von Anna Holm, Lena Otteneder und Julie von Büren (Foto z. V. g.)
Die basellandschaftliche Sektion der BDP (Bürgerlich-Demokratische Partei) lädt Schülerinnen und Schüler zum von ihr veranstalteten Wirtschaftsanlass 2017 mit dem Titel „Tag der Jugend“ ein. Auf dem Flyer wird den Teilnehmern ein parteiunabhängiger Anlass mit dem Thema «Die Wichtigkeit der bilateralen Verträge für das Dreiländereck» versprochen. Die Tatsache, dass das BDP-Logo zuoberst als einziges Parteilogo abgebildet ist, macht uns stutzig. Daher melden wir drei uns prompt an, um selbst in Erfahrung zu bringen, was diese Veranstaltung uns Jungen denn zu sagen hat.
Powerpoint und Parteiproganda
Aufgrund von sehr wenig Anmeldungen landen wir anstatt wie in der Einladung geschrieben im KuSpo, in einem schmucken kleinen Saal im Prattelner Schloss. Mit uns im Raum sitzen ausschliesslich Berufsmaturschüler auf den lederbezogenen Stühlen. Sie sind als Klasse mit ihrem Lehrer hier und sitzen geschlossen auf der rechten Saalseite, wir drei auf der linken als Einzige, die sich privat angemeldet haben. Weder in den Zuschauerreihen noch auf dem Podium finden sich weitere Frauen. Das Tischtuch und die Blumensträusse sind in Gelb gehalten, neben dem grossen Flachbildschirm mit der Powerpoint-Präsentation steht ein BDP-Plakat. Am Treppengeländer sind BDP-Ballone angebracht – es ist unbezweifelbar, wer den Event organisiert hat. Ein wenig fremd im Raum ist das Logo der Operation Libero, welche mit ihrem Vorstandsmitglied Janos Ammann als Podiumsteilnehmer vertreten ist. Die Operation Libero ist eine nicht-parteiliche Bewegung, die sich stark für gute Beziehungen zur EU und eine gelungene Integration der Schweiz in Europa einsetzt. Mit ihren Forderungen nach erleichterter Einbürgerung, einer liberalen Gesellschaftspolitik, nach Mindestlohn und sozialer Umverteilung ist sie ist die Exotin in der Runde. Wir zücken die Schreibblöcke und sind gespannt auf den Abend.
Nach einer kurzen Begrüssung durch den BDP-BL-Präsidenten Marc Bürgi hören wir einen Beitrag von Matthias Leuenberger, Mitglied der Geschäftsleitung von Novartis. Er zieht eine Korrelation zwischen der Schweiz als eines der glücklichsten und zugleich innovativsten Länder der Welt. Die Rahmenbedingungen für den Schweizer Wohlstand und den Innovationstandort Schweiz sieht er durch die Bilateralen gesichert: „Unser Hauptfokus der Bilateralen liegt auf der Zulassung von Fachkräften, der Exporte sowie auf der Förderung der Forschung.“
Auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen
Die Vorstellungen, dass AusländerInnen den SchweizerInnen die Arbeitsuche erschweren würden, sei hinfällig. Die Novartis ist auf ausländische Fachkräfte angewiesen, da sich in der Schweiz schlicht nicht genug entsprechend ausgebildete Leute finden lassen. Die Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU sind deshalb für die Novartis unerlässlich. Leuenberger spricht auch von den politischen Herausforderungen: „Mit Initiativen wie der Selbstbestimmungsinitiative haben wir Mühe; diese bereiten uns Sorgen.“
Die Selbstbestimmungsinitiative der SVP würde sich bei Annahme fatal auf das Unternehmen auswirken. Bereits die Masseneinwanderungsinitiative im 2014, bei der Kontingente für ausländische Arbeitskräfte vom Volk mit einer knappen Mehrheit von 50,3 % angenommen wurden, habe negative Folgen für die Novartis nach sich gezogen. Wie auch die Masseneinwanderungs-, gefährdet auch die Selbstbestimmungsinitiative die Bilateralen Verträge mit der EU, darunter auch die Personenfreizügigkeit. Die Initiative will, dass die Bundesverfassung vor internationalem Recht gelten soll. Internationales Recht, auch Völkerrecht genannt, umspannt alle Gesetze, Verträge und Verordnungen, welche Rechte und Pflichten zwischen verschiedenen Staaten regeln. Dazu gehören auch die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU. Mit der durch die Selbstbestimmungsinitiative geplanten Änderung der Bundesverfassung im Artikel 197 Ziffer 12 sollen auch bereits bestehende Verträge für die rechtsanwendenden Behörden, z. B. das Bundesgericht, nur massgebend sein, wenn sie dem Referendum unterstanden haben. Ansonsten wird bei Widersprüchen zwischen Bundes- und Völkerrecht die Bundesverfassung vorgezogen. Das bedeutet, dass alle Verträge durch einen Volksentscheid in Frage gestellt und gekündigt werden können.
