von Gina Pelosi (Fotos: Daniel Nussbaumer)
«Vo wo chunsch?» Diese Frage beantwortest du normalerweise ungefähr so: «Ich wohn in Muttenz.» Danach würde sich das Gespräch in Richtung deiner Goldfische oder des wunderschönen sonnigen Wetters bewegen. Alles bleibt angenehm oberflächlich. Perfekter Small-Talk. Doch «Nei, ich mein, vo wo chunsch würkli?» würde dich eher stutzig machen. «Ähm, vo Muttenz?» Genau dieser Gesprächsverlauf ist jedoch für Fatima Moumouni Routine. Warum?
Geboren wurde Fatima in München. Seit Beginn ihrer Studienzeit lebt sie jedoch in der Schweiz. Ihre deutschen Sprachwurzeln hört man ein wenig in ihrem Schwizerdütsch. Vielleicht wird ihr deshalb immer wieder die Frage gestellt, woher sie wirklich kommt? «Geboren wurde ich in München.» Doch das scheint immer noch nicht zu reichen. «Nein nein, ich meine – in echt?» Ja, was denn noch? Was von ihr erwartet wird, ist eine emotionale und ungewöhnliche Geschichte über ihre Flucht aus einem fernen Land. Denn Fatima Moumounis Haut ist schwarz. Vom Hautton ausgehend scheinen ihre Mitmenschen überzeugt zu sein, sie habe eine spektakulärere Herkunft. Mit einer ehrlichen Antwort stellt sie ihr Gegenüber nicht zufrieden. Mittlerweile ist sie auf diese Frage vorbereitet und hat schlagfertige Antworten bereit. Zum Beispiel «Burkina Faso» oder «Kongo».
Fatima Moumouni erzählt uns diese Geschichte am 10. Dezember 2018 während ihres Besuches am Gymnasium Muttenz. Mit einem kleinen Hüpfer springt sie auf die Bühne in der Aula der alten FHNW. «Hallo», grinst sie ins Mikrofon. Die Schüler*innen können nicht anders, als sofort mitzulächeln. Neuland ist solch ein Auftritt für Fatima auf keinen Fall. Die 26-Jährige ist Poetry Slammerin und steht fast täglich auf Bühnen. In der deutschsprachigen Szene hat sie sich in den letzten Jahren etabliert. «Mein erster Text kommt bei den Lehrern immer so gut an. Kennt ihr Pathos?» Ungewisses Murmeln geht durch den Raum, Lehrer grinsen. «Pathos ist ein Stilmittel der Rhetorik. Wenn man etwas überschwänglich, leidenschaftlich beschreibt. In meinem Text ist Pathos jedoch eine Person. Früher voller Anmut, heute leider eher billig. Sowas wie Popsongs und Poetry Slam.» Gelächter geht durch den Raum. Kurz darauf erfüllt Fatimas ergreifende Stimme die Aula. Die nächsten fünf Minuten erzählen von Pathos’ schmerzvollem Tod und wie er früher vom «weinenden Himmel» erzählte und heute nur noch in «Seifenblasen-Tattoos mit römischen Zahlen in arabischer Schrift» zu finden ist. Sobald sie mit ihrem Text fertig ist, lockern sich Fatimas Gesichtszüge wieder. Begeisterter Applaus. Doch das war erst der Anfang. Fatima ist bekannt geworden durch ihre Antirassismustexte. «Vo wo chunsch?» ist nur ein Beispiel des leider viel zu präsenten Alltagsrassimus. «Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, wird erwartet, dass ich von meinen Eltern und Wurzeln erzähle. Eine Geschichte, die doch viel zu intim ist, um sie mal so der alten Dame an der Tramhaltestelle zu erzählen. Überlegt euch mal, an welchem Punkt eines Gespräches ihr normalerweise über eure Eltern sprecht.» Mit der Frage suggerierst du, dass Fatima anders ist und nicht von hier. Nur anhand ihres Aussehens. Das zeigt den eingelebten Rassismus der Schweizer. Liegt es daran, dass wir in einem rassistischen System aufwachsen? In dem die Frauen, die putzen, ein Kopftuch tragen und es normal ist, dass dein äthiopischer Freund einfach öfters von der Polizei kontrolliert wird? In welchem es selten vorkommt, dass bei einer Mittagsveranstaltung über Medizin der Referierende schwarz, eine Frau oder homosexuell ist? An diesem Nachmittag brechen wir mit Fatima für einen Moment aus diesem System aus und betrachten uns selbst und andere aus einer neuen Perspektive.
