von Marianne Breu
Man denke mal an die eigene Kindheit zurück – sei es als Lernender oder auch als Lehrende: Wir haben Rad fahren oder schwimmen gelernt, indem wir es einfach versucht, geübt und plötzlich gekonnt haben. Dabei erlebten wir Stürze, Mutlosigkeit, neue Lust und eine Vorausphantasie des Könnens. Mit dabei waren immer auch die Freude am Sich-Ausprobieren und eine gespannte Erwartung auf die mögliche Erweiterung der Grenzen. Diese Glückserfahrung und Selbstbestätigung erfüllt uns immer, wenn wir uns aus Neugier und Entdeckerfreude selbstbestimmt mit einer neuen Sache verbinden.
Die Hirnforschung zeigt, dass sich im Hirn nur etwas ändert, wenn es unter die Haut geht. Gelernt wird, wenn man etwas für sich selbst als wichtig erachtet und sich davon berühren lässt. Was man im Zustand dieser Begeisterung lernt, behält man. Das Selbstvertrauen wächst an den Herausforderungen, die man bewältigt. Selbstorganisiertes Lernen ist Zumutung und Bereicherung sowohl für Lernende als auch für Lehrende. Wir muten uns selbst und einander etwas zu. Am Ende einer Übung bin ich nicht mehr dieselbe, die ich am Anfang war. Ich überwinde Ängste und Vorbehalte, gehe Wagnisse ein und tue Ungewöhnliches. Ich lasse mich nicht beirren, untersuche Fehler, fange neu an – und ich erwerbe Selbstvertrauen und die Fähigkeit zur Selbstorganisation.
Erfolgreiches Lernen geschieht, wenn die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden stimmt. Neben der Funktion des Stoffvermittlers sind wir Lehrenden auch Ermutiger und Ermöglicher oder begreifen uns als eine Art Hebamme – die Lernenden beim Aus-dem-Ei-Schlüpfen assistiert – und als Gelassenheits-Profis, die wissen, dass das Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht. Ich plädiere für eine Didaktik der Anfänge, die ihre Wurzeln in der persönlichen Lerngeschichte jedes Lernenden hat. Darin sind Theorie und Praxis, Vollziehen und Reflektieren nie getrennt.
Und wir sollten unsere Haltung gegenüber dem Gefühl der Langeweile revidieren. Im Grunde schafft Langeweile die wunderbare Situation, dass wir eigene, kreative Ideen entwickeln und dass sich unsere angeborene Lust aufs Lernen und Tätigsein meldet. Im Einzelgängertum lässt sich eine Quelle der Selbstbehauptung wiederentdecken.
Lernzeit ist Lebenszeit: ein Abenteuer mit offenem Ausgang für alle Beteiligten. Oder wie ein chinesisches Sprichwort sagt: «Eine Schlucht überwindet man nicht mit zwei Sprüngen.» Wagen wir im selbstorganisierten Lernen gemeinsam diese neue Zumutung!
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