Das Theaterwunder

von Carolina Gut, Theaterpädagogin und Theaterwissenschaftlerin

Es ist soweit. Der Saal füllt sich, die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler wärmen sich ein letztes Mal auf, die Spannung steigt mit der Nervosität: Noch einmal kurz mental den Text durchgehen, tief einatmen, ein letztes Toitoitoi – und los! Nach einer intensiven Schlussphase können die jungen Darsteller und Darstellerinnen endlich zeigen, was sie während des Jahres eingeübt haben. Und genau an diesem Punkt stellt sich das ‚Theaterwunder’ ein: Die anfängliche Unsicherheit, die mangelnde Präsenz und eine gewisse Spannungslosigkeit verwandeln sich auf der Bühne in der Interaktion mit dem Publikum zu einem spannungsgeladenen Ganzen. Theater braucht Aufführung. Theater ist immer ein Gesamtkunstwerk.

Körper und Stimme

Doch bis dorthin ist es ein langer Weg. Die theaterpädagogische Arbeit besteht aus verschiedenen Phasen. Anfangs geht es vor allem um Körperarbeit: Mit gezielten Übungen wird an der Präsenz und am körperlich-gestalterischen und stimmlich-sprachlichen Ausdruck gearbeitet. Alltägliche Bewegungen werden in theatrale Abläufe überführt; Mimik, Gestik, Haltung und Bewegung als Mittel menschlicher Kommunikation erforscht. Daneben entdecken die Jugendlichen die Stimme als wichtiges Instrument auf der Bühne und lernen, sie vielseitig einzusetzen.

Diese Anfangsphase stärkt auch das Ensembleempfinden, welches für die weiterführende Theaterarbeit unerlässlich ist. Die Jugendlichen sollen sich wohl fühlen und mit Spass und Freude Neues und Ungewöhnliches ausprobieren. Hemmungen werden abgebaut, Techniken einstudiert und durch Improvisation werden allmählich erste Szenen entwickelt – ein Training für den Umgang mit Raum, Zeit und Rhythmus.

Stückarbeit und Rolle

Schliesslich folgt die Textarbeit: Die gemeinsame Stücksuche und Rollenwahl ist dabei essentiell. Die Schülerinnen und Schüler sollen an der Textarbeit beteiligt sein, tragen zur Strichfassung bei und machen erste Versuche mit ihrer Theaterrolle. Wichtig ist mir dabei aber auch, dass sie sich mit ihrer Lebenswelt einbringen können. In der Arbeit mit Laiendarstellern braucht es eine Anbindung an ihre Welt, an jugendliche Themen und Inhalte. Man muss sie dort abholen, wo sie stehen, und von dort aus aufbauen und weiterentwickeln. Nur so ist eine gewisse Authentizität auf der Bühne möglich. Deshalb eignen sich Jugendstücke oder aber thematische Intermezzi, die der Auflockerung von klassischen Texten dienen und den jungen Darstellern einen weiteren Entfaltungsraum eröffnen.

Die Intensivwoche

In der Intensivzeit vor der Aufführung wird dann alles zusammengetragen: intensives Proben, das Zusammensetzen der einzelnen Szenen, Fertigstellen der Requisiten und Kostüme, gemeinsamer Bühnenaufbau und das Einrichten der Technik. Diese letzte intensive Auseinandersetzung mit dem Stück, den Rollen und der Inszenierung ermöglicht den letzten Schliff, bringt die Gruppe noch näher zusammen und führt unweigerlich in den notwendigen Theaterrausch, den es für die Aufführung braucht.

Und nun: „Vorhang auf und raus auf die Bühne!“