In der Maske

Der 22. Oktober ist ein schöner Tag. Die Sonne scheint, als wir neben der Elisabethenkirche stehen. Doch das Theater Basel wird umgebaut und wir müssen lange suchen, bis wir den Bühneneingang gefunden haben. Zudem nimmt die zweite Corona-Welle gerade Anlauf. Sobald wir vom Sofa im Vorzimmer aufgestanden sind, wird es desinfiziert. Zum Glück erkennen wir unsere Interviewpartnerin, die 32-jährige Maskenbildnerin Samara Bamert – auch mit Maske. Zuerst führt sie uns durch die Räume, in denen sie arbeitet. In einem lagern Zöpfe und Bärte in Plastikkisten, in einem anderen werden hinter Glasscheiben Wunden aus Silikon gegossen. In der Maske beantwortet sie uns dann Fragen zu Masken.

von Timo Kröner und Daniel Nussbaumer (Fotos: Nu)

EF: Wenn du dir selber eine Maske machen könntest, wie und wozu würdest du dich verwandeln? Warum?

Samara Bamert: Ich würde mir sicher etwas aussuchen, was man im Theater nicht so oft macht. Und sicher würde ich mit Prosthetics arbeiten, zum Beispiel an etwas Fantasy-Artigem. Aber ich könnte im Moment nicht sagen, welche Figur ich aus mir machen würde. Wahrscheinlich so etwas Gnom-mässiges. Oder eben alt, realistisch alt.

Würdest du dir dann eine App besorgen, mit der du dich als alte Person sehen könntest?

Nein, sicher nicht! Man weiss ja, wo die Falten entstehen und wie das Gesicht altert. Meistens braucht es gar nicht so viel, damit man plötzlich alt aussieht. Die Haare machen sehr viel aus. Für die Haut würde ich Gesichtsteile herstellen, damit man Tränensäcke hat und damit die Wangen hängen. Das Interessante bei so einer Veränderung sind die Gesichtsstrukturen, das ist ja unsere Arbeit.

Welche Maske hast du in deiner Berufskarriere am liebsten gemacht und warum?

Als ich noch in Sankt Gallen gearbeitet habe, habe ich für das Kinderliteraturfestival gearbeitet. Das hatte das Thema «Monster». Da habe ich als Showschminken ein Monster für die Kinder gemacht. Das war eine ganz tolle Aufgabe, weil ich ganz frei war und die Figur selber entwickeln konnte. Wir bekommen sonst einen Auftrag und setzen den dann um. Ich hatte also ein Model dabei und konnte aus ihr in einer Dreiviertelstunde ein Monster machen. Im Theater war das eine Figur für das Stück «Matto regiert». Die Figur war comicmäßig an Two-Face angelehnt. Ihre eine Gesichtsseite war ganz normal, die andere sah aus, als wäre sie explodiert. Die Haare standen ab und der Mund war aufgerissen.

Wie reagieren denn die Schauspieler, wenn das mit ihnen gemacht wird?

Meist bekommen die Schauspielerinnen und Schauspieler, gerade im Schauspiel, nur eine Perücke oder werden nur ganz leicht geschminkt. Für die Schauspieler ist es eine schöne Vorbereitung vor dem Bühnenauftritt, wenn sie vorher bei uns sein können. Es gibt Tage, da merkt man, die Leute sind angespannt. Dann unterhält man sich halt nicht so viel. Je nachdem, wer miteinander im Raum ist, kann die Stimmung auch anders sein. Manchmal lachen alle voll viel, klopfen Sprüche und es ist sehr witzig. Dann gibt es wieder Situationen, in denen die Leute voll gestresst sind und jede Nadel piekst. Aber vielen hilft es, sich in der Maske in die Rolle zu verwandeln, die sie nachher auf der Bühne spielen.

Wieviel Gestaltungsraum hast du und woher nimmst du deine Ideen?

Uns geben vor allem die Kostümbildner und Kostümbildnerinnen vor, wie die Figuren auszusehen haben. Und je nach Kostümbildnerin haben wir mehr Freiraum oder eben weniger. Wenn wir einen Vorschlag für eine Frisur oder Perücke bekommen, sagen wir auch schon mal: «Nein, das passt jetzt überhaupt nicht!» Oder: «Die Farbe würde der Person eher schmeicheln.» Oder wenn ein Darsteller mit der Maske unzufrieden ist, dann versuche ich es schon so zu machen, dass er oder sie sich wohlfühlt. Wenn jemand ein bisschen mehr Rouge braucht, um sich in der Rolle wohlzufühlen, bekommt er oder sie auch ein bisschen mehr Rouge.

Und die Darstellenden brauchen immer euch als Team, sie können sich nicht selber schminken?

