von Markus Hilfiker (Foto: Nu)
Das Motiv der unglücklichen Liebe zwischen Dido und Aeneas wurde nachantik nicht nur von Purcell (und seinem Librettoverfasser Nahum Tate) für seine berühmte Oper übernommen. Viele weitere Kulturschaffende haben die tragische Geschichte wieder aufgenommen bis hin in unsere Zeit, zuletzt im spanischen Spielfilm «Son de mar» aus dem Jahr 2001. Dabei zeigt sich etwas ausgesprochen Zeittypisches: die sehr explizite Darstellung der Erotik. Die beiden Hauptfiguren, Ulises und Martina, kommen sich, wie schon im antiken Vorbild von Vergil, in einer Höhle näher. Während im Spielfilm von 2001 das Knisternde der Erotik durch die plumpe explizite Darstellung vollkommen verloren geht, war dem genialen antiken Vorbild Vergil sehr wohl bewusst, dass eine wahrhaft erotische Atmosphäre, die diese Bezeichnung auch verdient, nur durch subtile Anspielungen zu erreichen ist: Als auf der Jagd alle Teilnehmer Zuflucht vor einem plötzlich aufkommenden Gewitter suchen, passiert Folgendes:
Speluncam Dido dux et Troianus eandem
deveniunt.
Vergil macht in diesem Vers von der (relativ) freien Wortreihenfolge Gebrauch, so dass eine wörtliche Übersetzung wie folgt lautet:
«In die Höhle Dido der Führer und trojanische dieselbe
gelangen.»
Wie muss eine korrekte deutsche Übersetzung lauten? Richtig: «Dido und der trojanische Führer (=Aeneas) gelangen in dieselbe Höhle».
Vergil setzt die zusammengehörenden Wörter «speluncam» und «eandem» bewusst an den Anfang und ans Ende desselben Verses und zeigt damit formal – mit einem Stilmittel, das sich Hyperbaton (= Sperrung) nennt –, dass die Liebenden von Höhlenwänden umrahmt werden. Da drin sind sie so eng aneinandergeschmiegt («Dido dux»), dass selbst das verbindende «et» (= und) nach «dux» platziert wird!
Gleich danach blitzt es («fulsere ignes») und «summo ulularunt vertice Nymphae»: Von den obersten Gipfeln heulten die Nymphen (= Naturgottheiten in Bergen, Höhlen, Bäumen und Gewässern). Uih uih, uih, kann man/frau sich in diesem Zusammenhang ein schöneres Onomatopoetikum (= lautmalerisches Wort) vorstellen?
Dass Vergil mit diesen Worten auch gleich mit Bildern aus der Natur Elemente einer typisch römischen Hochzeit, nämlich die Hochzeitsfackeln, die Trauzeugen und die Hochzeitslieder nachahmt, sei hier nur nebenbei erwähnt.
Selbstverständlich stürzen sich die beiden Liebenden nicht einfach der gegenseitigen körperlichen Attraktivität wegen aufeinander, die emotionale Annäherung erfolgt vorher, in einer langen Nacht, in der Aeneas auf die brennenden Fragen von Dido hin in über 1500 Hexametern von seinen Abenteuern beim und nach dem Fall von Troja erzählt. Die beiden unterhalten sich also zunächst sehr lange, erst dann erfolgt die körperliche Annäherung. Vergil trägt hier einer heute leider oft vergessenen paarpsychologischen Binsenwahrheit Rechnung, die einer der führenden amerikanischen Paarpsychologen, David Schnarch, in seinem Standardwerk «Passionate Marriage. Love, sex and intimacy in emotionally committed relationships» wie folgt formuliert: «Ohne grundlegendes Gefühl der Verbundenheit mit dem Partner/der Partnerin funktioniert gar nichts».
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