„Erheben Sie Ihre Stimme!“

Liebe Fachmaturandinnen und Fachmaturanden, liebe Dozierende, liebe Anwesende, sehr geehrte Gäste

Es ist mir eine grosse Ehre, dass ich heute vor Ihnen stehen darf.

Als ich die Anfrage erhalten habe, heute vor Ihnen eine Gastrede zu halten, kam mir ein Zitat eines Sportlers in den Sinn: „Ich habe es mir sehr genau überlegt und dann spontan zugesagt.“ Ich musste nicht lange überlegen: Sehr gerne nehme ich an Ihrer heutigen Feier teil! In meinem Alltag als Lehrkraft und Politikerin kommt es immer wieder vor, dass ich eine Rede halten oder vor vielen Leuten ein Anliegen vertreten muss. Gleichwohl ist der heutige Anlass eine besondere Herausforderung. Denn dieser Abend ist ein Meilenstein in Ihrer Ausbildung und somit kommt diesem Text doch eine besondere Rolle zugute.


Rede von Miriam Locher, Landrätin Kanton Basel-Landschaft, gehalten am 7. April 2022 anlässlich der Abschlussfeier Fachmaturität Pädagogik beider Basel im KUSPO Münchenstein (Foto: Daniel Nussbaumer)

Lassen Sie mich das konkretisieren: Im Vorfeld habe ich mir überlegt, wer hielt denn eigentlich an meiner Feier damals eine Rede? Und, fast noch wichtiger: Was genau wurde meinen Kolleginnen, Kollegen und mir dazumal mit auf den Weg gegeben? – Oder schlicht und ergreifend: Welchen Inhalt mussten wir uns damals anhören, bis wir dann unser Diplom in den Händen halten und zum Apéro übergehen konnten? Und ich muss Ihnen heute ehrlicherweise gestehen, ich weiss es nicht mehr und auch sämtliche von mir angefragte Personen aus diversen Jahrgängen können sich nicht an irgendetwas diesbezüglich Bleibendes erinnern. Weder Rednerinnen oder Redner noch die wahrscheinlich mühsam erarbeiteten Texte hatten eine nachhaltige Wirkung. Das sollte zumindest heute anders sein. Also, worüber um Himmels Willen will ich heute reden? Im besten Falle hört mir ja jemand zu, in Job und Politik ist dies keine durchwegs gegebene Situation.

Mein erster Gedanke: Ich mache das Naheliegende und frage meine Schülerinnen und Schüler, was es denn aus ihrer Sicht braucht, um eine gute Lehrerin oder ein guter Lehrer zu sein. Quasi ein «How to be a good teacher» für die hier anwesenden zukünftigen Lehrkräfte. Ja, das schien mir eine gute Idee und ich legte gleich los.

Hier eine exklusive Auswahl der Antworten, die ich erhalten habe und Ihnen nicht vorenthalten will:

-fröhlich sein,
-lieb sein,
-nie schimpfen,
-gut zu den Kindern sein,
-wenn man gut im Sagen und ihm Lehren ist,
-man muss gut aufräumen können,
-sie muss die Uhr gut lesen können,
-sie oder er muss gut lesen, rechnen und schreiben können,
-gut erklären und helfen können,
-gut zu den Kindern schauen und sie nicht vergessen (also nicht, dass mir das schon mal passiert wäre),
-gute Bastelideen haben,
(und dann das abrupte Ende, ich hoffe, Sie verzeihen mir den Niveausprung)
«Ich muess go bisle…»!

Zu diesem Zeitpunkt war mir klar: Das funktioniert als Inhalt meiner Rede leider nicht.

Also, ich bleibe beim Wesentlichen, der Sprache, den Worten:

Nach einer langen Zeit, in der Sie sicher auch viel zuhören mussten und erst dann reden durften (oder sollten), wenn Sie an der Reihe waren, kommt nun eine Zeit, in der Sie vermehrt im Zentrum stehen und viel sprechen werden.

Sprache ist unser wichtigstes Ausdrucksmittel, der Schlüssel zur Verständigung und Teil unserer Persönlichkeit. Eine gute Beherrschung, besonders der Schriftsprache, ist Voraussetzung dafür, dass Kinder und Jugendliche, ja wir alle, uns in der Informationsgesellschaft zurechtfinden und Berufe ergreifen können, die unseren Interessen und Fähigkeiten angemessen sind.