Im Moment versuchen wir natürlich wegen der Corona-Massnahmen, dass die Darstellenden so viel wie möglich selbst machen. Aber eine Perücke stecken kann man nicht alleine. Das sind ganz filigrane, feine Perücken mit einem dünnen Tüllstoff und echtem Menschenhaar. Und so eine Echthaar-Perücke hat auch einen gewissen Wert – da muss man schon ein bisschen vorsichtig sein.

Abpudern kann man sich selbst, und es gibt auch Schauspieler, die sich selbst schminken. Im Musical oder in der Oper hatte ich auch schon Schauspielerinnen, die sich selbst schminken wollten. Die müssen aber dann meistens zur Kontrolle noch kurz in der Maske vorbeischauen. Es kann sich aber auch nicht jede und jeder grundieren. Im schlimmsten Fall sehen sie ganz fleckig aus oder total weiss oder sie haben sich totgeschminkt.

Welche Rolle spielen Dramaturgie, Regie, Technik oder Kostüme bei deiner Arbeit?

Wir haben vor allem viel Kontakt mit den Kostümbildnern. Sie bestimmen, wie die Kostüme aussehen sollen und was wir dazu beitragen müssen. Wir bekommen Figurinen, auf denen zu sehen ist, wie die Leute auszusehen haben. Danach richten wir uns dann und besprechen gemeinsam, was funktioniert und was nicht.

Wir sind auch in engem Austausch mit der Hutmacherei, die all die Kopfbedeckungen macht. Sie müssen wissen, wie groß die Hüte sein sollen, wenn die Figuren darunter eine bestimmte Frisur tragen.

Sind alle eure Masken individuell oder habt ihr bestimmte Vorlagen oder typische Gestaltungsformen, auf die ihr zurückgreift?

Also auf technischer Ebene können wir immer wieder mit denselben Formen arbeiten, wie zum Beispiel mit den Formen für die Silikonwunden. Wenn man wieder so etwas braucht, dann können wir das einbringen. Dann haben wir einen riesigen Fundus mit Perücken. Die Chordamen haben je drei oder vier Perücken, von denen wir eine auswählen können, die wir dann in Form frisieren.

Für Solisten stellen wir aber vieles neu her, damit das auch wirklich passt. Dafür machen wir auch Kopf-Abformungen. Das sind dann so Schaumköpfe, die genau der Kopfform des Schauspielers oder der Schauspielerin entsprechen. Damit können wir dann passgenaue, individuelle Perücken machen.

Spielt der Theatertext für dich eine Rolle bei der Frage, wie ihr Rollen gestaltet?

Natürlich ist der Text wichtig. Das kann man zum Beispiel in der Veränderung der Frisuren sehen, wenn eine Figur wahnsinnig wird. Am Anfang ist sie schön frisiert, und je verrückter sie wird oder je mehr sie durchdreht, desto mehr löst sich die Frisur auf. Das Aussehen verändert sich ja grundsätzlich mit der Figur mit, das hat auch mit der Entwicklung der Figur zu tun. Natürlich hängt das auch davon ab, wie eng die Regie am Text bleibt. Aber der eine Leprakranke in dem Stück Saint François d’Assise hat jetzt auch etwas gekriegt, damit er ein bisschen nach Lepra aussieht.

Was für eine Ausbildung hast du gemacht und wie bist du ans Theater Basel gekommen?

Also ich bin voll die Quereinsteigerin. Ich habe studiert und einen Bachelor-Abschluss in Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft gemacht, aber ich war schon immer theaterverliebt und habe bald gemerkt: Ich will am Theater arbeiten. Aber eben lieber etwas Praktisches. Ich habe mich zum Beispiel nicht in der Dramaturgie gesehen. Dann hat mich eine Freundin darauf gebracht, dass Maskenbildnerin eine Option sein könnte.

In der Schweiz ist dieser Weg ziemlich schwierig, denn es gibt nur zwei Theater, die ausbilden, und zwar in Zürich und Sankt Gallen. Zudem gibt es in der Schweiz keinen anerkannten Abschluss. Ich habe einen IHK-Abschluss in Deutschland gemacht, das würde in der Schweiz einer Berufslehre entsprechen.

Ich habe nach dem Studium mit super viel Glück eine Praktikumsstelle in Sankt Gallen und daraufhin den Ausbildungsplatz bekommen. Der normale Weg wäre trotzdem, dass man zuerst eine Ausbildung als Coiffeuse oder Coiffeur macht, weil wir schon viel mit Haaren arbeiten. Damit würde man sich an einem Theater bewerben und eine dreijährige Weiterbildung machen, bei der man blockweise Unterricht hat. Ich war zum Beispiel in Baden-Baden an der Schule. In Dresden und München kann man die Ausbildung auf Hochschulniveau machen.

