Ein Krieg ist kein Mittagspicknick

Ich sitze im Foyer und warte auf den Beginn der Mittagsveranstaltung. Dabei überlege ich, ob ich mir ein Sandwich der Klassen 3Eb und 3WZ für die Ukraine-Sammelaktion kaufen soll. Doch nun strömen immer mehr Schülerinnen und Schüler ins Foyer und versuchen sich noch einen Platz zu ergattern. Die Veranstaltung interessiert mehr Schüler des Gym Muttenz, als die Organisatoren wahrscheinlich erwartet haben. Es herrscht eine aufgeregte Stimmung und es wird teils schon heftig über das Thema diskutiert. Es geht den meisten wie mir. Wir werden seit dem 24. Februar mit Berichten, Bildern und Videos auf allen Kanälen überflutet. Obwohl wir die Situation auch im Unterricht besprechen, können wir immer noch nicht alles verstehen und haben keinen Überblick über die Folgen des Konfliktes in der Ukraine oder auch über Putins Krieg, wie er später genannt wird. Es ist auch spürbar, dass es schwierig ist für uns, zwischen korrekten Informationen und Propaganda zu unterscheiden.
Von Olivia Finazzi (Fotos: Daniel Nussbaumer)

Vor Beginn der Veranstaltung höre ich viele Fragen wie: Was ist wirklich los in der Ukraine? Wieso überfällt Putin ein souveränes Land und bricht das Völkerrecht? Andere machen sich Gedanken, was dieser Krieg für Europa und auch für die Schweiz bedeutet. Weitere haben Angst, dass dies der Beginn des 3. Weltkriegs sein kann oder es im schlimmsten Fall zu einem Atomkrieg kommt. Ausserdem spüren wir alle, dass dieser Konflikt nahe ist und sehr viele Menschen auf der Flucht sind.

Lokaler Krieg – Hunger für die Welt

Den informativen Einstieg, den die drei Lehrer Alexander Bieger (Wirtschaft und Recht), Markus Hilfiker (Geographie) und Wilfried Ebert (Geschichte), präsentieren, ist hilfreich. So sind gewisse Fakten einmal geklärt. Herr Hilfiker berichtet uns über die geographische Lage der Ukraine. Durch seine Ausführungen wird klar, welche Vorzüge die Ukraine für Russland hat. Die Ukraine hat ein kontinentales Klima und fruchtbare Böden und ist so die Kornkammer Europas.

Im Weiteren greift Herr Bieger wieder das Thema der Kornkammer Europas auf und erklärt, dass in der Ukraine jetzt kein Getreide angebaut wird, und dies hat Auswirkungen für die Wirtschaft in ganz Europa, Afrika und auch im Nahen Osten, da die Preise steigen. Was für uns in der Schweiz verkraftbar ist, bedeutet für andere Länder, dass das Getreide unbezahlbar wird. Dies löst Hungersnöte aus und so haben wir im Sommer nicht nur teurere Nahrungsmittel, sondern noch mehr Flüchtlinge aus den Staaten, die wir bereits kennen. Es geht auch der russischen Wirtschaft schlecht. Der Rubel hat seit Anfang Jahr die Hälfte an Wert verloren und war ohnehin schon tief bewertet. Dies führt zu einer extremen Inflation in Russland.

Durch die Ausführungen von Herrn Ebert zur Geschichte der Ukraine und Russlands wird klar, dass die Ukraine lange Zeit zu Russland gehörte, es aber immer wieder Zeiten gab, in denen die Ukrainer ihre Unabhängigkeit anstrebten. Seit dem Zerfall der UdSSR ist die Ukraine ein souveräner Staat.

Nachricht aus dem Krieg

Nach den Erläuterungen der drei Herren verschafft uns ein Schüler der vierten Klasse, Daniel Oeschger, einen sehr bewegenden Eindruck zur Situation in der Ukraine. Er hat mütterlicherseits Familie in der Ukraine und hat eine ukrainische Kollegin gebeten einen Text zu ihrem aktuellen Leben zu schreiben. Ihre Nachricht macht uns deutlich, dass es nicht nur für uns unerklärlich ist, dass Putin nun wirklich die Ukraine angegriffen hat, sondern dass auch die Menschen, die in der Ukraine leben, noch immer nicht begreifen können, dass es wirklich passiert ist. Sie schreibt von dem surrealen Empfinden über den Angriff in der Nacht auf den 24. Februar. Weiter erzählt sie auch von der Angst, die sie nun hat, um ihre Familie und Freunde. Sie lebt nicht direkt im Kriegsgebiet und trotzdem pendelt sie zurzeit bei jedem Flieger-Alarm zwischen Wohnung und Schutzraum. Auch ist für sie völlig offen, was die Zukunft bringt, und das bereitet ihr grosse Angst. Während Daniel Oeschger diesen Text vorliest, bekomme ich langsam eine Gänsehaut und alle Schülerinnen und Schüler hören ihm aufmerksam zu. Es ist zum ersten Mal sehr still im Foyer und es breitet sich eine gedrückte Stimmung aus. Alle werden nachdenklich und viele sind auch sehr berührt vom Gehörten.

Nichts tun ist nicht neutral sein

Zu Beginn der Fragerunde sind viele mit ihren Gedanken noch beim Bericht aus der Ukraine und erst nach einiger Zeit werden einzelne Fragen gestellt. Eine Frage, welche diskutiert wird, ist die Bedeutung der Krim für Putin. Putin hat die Krim 2014 annektiert, weil er Zugang zu einem «warmen Meer», dem Schwarzen Meer will. Dies ist wichtig für Putin aus militärischen und wirtschaftlichen Gründen.

Eine weitere Frage lautet, ob Putin Atomwaffen einsetzen wird oder ob es nur eine Drohung ist. Diese Frage kann nur Putin beantworten. Er droht damit und wenn jemand den sogenannten roten Knopf drücken würde, dann Putin. Herr Ebert gibt zu bedenken, dass in diesem Fall gilt: «Wer zuerst schiesst, stirbt als Zweiter!»

Ein Thema, welches viele beschäftigt, ist die Frage der Neutralität der Schweiz im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Russland. Es wird festgehalten, dass es einen Unterschied gibt zwischen der politischen und der rechtlichen Neutralität. Die Schweiz ist politisch neutral und führt deshalb keinen Krieg gegen ein anderes Land oder liefert auch keine Waffen an eine Kriegspartei. Aber Putin hat das Völkerrecht verletzt und wird deshalb auch von der Schweiz mit Sanktionen gestraft. Neutral bedeutet nicht, nichts zu tun. Nichts zu tun, würde im aktuellen Fall bedeuten, Putin zu unterstützen.

Nach der Fragerunde herrscht eine Art Weltuntergangsstimmung im Foyer, und das fühlt sich schrecklich an. Das ist Herr Eberts Stunde. Um doch etwas Hoffnung zu verbreiten, zitierte er Nawalnys Mutter (Alexei Nawalny ist ein russischer Oppositioneller, z. Z. in Gefangenschaft), welche gesagt haben soll: «In Russland wissen alle alles und niemand sagt nichts, eines Morgens stehen alle auf und nehmen die Schaufel von der Wand und schlagen einander die Köpfe ein.»

Dann sind wir doch gespannt, ob die Russen Putin bald die Schaufel spüren lassen!

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