Lebkuchen, Senf und Rotwein

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Französisch-Intensivwoche der 2MS, September 2017

von Eva Oberli (Text und Fotos)

Sonntag: Aufbruch ins Ungewisse

Der Himmel strahlt blau und die Luft ist spätsommerlich warm an diesem Sonntag, als sich die Klasse 2MS um kurz nach zwei Uhr nachmittags am Bahnhof Basel SBB einfindet. Hier beginnt die Expedition: Wir fahren nach Frankreich, quartieren uns für eine Woche bei einer bis anhin unbekannten Familie ein und lernen die Burgunder Hauptstadt Dijon kennen. Alles auf Französisch, wohlverstanden. Im Hinblick darauf liegt Aufregung in der Luft, niemand weiss so wirklich, was ihn erwartet. Als der TGV einfährt, der uns in weniger als zwei Stunden zu unserer Zieldestination bringen wird, verabschieden wir uns. Von Eltern, der Heimat und einer deutschsprechenden Umgebung. Während der Zugfahrt erfüllen aufgeregte Gespräche den Waggon. Es wird diskutiert über das bevorstehende Treffen mit unseren Gastfamilien, die Stadt an sich und wie der Unterricht wohl werden wird. Die Spannung steigt mit jedem Kilometer, während die meisten Fragen unbeantwortet bleiben.

Wir kommen am späten Nachmittag in Dijon an. Der Himmel strahlt ebenso blau wie zuhause und die Luft ist sogar noch eine Spur wärmer. Die meisten Leute werden aufmerksam und schauen neugierig herüber, als eine schweizerdeutsch sprechende Horde Jugendlicher, 22 Rollkoffer hinter sich herziehend, die Altstadt von Dijon entert. Wir gehen zu Fuss bis zur Alliance française, wo wir von Monsieur Vernet begrüsst werden.

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Er händigt uns Stadtpläne und Busverbindungen aus, zeigt uns das Schulgebäude und teilt uns hinterher unseren Gasteltern zu. Von dem Moment an wird die Klasse 2MS in ganz Dijon verteilt. Jeder wechselt erste wacklige Sätze mit Gasteltern und Gastgeschwistern, bezieht das Gästezimmer und setzt sich an einen fremden Tisch zum Abendessen. Auf Fragen der Dijoner Familien antworten die meisten von uns noch schlicht und einfach mit «oui», «non» oder «merci». Die übrige Zeit versucht man den Gesprächen der Familie zu folgen. Es werden Dialektausdrücke hin und her geworfen, es wird über den zum Essen gereichten Rotwein gefachsimpelt und über die französische Präsidentengattin gelästert. Dass die Franzosen bis spät abends zusammensitzen und Konversation betreiben können, erlebt die Klasse schon am ersten Abend. Da ist die Stimmung fröhlich und ausgelassen, woran der Burgunder wohl nicht ganz unschuldig ist. Zwischendurch entstehen auch kurze, scharfe Wortwechsel, doch dann wird nachgeschenkt, angestossen und man lacht wieder zusammen. Die Eindrücke des Tages, die ungewohnte Sprache und die Erschöpfung der Anreise machen sich bemerkbar, man wird müde und verabschiedet sich noch etwas unbeholfen mit einem «Bonne nuit» von der Familie.

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Montag: Fluchen auf Französisch

Wie eine Mutter, die ihre heil aus dem Krieg heimkehrenden Söhne in die Arme schliesst: In etwa so fällt unsere gegenseitige Begrüssung am Montagmorgen aus, als um halb neun nach und nach die ganze Klasse am Schulgebäude der Alliance eintrudelt. Vertraute Gesichter und Münder, die Sätze auf Deutsch formulieren.

Noch nie war die Gesprächigkeit unserer Klasse so entspannend.

Allzu lange währt der rege Austausch allerdings nicht, denn um neun Uhr beginnt der Unterricht. In einem Raum im ersten Stock behandeln wir fortan Grundregeln der französischen Sprache. Wir beschäftigen uns mit Orthographie, Präpositionen und Liasons. Ausserdem analysieren wir Songtexte von STROMAE sowie französische Redewendungen und diskutieren darüber, ob man Insekten essen sollte. Im Verlauf dieser Gespräche bereichern wir unseren Wortschatz vor allem um leicht vulgäre Ausdrücke wie «dégueulasse», «crever» und «chiant».

Nach einer zweistündigen Mittagspause treffen wir uns um zwei Uhr am Place de la Libération. Dort werden wir von einer Dame der Alliance abgeholt, die uns eine kleine Stadtführung gibt.  An allen grossen Bauten der Stadt, wie dem Palast der Burgunder Erzherzöge, der Notre- Dame oder dem Justizpalast, sollen wir Ausschau nach Löwen halten. Deren Abbild sollte die Stärke und Macht von Dijon zum Ausdruck bringen, wie uns unsere Guide erklärt. Die Führung dauert knappe zwei Stunden. Danach haben wir freie Verfügung, uns die Stadt auf eigene Faust anzusehen, bevor gegen sieben Uhr jeder zu seiner Gastfamilie zurückkehrt. Dort können wir den hitzigen Gesprächen schon etwas mehr folgen, denn einzelne der gesprochenen Fluchwörter sind aus dem morgendlichen Unterricht nun bekannt.

