Ein grossartiger Effort

Es ist Februar 2022 und wieder einmal ist eine schwierige Zoomsitzung angesagt. Soll das Konzert «c-h-Moll» nun stattfinden oder nicht? Das Orchester und alle Solistinnen und Solisten sind engagiert, wenn da nur nicht immer noch dieses Virus wäre, das einmal mehr alles in Frage stellt. Mitten in der Omikronwelle dürften wir das Konzert zwar durchführen, wir müssten jedoch auch mit verheerenden Ausfällen künstlerischer und finanzieller Art rechnen. Wir sind uns alle einig, dass das Risiko zu gross ist, und beschliessen, das Konzert erneut zum x-ten Mal auf den Mai 2022 zu verschieben.
Von Jürg Siegrist (Fotos: Daniel Nussbaumer)

Der grosse Saal des Stadtcasinos Basel ist gerade noch an einem Termin frei, nämlich am 25. Mai 2022. Als ich diesen Termin in meiner Agenda nachschlage, steht dort gross und fett geschrieben: «Rezitale 4M». Es wird mir plötzlich ziemlich mulmig in der Magengrube. Ein gewichtiger Anteil des Kammerchors, der nun plötzlich am 25.5. im Casino auftreten soll, stammt nämlich aus der 4M. Zusätzlich bin ich als Musiklehrerer der Klasse für die Durchführung der Rezitals mitverantwortlich, die wir von langer Hand geplant haben, und werde selber dort mitspielen. Schon alleine diese Rezitals zu verschieben, bedeutet für mich und alle Beteiligten einen erheblichen Kraftakt und ich habe zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, ob eine sinnvolle Planungsvariante überhaupt möglich sein könnte. Nach intensiven Diskussionen mit allen Verantwortlichen entscheiden wir uns für die folgende Variante:

Mittwoch: Chortreffen des grossen Chors in Mulhouse
Donnerstag: Hauptprobe Chorstücke c-h-Moll
Freitag: Rezital 1. Teil
Samstag: Rezital 2. Teil
Sonntag: Intensivprobe c-h-Moll mit Orchester
Montag: Schlussprüfungen Schlagzeug
Dienstag: Hauptprobe Orchester
Mittwoch: Generalprobe und Konzert.

Ich kann mich nicht erinnern, musikalische Anlässe je dichter geplant zu haben, und das neben reguläreren Unterrichtsverpflichtungen und Familienbetrieb mit drei Kindern.

Das Einzige, das bei einem derart dichten Programm im Vorfeld noch etwas helfen konnte, war eine sorgfältige mentale und fachliche Vorbereitung. So habe ich mit dem Üben der beiden Rezitalprogramme (ca. 50 Minuten Musik für Klavier und Sologesang) schon sehr frühzeitig begonnen, den Unterricht sehr früh vorgeplant und strukturiert und die Kinderbetreuung organisiert. Trotzdem war da diese Unsicherheit: Würden ich und die Schülerinnen und Schüler ein derart dichtes Programm überhaupt bewältigen können?

Heute, einen Tag nach dem Konzert, kann ich sagen: Ja, wir konnten. Sogar mehr als das: Es hat sehr gut geklappt und auch von der Abschlussklasse haben fast alle das ganze Programm mitmachen können. Ein wirklich grossartiger Effort! Am meisten geholfen hat mir die Vorstellung, einen Schritt nach dem andern zu machen und nicht zu stark Dinge vorauszunehmen, die noch gar nicht beachtet werden müssen.

So sind wir Schritt für Schritt gemeinsam vorangegangen und gestern hat mit dem Konzert «c-h-Moll» diese schwierige Geschichte einen krönenden Abschluss gefunden. Mein Sohn sagte mir anschliessend: «Der erste Teil des Konzerts dauerte gefühlte fünf Minuten.» In der Realität waren es 45 Minuten voll gepackt mit intensiven, vielfältigen musikalischen Momenten. Die Solistinnen und Solisten, die beiden Chöre und das Orchester bildeten eine kompakte Ganzheit und entführen die Zuhörerinnen und Zuhörer in die magische Klangwelt des jungen Mozarts, der sich in seinem Werk musikalisch stark an Bach orientiert hatte.

Mit von der Partie waren das Orchester «I Tempi», der Kammerchor Notabene, der Kammerchor des Gymnasiums Muttenz und fünf namhafte Solistinnen und Solisten. Die Arien in Mozarts c-Mollmesse sind sehr kunstvoll ausgelegt und wurden von den beiden Sopranistinnen ausgesprochen klangschön gestaltet. Der Kammerchor Notabene konnte in der grossen «Confiteorfuge» sein Können unter Beweis stellen und der Kammerchor des Gymnasiums kam im Stück «Crucifixus» aus Bachs h-Mollmesse speziell zur Geltung. «Ihr seid ja schon etwas verrückt, mit Schülerinnen und Schülern ein derart anspruchsvolles Programm zu singen», sagte mir nach dem Konzert eine Besucherin. Das mag stimmen, aber die verrücktesten Ideen haben bei Erfolg häufig auch eine sehr nachhaltige Wirkung. Viele der jungen Sängerinnen und Sänger werden vermutlich die gesungenen Werke ein Leben lang in guter Erinnerung behalten.

Nach der Pause kam dann der «Grossmeister Bach» höchstpersönlich zum Zug. Kunstvolle Arien und fugenhafte Stücke ergänzten die unvollständige c-Mollmesse zu einem vollständigen Ganzen. Bachs Klangsprache ist dabei eine andere als diejenige von Mozart: weniger direkt und klar, sondern stärker girlandenhaft und in grossen Teilen angelegt. Es tun sich völlig andere Klangwelten auf und Mozart wird Bach nun direkt gegenübergestellt. Es wurde klar spürbar, warum nach Bach eine gewisse Klarheit und Reduktion im musikalischen Stil gesucht werden musste. Die Dimension der Harmonik und Polyphonie hat der alte Meister in seinen Stücken derart stark ausgeweitet, dass eine Reduktion und Klärung der Stilmittel, wie sie Mozart vollzogen hat, ein absolut zwingender Fortschritt war.

Das Projekt c-h-Moll ist seit gestern Geschichte. Nach einer langen emotionalen Berg- und Talfahrt war der gestrige Erfolg eine grosse Genugtuung und erfüllende Freude für alle Beteiligten. «Dona nobis pacem!“

c-h-Moll Stadtcasino Basel