Sie haben sich dabei für die pädagogische Richtung entschieden. Das freut mich persönlich sehr. Auch da ich die eine oder andere Person in diesem Saal während ihrer zwei ersten Jahre in unserem Schulsystem begleiten durfte. Ich konnte also sowohl die erste «Ansprache» für Sie bei Ihrem Eintritt in unser Schulsystem halten, also auch jetzt die Rede an Ihrer Fachmaturitätsfeier, eine besondere Ehre für mich.

Doch zurück zur Sprache: Sprache ist nicht nur der Schlüssel zur Verständigung, sie ist auch der Schlüssel zum Wissen. Sprache beeinflusst unser Denken. Und glauben Sie mir, in Ihrer zukünftigen Tätigkeit wird die Sprache, das Sprechen mit all seinen Facetten, etwas vom Wichtigsten sein, was Sie gebrauchen werden. (An dieser Stelle verweise ich gerne auf die Wichtigkeit bestimmter Mittel gegen Heiserkeit, formuliere sie aufgrund der «Schleichwerbung» aber nicht mehr aus, bei Interesse gerne melden.)

Die Sprache drückt Gefühle, unsere Emotionen und auch rationale Prozesse aus – und ist sogleich die Basis unserer komplexen sozialen Systeme. Auch wenn sich die Sprache ursprünglich aus Tierlauten entwickelt hat, unterscheidet sie den heutigen Menschen von den übrigen Lebewesen.

Und das Feld der Sprachforschung ist riesig, denn Sprache ist ganz offensichtlich ein komplexes System, bei dem nicht zuletzt der Ton die Musik macht. Man schätzt, dass es mehr als 10’000 verschiedene Sprachen und Dialekte gibt. Kein Volk auf unserer Erde lebt ohne eigenes Idiom, und Sprache scheint so das Natürlichste auf der Welt zu sein. Doch wie so oft, wenn die Dinge selbstverständlich scheinen, ist ihre Definition nicht ganz einfach – ganze Generationen von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern haben sich daran versucht.

Worte können trösten, oder tief verletzen, manche hängen einem Tage, oder gar jahrelang nach, auch die Worte, die man in der Schule hört. Sicher haben auch Sie alle entsprechende Erinnerungen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Anekdote aus meiner Ausbildung an der PH erzählen. Hören Sie nun zwei der Sätze, die ich am allerersten Tag in meiner Ausbildung an der PH zu hören bekam:

«Schauen Sie sich dieses A4-Blatt an. Reissen Sie nun daraus Ihren aktuellen Gefühlszustand» – «Wenn Sie ein Tier mit echten Gefühlen wären, welches Tier wären Sie dann?» Nun ja, mehr muss ich dazu wohl nicht sagen. Nach dem «Hören-Sagen» ist der «Gschpürsch-mi-fühlsch-mi-Teil» an der PH mittlerweile etwas geschrumpft, ich hoffe es auf jeden Fall für Sie.

Ich hoffe auch, Sie haben sehr viele gute Erinnerungen an Ihre Lehrkräfte und an Sätze, die Sie in Ihrer bisherigen Schulkarriere gehört haben.

Kommen wir von der gesprochenen zur geschriebenen Sprache. Da ist die Vielfalt ebenso riesig, übrigens ebenso wie die Diversität innerhalb einer Ihrer zukünftigen Schulklassen. Das geschriebene Wort, zum Beispiel in künstlerischer Form kreativ und visuell verarbeitet, wie in Street-Art. Wobei ganz so kreativ wie Street-Art wird Ihnen Ihre Ausbildung vielleicht nicht so häufig erscheinen. Manchmal werden Sie sich vielleicht eher vorkommen wie in einem Wimmelbilderbuch und Sie werden krampfhaft nach Dingen (unter anderem vielleicht auch nach dem Sinn) suchen. Manchmal wird Ihr künftiger Weg einem spannenden Roman gleichen und ganz bestimmt auch mit unerwarteten Wendungen überraschen. Und zeitweise, da machen auch Sie sich sicher keine Illusionen, wird es trocken wie in einem Sachbuch über, uiii, da muss ich aufpassen dass ich keiner oder keinem Ihrer Fachlehrpersonen zu nahe trete… eben trocken wie in einem längst überholten Sachbuch zugehen, Microsoft Windows 1 1985 oder so. Und zeitweise, auch das kann sein, wird Ihnen die ganze Ausbildung vielleicht auch Angst machen, Stichwort Krimi oder Thriller.

