«Gestern, heute, jeden Tag, gemeinsam gegen das Patriarchat!»

Rote und grüne Petarden, Stimmen aus den Megafonen, erhobene Plakate, Fäuste in der Luft und im Wind wehende Flaggen: Die Frauenstreik-Demonstration fand am 8. März in Basel anlässlich des Weltfrauentags statt und richtete sich gegen das patriarchale System und für die unterdrückten Minderheiten weltweit. Sie wurde vom Bündnis «rabia Basel» organisiert. Rund 400 Frauen und genderqueere Menschen marschierten vom De-Wette-Park durch die Basler Innenstadt.

von Michelle Nachtigal und Matteo Thomi (Text und Bilder)
[Der Text ist im Rahmen eines PA-Kurses an der FMS entstanden. Die Schüler:innen haben die Veranstaltung selbst gewählt und stellen hier ihre Sicht darauf vor.]

Um 18:30 tummeln sich bereits hunderte Menschen im De-Wette-Park und warten auf das Startzeichen. Kurz vor Beginn der Demonstration kommt eine Durchsage der Polizei: «Diese Demonstration ist unbewilligt.» Auch wenn die Frauenstreik-Demo letztes Jahr von der Polizei durch Gummischrot und Tränengas beendet worden ist, sind viele entschlossen und lassen sich nicht von dieser Aussage einschüchtern. Eine Frau reagiert darauf und leitet mit ihrem Megafon den Start der Demo mit einer Rede ein. Sie betont, dass für die Minderheiten in einer patriarchalen Welt gekämpft werden muss, und dabei werden im Chor Aussagen wie «Alberta, Alberta, Antisexista!» und «Wäm sini Körper? Unseri Körper!» gerufen.

Einige Minuten später heisst es Abmarsch zur Heuwaage. Auf dem Weg werden Petarden angezündet und die palästinensische Flagge als Zeichen von Solidarität und Zusammenhalt mit den Palästinenser*innen im Nahost-Konflikt geschwungen. Feministische Plakate und Banner, die sich mit Themen wie Krieg, Solidarität, Kommunismus, sexueller Gewalt und Gleichberechtigung befassen, sind überall sichtbar. Die Entschlossenheit ist gross, ein Zeichen zu setzen.

Auf dem Weg zur Heuwaage erkennt man in der Ferne Blaulichter und wir verspüren ein wenig Unbehagen, denn gewisse Strassen sind von der Polizei abgesperrt worden. Auf der Strasse in der Nähe des Bahnhofs SBB versperren zudem Polizisten mit ihren Fahrzeugen den Weg. Einige halten sich auf höheren Ebenen, wie auf Aussichtsplattformen, auf und melden über Funk die möglichen Wege, die die Demonstrantinnen einschlagen könnten. Bisher ist noch nichts geschehen, denn die Demo kommt ohne Einschränkungen am Theater Basel an. Auf der Tramgabel zum Barfüsserplatz befindet sich bereits eine ganze Einheit von Polizisten, die den Demonstrationszug mit Absperrbändern und Schutzwesten erwarten. Die Demo verharrt einige Minuten an der Gabelung und die gleiche Frau hält eine weitere Rede mit dem Megafon. Dabei steht der Krieg in Palästina im Vordergrund und mit viel Emotion und Jubel der Menge wird es laut.

Nach der Rede geht die Demo weiter in Richtung Bankverein. Eigentlich wollte man in Richtung Barfüsserplatz gehen, doch um die Situation von letztem Jahr nicht zu wiederholen, geht es weiter zum Bankverein und danach in Richtung Wettsteinplatz. Beendet wird sie anschliessend in der Claramatte und verläuft dieses Jahr glücklicherweise friedlich.

Feminismus im Wandel

Am Frauenstreik haben wir einige queere Personen und Symbole wie den Regenbogen angetroffen. Als solidarisches Zeichen für die Opfer und die Leidenden im Gaza-Streifen wurden auch einige palästinensische Flaggen in der Menge geschwungen. Wie stehen diese beiden separaten Themen jedoch mit dem Feminismus im Zusammenhang? Die Antworten liegen in der Vergangenheit der Frauenbewegung. Heutzutage teilt man den Feminismus in drei Wellen auf und wir befinden uns momentan in der dritten.

Die erste Welle, die vom 19. Jahrhundert bis zum Ende des ersten Weltkriegs andauerte, hatte das Frauenstimmrecht im Fokus. Nach der Übernahme vieler männlicher Arbeitsplätze durch Frauen im ersten Weltkrieg beschlossen einige westliche Staaten das allgemeine Stimm- und Wahlrecht endlich einzuführen.

Die zweite Welle, die in den 60er Jahren startete, kämpfte nicht mehr bloss für die Teilnahme am politischen Prozess, sondern für die Autonomie der Frau. Themen wie das Abtreibungsgesetz standen im Mittelpunkt der Debatte. Sie grenzte sich eher von der traditionellen reformpolitischen Strömung ab und setzte auf einen radikaleren Feminismus. In dieser Welle wurden erstmals auch sozialistische und politisch linke Ansichten sichtbar. Einerseits setzten sich die Feminist*innen auch für ethnische Minderheiten wie die dunkelhäutige Bevölkerung ein. Andererseits propagierten sie den Pazifismus angesichts der Stellvertreterkriege des Kalten Krieges. Diese Anliegen überschneiden sich auch stark mit dem Sozialismus. Daher können wir uns erklären, warum die palästinensischen Flaggen am Frauenstreik als Symbol verwendet wurden.

In der dritten Welle blieben viele Anliegen dieselben. Allerdings splittete sich die Bewegung allmählich auf. Es gab auf der einen Seite die traditionellen und zumeist weissen Frauen und auf der anderen Seite gab es die sozialistischen und meistens queeren und dunkelhäutigen Frauen. Die traditionellen Frauen sahen ihren Kampf als gewonnen und kritisierten die anderen Feministinnen dafür, dass sie die feministische Bewegung um Jahrzehnte zurücksetzten. Die sozialistischen Feministinnen warfen ihnen Ethnozentralismus und Heteronormativität vor und sie sahen noch kein Ende ihres Kampfes, da es noch viele Ungerechtigkeiten gegen andere Minderheiten gab. In dieser Welle starteten sie die Genderdebatte und erstmals hinterfragten sie die gesellschaftlichen Aufgaben und Erwartungen an die Frau. Sie argumentierten, dass das biologisch vorgeschriebene Geschlecht keinen Einfluss auf die sozialen Vorgaben haben sollte und dass eine Frau nach eigenem Ermessen sich kleiden, arbeiten und eine Familie planen darf. Dadurch entwickelte sich das wissenschaftliche Gebiet der Genderstudies vom Frauenrecht zur Erforschung von Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten. Deshalb können wir nun erschliessen, dass der Frauenstreik vom 08. März 2024 von sozialistischen Feministinnen der dritten Welle organisiert und besucht wurde.

Die feministische Bewegung ist allerdings noch lange nicht am Ende. Die Demonstrantinnen haben ihre Forderungen nach dem Ende der Demo nicht auf der Claramatte zurückgelassen, sondern sie tragen diese Bedenken tagtäglich mit sich. Das Event löste sich friedlich auf und man konnte die erfüllte und stolze Stimmung förmlich spüren. Die Erleichterung, dass es nicht wie im vorherigen Jahr zu einer nennenswerten Auseinandersetzung mit der Polizei kam, war gross.