Poetry Slam ist seit seinen Anfängen unter Mark Smith subversive Gegenkultur. Die ersten Slams in Chicago wollten wegkommen von der Wasserglas-Autorenlesung des Verlags-Marketings. Mit den Jahren ist der Poetry Slam jedoch auch in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Stars wie Bas Böttcher oder Hazel Brugger sind regelmässig im Fernsehen zu sehen. Auch aus dem Deutschunterricht ist Poetry Slam mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Er verspricht vieles: selbstgesteuertes Schreiben, Autonomie in der Themenwahl, selbstwirksame Auftritte und ein johlendes Publikum. Gute Laune ist garantiert, denkt man – dachte man. Denn dann kam Corona.
von Timo Kröner
Wie also kann man in Zeiten des Fernunterrichtes mit einem Programm wie „Teams“, das eigentlich für die Bürokommunikation entwickelt wurde, so einen Poetry Slam an der Schule veranstalten? Wir haben es versucht und sind dabei wie folgt vorgegangen: In einem ersten Schritt haben wir Texte und Videos angeschaut, um zu verstehen, wie Poetry Slam überhaupt funktioniert. Dann haben die Schülerinnen und Schüler den Auftrag erhalten, einen eigenen Poetry Slam-Text zu verfassen. Dabei hat ihnen ein Dossier aus einem Lehrbuch geholfen, das den Schreibprozess in 9 Schritte unterteilt hat. Damit hatten die jungen Slammerinnen und Slammer das nötige Werkzeug, um ihren Schreibprozess selbst zu steuern.
Die Entwürfe der Texte wurden in den Programmen „OneNote“ und „Teams“ abgelegt. So konnte ich als Lehrperson immer sehen, woran die Schüler*innen arbeiteten. In Video-Calls haben wir an den Texten gefeilt, bis sie vortragsfähig waren. Als dann am 27. Mai klar wurde, dass die Schulen auf der Sekundarstufe II weiterhin Fernunterricht halten, haben wir die reale, im Foyer des Gymnasiums geplante Poetry Slam-Veranstaltung in den virtuellen Klassenraum verlegt.
Der Vortrag der Texte wurde zu Hause mit der Computer- oder Handykamera aufgenommen. Dann gab es eine Vorausscheidung, bei der Gruppen von drei bis vier Schülerinnen oder Schülern ebenso viele Videos bewertet haben. Das Ergebnis war eine Rangliste der gesamten Klasse, die ersten sieben Plätze waren für das Finale qualifiziert. Dafür wurden im Vorfeld vier Jurygruppen und eine Slam-Masterin bestimmt. Dann hat die ganze Klasse die Videos angeschaut. Nach jedem Video hat die Jury beraten und eine Punktezahl für den Text abgegeben. So konnte am Schluss die Slam-Masterin die ersten drei Plätze (hier finden Sie die Texte der Plätze eines, zwei und drei) verkünden.
Der Fernunterricht hat den vielen Chancen des Themas Poetry Slam im Deutschunterricht eine weitere hinzugefügt: Die Auftrittskompetenz war nun gekoppelt an die Fähigkeit, den eigenen Auftritt mit der Computer- oder Handy-Kamera aufzuzeichnen. Zwar wurde der Poetry Slam so etwas weniger sinnlich: keine Bühne und wenig Geschrei, kein Geruch von Angstschweiß, das verheissungsvolle Flüstern der Jurygruppen konnte niemand hören, geschweige denn deuten. Doch angesichts der Tatsache, dass Bildschirmarbeit omnipräsent war, hat uns diese Variante der Vermittlung kultureller Techniken grossen Spass bereitet.
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