Ihr nächster und wohl bekanntester Text heisst «Back to your roots». Schockierend ist, dass sie die darin erzählte Geschichte wirklich erlebt hat. Damals leitete sie ausgerechnet einen Antirassismusworkshop an einer Schule, als der Hausmeister ihr die Hand entgegenstreckte und sie begrüsste: «Ähm, Servus, I weiss ja nit wie man sich in Ihrem Land begrüsst, aber i geb Ihnen jetzt einfach mal die Hand.» Fatima war sprachlos. Sie hätte gerne mit einem afrikanischen Tanz geantwortet und dann sowas wie: «Und jetzt du, Bruder» gesagt. Mit lockerer Stimme erzählt sie uns einen amüsanten Text mit doch schockierendem Inhalt. Wie der Hauswart einmal afrikanischen Kinder begegnet sei und ihnen umgerechnet 2 Euro schenkte. Wie diese sich über den Geldregen freuten, während er sein Gewissen reinigte. Sinnbilder für Afrika, die auf jeden mit schwarzer Hautfarbe projiziert werden. Fatima stellt uns, dem Publikum, mit einem weiteren Text die direkte Frage, welche Hautfarbe wir eigentlich haben. Wie sieht denn so ein Weisser aus? Vielleicht so milchweiss? Ein bisschen rosa? Wie ein nacktes Hühnchen?
Selten ist es während einer Mittagsveranstaltung so leise, wie wenn Fatima Moumouni spricht. Alle folgen konzentriert jedem einzelnen ihrer Worte. Nach ihren Texten eröffnet Fatima die Gesprächsrunde. Die Jugendlichen dürfen ihr Fragen stellen. Zuerst mal bleibt es aber lange still. Wie es scheint, sitzen die Eindrücke tief und die Zuhörer sind in ihren eigenen Gedanken versunken. Müssen wir uns alle an der Nase nehmen? Die peinliche Stille wird zum Glück von Martin Dean und Amanda Silva de Oliveira überbrückt. Die beiden setzen sich neben Fatima und stellen ihr die ersten Fragen. Sie diskutieren über Rassismus und Fatima erklärt, dass man den Begriff verschieden definieren kann. Sie verwendet den Ausdruck aus geschichtlicher Perspektive, als während des Kolonialismus festgelegt wurde, dass es sowas wie Rassen geben soll. Ihre Wortwahl ist akribisch durchdacht und alle folgen ihr gebannt. Obwohl sie sich mehrmals entschuldigt, dass sie sich heute so oft verhaspelt, ist den Wenigsten überhaupt etwas aufgefallen. Selten bekommt man eine so klare Vorstellung davon, wie präzise wir uns ausdrücken könnten. Mit ihren Sätzen konstruiert sie klar ihre Meinung und Ideen. Es kommen keine Gegenargumente aus dem Publikum. Nur eine Schülerin traut sich, eine kritische Frage zu stellen. Hätte Fatima mit ihren Texten wohl auch so viel Erfolg, wenn ihre Haut nicht schwarz wäre? «Wahrscheinlich nicht, denn die Texte leben von mir und dem, was ich erlebt habe», antwortet Fatima nach einer kurzen Denkpause. Doch zeigt Fatimas Erfolg nicht, dass sie einen wunden Punkt trifft – gerade weil sie uns die Frage stellt, ob unser Hautton schon mal definiert wurde und in Kategorie «Milchschoggi» oder «Haselnuss» eingeordnet wurde und weil unser Spitzname eben nicht «Schoggiböhnli» lautet?
Obwohl die Themen ernst sind, schafft Fatima Moumouni eine lockere Atmosphäre, in der viel gelacht wird. Auf die Frage, weshalb sie sich bei ihrer Studienwahl für die Fächerkombination Ethnologie und Wirtschaft entschieden habe, grinst sie: «Ich wollte Menschenhändlerin werden.» In Wirklichkeit dachte sie, dass sie neben Ethnologie noch etwas «Richtiges» machen sollte. Heute ist ihr klar, dass sie mit Wirtschaft wahrscheinlich nie Geld verdienen wird. Neben ihren Soloauftritten slammt sie mit Laurin Buser im Team «Zum goldenen Schmid». Sie nahm schon an verschiedensten Meisterschaften teil und war im Literaturclub des SRF zu sehen. Momentan präsentiert sie im Theater Neumarkt in Zürich ihre eigene Talkreihe: «Das Ende der Sicherheit». Nächstes Jahr kommen Laurin Buser und Fatima mit einem neuen Programm unter anderem nach Basel. «Ihr könnt gespannt sein», haucht sie ins Mikrofon und grinst.
«Du hesch mich sehr berührt», sagt eine Schülerin gegen Ende der Veranstaltung, «ich ha mich würklich no nie gfroggt, wie min Huutton eigentlich usgseht. Ich cha mir gar nit vorstelle, wie das isch, ständig dra erinneret z’wärde.» Einige nicken zustimmend, andere beissen sich nachdenklich auf die Unterlippe. Dann leitet Martin Dean leider schon das Schlusswort ein. Die Zeit ist um. Beschwingt durch Fatimas ansteckendes Lachen, aber doch nachdenklich, verlassen die Schüler*innen und Lehrer*innen die Aula. Mit erweitertem Horizont strömen sie zurück in ihren Alltag. Die selbstkritischen Fühler sind bestimmt feiner eingestellt, wenn sie das nächste Mal jemanden fragen: «Vo wo chunsch?»
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