Eva Oberli konnte ihre Rede nur vor ihrer eigenen Klasse, der 4MS, halten, weil die Zeugnisübergaben im Corona-Jahrgang klassenweise gestaffelt stattfanden. Die Klassenfotos in Originalgrösse und der Bericht zur Maturfeier sind im hier verlinkten Beitrag. In der Video-Aufzeichnung oben spricht Eva zu ihrer Klasse, ihrem Jahrgang und zu sich selbst. Wir publizieren hier auch den Redetext. Und darunter folgt die Bildreportage der gesamten Maturfeier vom 16. Juni 2020, 15.00-20.00 Uhr. Hinter den Kameras: Heinz Altwegg, Anna Esch und Daniel Nussbaumer.
Von Eva Oberli
Liebe Anwesende
Ist es schon zu spät für einen dämlichen Corona-Witz? Möglicherweise. Und trotzdem: Ich sage nicht, dass uns der Schulbesuch in diesen Räumlichkeiten durch eine gewisse Immunisierung wahrhaftig auf eine globale Pandemie vorbereitet hat. Aber wer vier Jahre lang das Leitungswasser aus dem vierten Stock getrunken hat… Denkt mal drüber nach.
Wo fangen wir denn an, an diesem heutigen Abend, an dem unsere gemeinsame Zeit ein Ende findet? Vielleicht ganz am Anfang. Erinnern wir uns doch mal zurück an diesen einen Montag im August 2016. Als wir alle als süsse, kleine Erstklässler*innen mit grossen, glänzenden Augen hier ankamen und zum ersten Mal dieses grosse, grüne Gebäude namens «Gymnasium Muttenz» betreten haben.
Damals, als noch keiner wusste, was für Persönlichkeiten sich hinter diesen vielen neuen Namen und fremden Gesichter verbargen. Damals, als noch jeder und jede einen eigenen Block Schreibpapier besass. Und damals als wir noch dachten, wir würden uns irgendwann an den Treppenaufstieg in den vierten Stock gewöhnen.
Dann ist ganz viel zwischendrin passiert. Unterricht, Lager, Präsentationen, Wandertage, funktionierendes W-Lan, Vokabeltests, Prüfungen, Feueralarme, Mittagsveranstaltungen, SLS, Maturaarbeit, Studienreise und Picknick-Einkäufe bei Coop.
Und heute stehen wir hier, kennen ein paar Namen und Gesichter mehr als damals, teilen uns zu siebt Häuschenpapier wie Netflix- Accounts und wissen, vier Stockwerke sind freitagnachmittags auch nach vier Jahren Konditionstraining noch zu viel.
Was haben wir in der Zeit gelernt? Fachlich gesehen, lässt es sich in circa 27 Kilogramm schwarzweiss bedrucktem Papier und 14 Seiten farbig bedrucktem Papier zusammenfassen. Und zwischenmenschlich? In Freundschaften, die entstanden sind. In Sympathien, gegenseitiger Wertschätzung, gemeinsamem Lachen, je nach Tagesform mehr oder weniger dämlichen Insider-Gags und stummen Umarmungen.
Ich möchte Euch an dieser Stelle einen ganz speziellen Tag in unserer gymnasialen Laufbahn in Erinnerung rufen. Den 11. Dezember 2019. Tag der MA-Präsentationen. An diesem Tag herrschten zwar einerseits Nervosität, Anspannung und Stress im Schulhaus. Aber auch etwas anderes und davon auch viel mehr: gegenseitige Unterstützung. In diesem Schulhaus liefen Dutzende Leute über die Gänge, haben sich gegenseitig viel Glück und Erfolg gewünscht, ermunternd zugesprochen, Ladekabel ausgeliehen, einander umarmt und beruhigt. Leute, die sich nicht kannten. Jeder und jede hier drinnen wurde aufgefangen. Von uns. Und ich denke, das war das Resultat dessen, was wir über die Jahre hinweg in sozialer Hinsicht gelernt haben. Wir haben gelernt, in Teams zu arbeiten. Und auch mit TEAMS zu arbeiten – belassen wir es dabei.
Und jetzt sind wir also hier, durch eine offizielle Beurkundung für Matur erklärt und bereit, aufs Leben losgelassen zu werden. Ich werde euch jetzt auch nicht sagen, dass ihr diese Welt hinterfragen, euren Verstand gebrauchen und euren eigenen Kopf benutzen sollt da draussen. Denn wenn ihr das nicht längst schon tun würdet, dann sässet ihr heute Abend nicht hier. Ihr könnt das alles. Ihr wisst, wie ihr euch eine eigene Meinung bilden könnt. Ihr wisst, wie wichtig es ist, kritisch und neugierig zu bleiben, wie man mit Informationen und deren Quellen umgeht, wie man Dinge einordnet und bewertet. Im Grunde habt ihr alles drauf, was es braucht, um die Welt zu retten, wenn ihr heute Abend hier rausgeht. Aber trotzdem finde ich nicht, dass ihr mit einer auferlegten Verpflichtung in diese Welt hinausgehen müsst. Die Matura zu schaffen, ist eine Leistung von uns für uns, nicht ein äusserer Zwang, uns alle Probleme und Konflikte der Welt auf die Schultern zu laden, kaum dass wir alle wieder einen eigenen Block Schreibpapier besitzen.
Ich wünsche euch, dass ihr mit eurem Leben etwas anfangt. Nicht, weil ihr eine gute Ausbildung und alle Möglichkeiten dazu habt, etwas zu werden. Nicht, weil es von euch erwartet wird, dass ihr etwas werdet. Sondern weil es jedem und jeder Einzelnen von euch zusteht, aus eurem Leben etwas zu machen. Und diese Lebenszeit zu nutzen. Und zwar für Dinge, die euch Spass machen, die euch interessieren und die für euch wichtig sind. Ich wünsche euch, dass ihr die Chancen packt, die sich bieten, dass ihr den Mut habt, euren Weg zu finden und auf ihm zu bleiben oder ihn auch zu verlassen. Ich wünsche euch, dass eure Pläne, so unterschiedlich sie auch sein mögen, zu etwas führen. Dass ihr erkennt, was ihr wollt. Dass ihr in eurem Leben das tut, was ihr für richtig haltet. Denn dann ist es richtig.
Wie sagte schon der grosse Micky Beisenherz: «Würde ist für manche Menschen nur ein Konjunktiv.»
Wenn euch bewusst wird, was ihr gerne tun würdet, was ihr gerne lernen würdet, wo ihr wohnen würdet, wen ihr in euer Leben lassen würdet. Dann tut das, dann macht «würde» zu einem Substantiv in eurem Leben. Lebt ein würdevolles Leben. Lebt euer Leben in Würde – sofern ihr das denn tun wollen würdet. Ich weiss nicht, wie viele von uns sich irgendwann mal wieder sehen werden. Welche Wege sich kreuzen, welche auseinanderlaufen werden und wo jeder unserer Wege enden wird. Aber ich wünsche mir, dass irgendwann auf jedem dieser Wege Herzblut geflossen sein wird.
Heute sagen uns alle, dass wir stolz auf uns sein können. Aber stolz sein, das dürfen wir auch noch morgen und für den Rest unseres Lebens. Stolz auf uns. Denn wir machen das. Wir machen es gut.
Ein Gedanke zu “Auf uns!”
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