch so viel mehr machen als Geld verdienen und der Norm zu entsprechen. Wir sind einem Alltagstrott verfallen, wenn wir doch eigentlich genau dem Alltag trotzen sollten. Malala hatte genug von ihrem Alltag, von einer grausamen Welt. Ihr Alltagstrotz hat sich in einen Funken verwandelt, welcher Millionen Menschen auf dieser Welt berührt hat. Das alles fängt damit an, dass man sich von etwas bewegen lässt.

Ich weiss, dass wir nicht in purem Altruismus leben können und dass es verständlich ist, dass wohl keiner von uns das will. Aber gute Taten summieren sich, und gute Taten kommen von ganz allein, wenn das Herz für etwas schlägt. Versucht, die Welt nicht so zu sehen wie sie ist, sondern wie sie sein soll. Und dann setzt euch dafür ein, dass diese Welt Wirklichkeit wird. Kämpft dafür.

Malala hat es getan, und sie tut es noch heute. Selbst als die Taliban ihr eine Kugel in den Kopf gejagt haben, hat ihr Herz nicht aufgehört zu schlagen. Es schlug so stark, dass es noch heute den Herzschlag anderer ansteckt. Und siehe da: sie hat mit 18 einen Friedensnobelpreis erhalten. Und weil ich weiss, wie kompetitiv wir sind, und wie viel Mühe wir uns geben wenn es darum geht, besser als andere zu sein, fordere ich euch dazu heraus, es mit 25 geschafft zu haben.

Wir sprechen uns in ein paar Jahren wieder. Alles Gute.