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Dienstag: Süsses, Bitteres und Nasses

Der morgendliche Unterricht beschränkt sich auf eineinhalb Stunden. Um halb elf Uhr machen wir uns auf den Weg zum Place Darcy, wo wir in einen lilafarbenen Bus der Linie 10 steigen und zur Lebkuchenbäckerei MULOT & PETIT JEAN fahren. Im Renaissancebau der Fabrik erklärt man uns Schritt für Schritt, wie hier seit über 200 Jahren aus Weizenmehl, Zucker, Honig, Backpulver und Anis die Dijoner Spezialität gebacken wird. Am Nachmittag finden wir uns für weitere zwei Stunden Französisch-Unterricht erneut im Schulgebäude ein, die Aufmerksamkeit der Klasse lässt allerdings bereits ein wenig nach.

Da der Dienstag zum Tag des Ausgangs gekürt wurde, verabreden wir uns spontan zum gemeinsamen Abendessen am Place de la Libération. Beinahe die ganze Klasse ist anwesend und wird Zeuge davon, dass man Pizza besser in Italien als in Frankreich essen sollte. Auf den kulinarischen Reinfall folgt dann jedoch ein wortwörtliches Highlight: Mit der Abenddämmerung erleuchtet die Springbrunnenanlage am Place de la Libération in allen Regenbogenfarben und gibt Gelegenheit für wunderbare Fotos.

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Nachdem alle abgelichtet und nass gespritzt sind, schlendern wir noch eine Weile in der Altstadt herum, bevor sich nach und nach jeder auf den Heimweg macht.

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Mittwoch: Kunst, Kultur und Krankenhaus

Am Mittwoch findet der grosse Ausflug der Woche statt. Wir fahren mit dem Zug bis nach Beaune, um eine Ausstellung über den Künstler Salvador Dalí und das Hospiz de Beaune zu besuchen. Die Besichtigung der Dalí-Ausstellung wird zu einem sehr bizarren Erlebnis, da der Herr, welcher uns durch die Ausstellung führen soll, wirkt, als hätte er irgendwelche bewusstseinserweiternden Substanzen eingenommen. Alle sind erleichtert, das Gebäude verlassen zu können.

Das Hospiz de Beaune, welches zum Weltkulturerbe zählt, erinnert entfernt ans Freilichtmuseum Ballenberg. Über Audioguides wird uns die Geschichte des Krankenhauses erzählt, die liebevolle Ausstattung der einzelnen Räum verleiht dem Museum Charme und eine angenehme Atmosphäre.

Nach der Besichtigung des Hospizes sehen wir auch noch ein bisschen etwas von der Altstadt, setzen uns im abendlichen Sonnenschein auf die Bürgersteige und essen Crêpes.

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Donnerstag: Kommunizieren

Tag des Französisch-Unterrichts. Wir betreten unseren Klassenraum um neun Uhr und verlassen ihn am Ende des Schultages um drei Uhr nachmittags. Am letzten ganzen Tag in Dijon profitiert jeder für sich ein letztes Mal von der Stadt. Manche besuchen die Museen, andere erledigen letzte Souvenir-Einkäufe.

Doch die allermeisten trifft man, in Gespräche vertieft, früher oder später irgendwo an einem Brunnen oder auf einer Bank sitzend. Wie schon ganz zu Beginn der Woche treffen wir uns am Abend mit der ganzen Klasse im Gebäude der Alliance für einen Abschieds-Apéro. Die Chorsänger der Klasse lassen den Abend mit «Meiteli, wenn du wetsch go tanze» und «Goodnight Sweetheart» ausklingen.

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Freitag: Französisch, Schweizerdeutsch und Englisch

Am letzten Morgen in Dijon ziehen 22 Jugendliche ihre Rollkoffer um halb zehn Uhr zum Schulgebäude. Den ersten Abschied, den von unseren Gastfamilien, haben wir da bereits hinter uns. Nach fünf Tagen fielen die Verabschiedungen auf Französisch schon wesentlich selbstsicherer und wortgewandter aus als die Begrüssung am Sonntag. Ein bunter Haufen von Gepäckstücken dekoriert unseren Unterrichtsraum für die letzten drei Französischlektionen, es herrscht Aufbruchsstimmung und ein ganz klein wenig Wehmut. Nach dem Ende des Unterrichts um zwölf Uhr begeben sich alle in Richtung Bahnhof. Beladen mit dem eigenen Gepäck, mit Souvenirs für Freunde und Familie und mit Proviant für die bevorstehende Zugreise.

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Auf der Rückreise herrscht Stille im Zugwaggon, alle hängen in den Seilen. Jedenfalls solange, bis Frau Janiak ein französisches Hefegebäck auspackt, es mit dem guten alten Schweizer Taschenmesser auseinander säbelt und an die Klasse verteilt. Dann dauert es nicht mehr lange, bis eine verheissungsvolle Spotify-Playlist entdeckt wird, die alle Hits der letzten Jahre beinhaltet. 22 Jugendliche singen ausgelassen zu Titeln von Justin Bieber, Rihanna und Lady Gaga. Diesmal ist nichts Französisches dabei.

Als wir in Basel aussteigen, bricht eine Welle von Heimatgefühl über uns herein. Umarmungen und Schöne-Ferien-Wünsche werden verteilt, bevor alle ihre nächste Zugverbindung in Richtung Fricktal, Basel und Umgebung oder Oberbaselbiet anstreben. Einer nach dem anderen verlässt den Bahnhof, der Himmel strahlt blau und die Luft ist spätsommerlich warm.

Magnifique!

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Klassenfoto: Danuta Janiak