Gäbe es für unsere Schülerinnen und Schüler Praktikumsmöglichkeiten?

Da muss man direkt das Theater anschreiben. Wir hier haben nur Praktikantinnen, die bereits in der Ausbildung sind, wie unsere Praktikantin aus Dresden, die hier ein dreimonatiges Praktikum macht. In Sankt Gallen hatten wir aber auch Praktikanten. Es ist jedoch nicht so einfach und man muss einen guten Zeitpunkt erwischen. Wenn man eine Mail zu einem Zeitpunkt schreibt, zu dem alle grad im Endprobenstress sind, kann es vorkommen, dass nicht zurückgeschrieben wird. In Deutschland ist es eher möglich, ein Jahrespraktikum zu machen.

Gibt es interessante Zeiterscheinungen, wie Menschen momentan ihr Gesicht zur Schau stellen?

Direkt fällt mir nichts ein, was ich als interessante Zeiterscheinung bezeichnen würde. Diese ganzen Schmink-Tutorials und so, diese fetten Augenbrauen und was halt im Moment so in ist. Wenn ich dann Jugendliche sehe, dann denke ich: VIEL ZU HEFTIG! VIEL ZU HEFTIG! Durch Instagram und Youtube ist alles ein Einheitsbrei geworden. Alle denken zwar: «Oh, ich mach jetzt was Spezielles!», aber es geht alles in die gleiche Richtung. Auch wenn man ganze Tutorials anguckt, wenn es etwa um Halloween-Makeup geht. Es hebt sich selten etwas wirklich ab.

Mir selber gefallen historische Sachen. Ich finde Zwanzigerjahre megageil. Und ich finde es voll schön, wenn Rockabilly-Frauen ihre Haare immer machen. Oder auch Hüte finde ich super. Aber jetzt so spezifisch, dass ich rumlaufe und denke: «Ah, das ist jetzt aber interessant!», das kommt kaum vor.

Wie geht ihr denn in der Maske des Theaters Basel allgemein mit der Schutz-Maske um?

Wir tragen beim Schminken diese FFP2-Masken, zusätzlich ein Face-Shield. Es ist ja sowieso schon wichtig, in der Maske hygienisch zu arbeiten. Hände waschen und Desinfizieren war schon immer ein grosses Thema. Jetzt ist es aber noch viel extremer. Der Stuhl hier wird nach jedem Darsteller desinfiziert. Ich versuche zu lüften. Ich räume den Platz auf, desinfiziere alles. Jeder Darsteller hat eigene Pinsel. Es ist zwar normal, dass jeder Darsteller sein eigenes Schwämmchen und seinen eigenen Lippenpinsel hat. Aber mit einem Rouge-Pinsel konnte man normalerweise bei jedem etwas Rouge auftragen.

Jetzt haben wir grad Stücke, die sehr aufwändig sind. Da können sich die Darstellenden nicht selbst schminken. Bei Ganzkörper-Make-ups können sie sich die Teile nicht selber kleben, und gleichzeitig sollten sie hier auch nicht so lange sitzen. Deswegen sind wir dann oft auch zu zweit dran. Ich schminke sein Bein und die Kollegin klebt ihm die Glatze.

EF: Wie läuft der Vorstellungsabend denn konkret ab?

Jetzt grad in der Oper ist das recht ruhig. Da schminken wir etwa zwei Stunden und in der Pause kommen die Darsteller dann zum Auffrischen. In Sankt Gallen hatte ich auch Musical. Das ist dann sehr hektisch, aber auch lustig. Es gibt schnelle Kostümwechsel, und die Leute sind quirlig drauf. Wenn ich während der Vorstellung sonst nichts mit den Darstellern zu tun habe, dann knüpfe ich hier unten Perücken.

Man muss sich dessen bewusst sein, wenn man das machen möchte: Man arbeitet dann, wenn andere frei haben. Wir arbeiten abends bis spät und auch an den Wochenenden und an Feiertagen. Für mich ist das jetzt nicht so ein Ding. Schon während dem Gymnasium habe ich am Wochenende immer an der Tankstelle gearbeitet. Das habe ich auch während der Uni gemacht, insgesamt sieben Jahre lang, immer am Wochenende und auch über Weihnachten. Als ich am Theater begonnen hatte, hatte ich zum ersten Mal seit Jahren am 25. Dezember frei. Ich liebe es, am Abend zu arbeiten, dann habe ich den ganzen Morgen für mich. Es fühlt sich so an, als hätte ich schon einen ganzen Tag erlebt, und dann gehe ich noch arbeiten.

Nachtrag: Seit dem 11. Dezember hat das Theater Basel den Spielbetrieb eingestellt.