Corona Lektion Nr. 1 

Schulzimmer

von Jan Hitz, Konrektor (Fotos: Nu)

Freitag 13. März: Die Corona-Fallzahlen sind innerhalb von wenigen Tagen auf fast 1400 gestiegen. Noch läuft im Gymnasium Muttenz der Unterricht wie gewohnt, um die tausend Menschen gehen ihren Aufgaben im Schulhaus nach. Gespannt verfolgt die Schulleitung um 15.30 Uhr die Medienkonferenz des Bundesrates. Nach wenigen Minuten ist es klar: Die Schulen werden landesweit geschlossen. Ab sofort. Es wird laut auf den Gängen, vereinzeltes Jubeln ist zu hören, aufgeregtes Geplauder begleitet die eiligen Schritte auf der Treppe. Dann wird es still und leer im Schulhaus.

Zwar hat sich die Schulleitung schon seit einigen Tagen Gedanken gemacht, wie ein Unterricht auf Distanz funktionieren könnte. Dass die Schulschliessung aber so schnell kommen würde, damit hatte niemand gerechnet. Jetzt sind Kreativität, Improvisation und schnelles Handeln gefragt. Übers Wochenende müssen wir Fernunterricht für alle ermöglichen, ohne dass wir auf Praxisbeispiele zurückgreifen können.

Samstag 14. März: Teams oder OneNote? Browserbasiert oder Desktopprogramme? Stundenplan beibehalten oder nicht? Welche Tools und Kommunikationskanäle machen am meisten Sinn? Wie können wir den Fernunterricht möglichst einfach und strukturiert aufgleisen? Diese und andere Fragen werden nun von der Schulleitung intensiv diskutiert. Und was bedeutet die Schulschliessung für die Abschlussprüfungen? Wie handhaben wir Prüfungen und Notengebung? Darf man im Schulhaus noch Material holen, Bücher in der Mediothek ausleihen, das angefangene Experiment für die Maturaarbeit durchführen?

Ich schreibe Anleitungen für die für viele noch völlig unbekannte IT-Infrastruktur, formuliere Regeln für den Fernunterricht und baue einen IT-Support für die Lehrpersonen und die Schüler*innen auf. Auch am Abend zu Hause laufen die Vorbereitungen für den Fernunterricht weiter. Die Schulleitung testet die Videokonferenz per Teams. Wir diskutieren über die mündlichen Fachmatur-Abschlussprüfungen, die unter Schutzmassnahmen trotz Schulschliessung bald durchgeführt werden müssen.

Sonntag 15. März, 21.00 Uhr: Die Anleitungen und Regeln zum Fernunterricht werden auf die Homepage geladen und an alle Beteiligten gemailt. Wir haben viel gearbeitet, diskutiert und untereinander ausprobiert. Wird sich das alles in der Praxis bewähren? Was geschieht morgen in der ersten Lektion?

Montag 16. März, 07.55 Uhr: Nur die Administration ist vor Ort. Die Schulleitung installiert sich mit Schutzabstand im Sitzungszimmer. Es wird vermutlich eine Weile dauern, bis die Lehrpersonen und Schüler*innen mit den Anleitungen und Regeln klarkommen. Wir warten auf die ersten Feedbacks. Funktioniert der Fernunterricht oder wird jetzt das Chaos ausbrechen? Dann erreicht uns eine erste Nachricht: Eine Schülerin chattet ihrer Lehrperson in den Morgenkaffee, um Fragen zum Schreiben einer Rezension zu besprechen. Kurz darauf hören wir von ganzen Klassen, die pünktlich und fast vollzählig zur Videokonferenz bereit sind. Klar müssen Lehrpersonen noch das eine oder andere Headset oder Mikrophon anschaffen, Geräte zur elektronischen Stifteingabe bestellen oder Anleitungen studieren und ein Zimmer oder die Wohnstube als Homeoffice einrichten. Da und dort holpert es noch ein wenig, aber insgesamt machen sich ein grosses Engagement und kreative Ideen bemerkbar. Lektionen werden per Livestream im improvisierten Privatfilmstudio abgehalten, oder die «Corona Lektion Nr. 1» wird aufgenommen und der Klasse zur Verfügung gestellt. Es werden Quizlets, Kahoots und Padlets gestaltet, wie wenn wir alle noch nie anders gearbeitet hätten. Unsere gute Seele Theo Zahno berichtet via Grossbildschirm vom ersten «Fern-Support-Morgen». Unsere Techniker setzen Schulgeräte so auf, dass wir sie leihweise an Schüler*innen abgeben können, die kein Gerät haben. Der «Entfalter» zeichnet eine Video-Grussbotschaft der Rektorin auf. Ihre aufmunternden Worte werden per Instagram und Entfalterblog an die Schüler*innen gerichtet. Es erreicht uns die Anfrage einer Lehrperson, ob das okay sei, wenn eine andere Lehrperson mit der Klasse noch im Chat sei, obwohl eigentlich die nächste Lektion bereits begonnen habe.

Montag 16. März, 18.00 Uhr: Wir dürfen dankbar aufatmen: Unsere Erwartungen an den ersten Tag Fernunterricht sind bei weitem übertroffen worden! Lehrpersonen und Schüler*innen haben mit grosser Flexibilität und Offenheit das Beste aus der neuen Situation gemacht. Wir richten einen Chat ein für das ganze Kollegium, in dem Lehrpersonen einander beim Fernunterricht unterstützen und sich austauschen. Wir hören von der Chemielehrerin, die am Abend im leeren Schulhaus verwegen über ein Absperrband klettert, um Wacom-Tablets der Fachschaft für die an einer Stifteingabemöglichkeit interessierten Lehrpersonen bereitzulegen. Wir sehen den Deutschlehrer ein paar Wochen vor seiner Pensionierung einen tanzenden Elvis posten und davon berichten, wie alles immer besser läuft.

Dienstag 31. März, 16.00 Uhr: Wir befragen die Schüler*innen zum Wohlbefinden und zum Fernunterricht. Das Kollegium diskutiert die Resultate an der Osterweiterbildung. Mit diesen Hinweisen werden die Regeln zum Fernunterricht leicht angepasst. Insgesamt ergibt sich ein positives Bild. Auch wenn die Situation nicht mit dem Normalunterricht vergleichbar ist, der Fernunterricht funktioniert und den Schüler*innen geht es den Umständen entsprechend gut!

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