Aber seien Sie sich dessen gewiss, wenn Sie Ihre Ausbildung geschafft haben, dann werden Sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen Beruf erlernt haben, in dem Sie sich wohl fühlen werden wie in einem oder mit einem Lieblingsbuch. So zumindest mein Wunsch an Sie. Sinnstiftend ist er in jedem Fall.

Und dann gibt es ja noch die berühmten Freundschaftsbücher. Gerade in der Unterstufe und im Kindergarten äusserst beliebt. Machen Sie sich also schon mal Gedanken, was Sie dann notieren, denn es wird gelesen und hat nicht selten auch Einfluss zum Beispiel auf Ihre Abschiedsgeschenke.

Und hier auch noch eine kleine Info zu Ihren künftigen Ausbildungen:

Sie werden, gerade bei der Arbeit mit jüngeren Kindern, unendlich oft Ihren Namen hören. Man glaubt ja gar nicht, wie lange Vokale ausgesprochen werden können. «Frau Looooocheeeeeer!» Als Faustregel, je kleiner das Kind, desto länger die Vokale, aber das werden Sie im Verlaufe Ihrer Ausbildung auch noch feststellen.

Und ja, letzten Endes ist alles ja auch eine Frage des Framings. Und da komme ich nun etwas weg von meinem Beruf, hin zu meinem «beruflichen Hobby». Framing, den Worten eine Deutung geben, in der Politik unabdingbar.  In Ihrer kommenden Ausbildung nehmen Sie sehr schnell eine Vorbildrolle ein. Seien Sie sich dessen bewusst und vor allem, nutzen Sie diese Rolle, die so viel Schönes beinhaltet. Und nutzen Sie ihre Rolle auch über Ihre zukünftigen Klassenzimmer hinaus. Denn etwas, was unwiderruflich mit der Sprache verbunden ist, ist die Stimme.  Machen Sie Gebrauch von Ihrer Sprache, machen Sie vor allem Gebrauch von Ihrer Stimme. Ihre Stimme hat Gewicht. Als zukünftige Lehrkraft werden Sie immer wieder auf Ungerechtigkeiten stossen. Seien es Ungerechtigkeiten im System, sei es fehlende Bildungs-Chancengerechtigkeit, seien es unhaltbare Zustände im Angestelltenverhältnis. Empören und engagieren Sie sich, erheben Sie Ihre Stimme.

Es ist keine einfache Zeit, in der Sie sich für den pädagogischen Weg entschieden haben. Dafür gebührt Ihnen Respekt. Die globalen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit sind enorm. Und genau diese Herausforderungen haben auch ganz klar Einfluss auf die Schulen, die Schülerinnen und Schüler. Sie, liebe Fachmaturandinnen und Fachmaturanden, können in Ihrer zukünftigen Rolle diese Herausforderungen mit angehen und Vorbild für Ihre Schülerinnen und Schüler sein. Aber auf jeden Fall: Schreiben Sie Ihre eigene Geschichte und prägen Sie damit positiv die Geschichten Ihrer zukünftigen Schülerinnen und Schüler!

Nun kommen wir zum Schluss. Die einen mögen aufschnaufen, yes, der Apéro rückt in greifbare Nähe! Die anderen haben vielleicht noch Fragen (ja, ich bleibe noch einen Moment) und die dritten, die sollte man jetzt vielleicht langsam wieder aufwecken.

Auf jeden Fall hoffe ich, Sie können vielleicht eine kleine inspirierende Anekdote aus meiner Rede mitnehmen. Ich wünsche Ihnen, liebe Studierende, alles Gute auf Ihren individuellen Wegen, es würde mich freuen, den einen oder die andere von Ihnen im Schulumfeld (oder auch bei politischen Engagements) anzutreffen, und nun wünsche ich Ihnen vor allem eine wunderbare Feier, geniessen Sie diesen Lebensabschnitt!