Verrostete Schlüssel
Nach Leuenbergers Darlegung Europas aus Sicht der Wirtschaft, hören wir von der Bedeutung der EU für die heutige Jugend. In einer beherzten Rede erklärt Janos Amman, Vorstandsmitglied der Operation Libero: „Die Bilateralen Verträge sind die Schlüssel zu unseren Chancen in Europa. Wir alle sind aufgewachsen mit diesen Chancen und nehmen sie als selbstverständlich war. Doch das sind sie nicht, gerade für uns, die nicht in einem EU-Land leben.“ Er legt uns die Wichtigkeit der Verträge, insbesondere der Personenfreizügigkeit, anschaulich ans Herz und führt seine Erklärungen fort mit den Worten: ‘’Unsere Schlüssel sind schwer, klobig und verrostet. Wir laufen Gefahr, dass sie nicht mehr in die europäischen Schlösser passen. ’’
Ein trinationales Parlament für die Jugend
Dietrich Elchlepp, ein ehemaliger SPD-Abgeordneter im Europarat, stellt uns das Jugendparlament am Oberrhein vor. In diesem ehrenamtlich organisierten Diskussionsforum können 16- bis 20-jährige SchülerInnen und Lernende sich grenzüberschreitend mit aktuellen politischen Themen in Bezug auf die Region befassen. Anlass zur Gründung sei die schockierend niedrige Stimmbeteiligung der Jungen bei den Europaratswahlen in Baden-Württemberg gewesen. „Wir haben dieses Parlament eingerichtet, um den Jugendlichen zu zeigen, dass ihre Meinung wichtig ist.“ Als Mitorganisator des Forums liegt ihm der Kontakt unter den Jungen ums Dreiländereck besonders am Herzen. Dies wiederholt er auch in Bezug auf die schulische Entwicklung mit den Worten: „Ich halte alle Bestrebungen, den Fremdsprachenunterricht zu minimieren, als nicht förderlich. Gegen solche Dinge muss man sich wehren.“ Die Selbstverständlichkeit der Freiheiten, die wir heute geniessen, dürfe nicht zu Gleichgültigkeit werden. Erfolgreiche demokratische Kulturen seien immer durch Austausch und Selbstkritik entstanden. Gerade Letzteres sei angesichts des Aufschwungs rechts-populistischer Parteien wieder notwendig. Die Gefahr bestehe, dass das Konkurrenzdenken der Nationalstaaten weiter geschürt würde, was sich in der Geschichte als inhuman, unökologisch und unökonomisch gezeigt habe. Der aufkommende Nationalismus beeinflusse auch massgeblich die Debatte der Migrationspolitik. „Unsere Vorteile und Freiheiten verpflichten zum Geben, wenn Flüchtende und Leidtragende in Europa ankommen“, lautet seine Stellungnahme.
Ein Podium ohne Prügel
Bei der Podiumsrunde stösst Naomi Reichlin dazu, seit wenigen Wochen die Vize-Präsidentin der FDP Baselland. Das eigentliche Thema dieses „Tages der Jugend“ („Politverdrossenheit der Jugend – Realität oder Geschwätz?“) – wird dabei leider nicht wirklich angeschnitten und das Publikum kann sich nicht einbringen. Die Diskussionsrunde gleicht vielmehr einem Konstanten sich Zustimmen; Kontroversen sucht man vergebens. Die verschiedenen Hintergründe der Podiumsteilnehmer lassen kein Thema finden, das einen direkten Schlagabtausch erlauben würde. Auch der Moderator der Diskussion, Marc Bürgi, schwankt zwischen den beiden Aufgaben, seine Partei zu vertreten und gleichzeitig die Spannung zu halten und wird unseren Erwartungen nicht gerecht. Nach dem reichlichen Apéro im Innenhof radeln wir zurück nach Muttenz und für uns bleibt die Frage vom Anfang immer noch ungeklärt: Warum genau sollten Gymnasien ihre Schülerinnen und Schüler an die Propagandaveranstaltung einer Partei senden?
Demokratie braucht Diskurs
Wir begrüssen die Idee, politische Diskussionen für SchülerInnen und Schüler aufzugleisen, sehr und erhoffen uns davon, dass vermehrt junge Stimmen im politischen Diskurs zu hören sein werden. Jedoch sehen wir die Lösung zur Verringerung der Politverdrossenheit nicht in Parteianlässen wie dem von uns besuchten. Plattformen wie das Jugendparlament am Oberrhein sind hingegen ein wertvoller Beitrag zur Partizipation der Jugend in unserer Demokratie. Auch in unserer Region gibt es verschieden Angebote, Politwind zu erschnuppern. Zum Beispiel findet alljährlich das Jugendforum Baselland statt. Bei solchen Anlässen wird deutlich: Wir haben eine Meinung, wir haben eine Stimme und wir dürfen den Diskurs über die Zukunft der Schweiz und somit auch unsere Zukunft nicht den älteren Generationen überlassen! Wir freuen uns, auch Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums und der FMS Muttenz in spannenden Diskussionen mit Politikern und Politikerinnen des gesamten Politikspektrums zu erleben. Dort findet Austausch und Diskurs statt. Diese Meinungsvielfalt ist für eine Demokratie unerlässlich, doch sie muss gelebt werden und lässt sich nicht bei parteilinientreu ausgerichteten Podien erfahren. Unser Fazit: Politisches Interesse ist nicht konsumierbar, sondern entsteht in der Widersprüchlichkeit der Realitäten.

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