Von Mirjam Braun (Fotos: Nu)
„Schule verbannt Harry Potter aus Bibliothek“, titelte die Zeitung 20minuten online im September. Eine katholische Schule im Bundesstaat Tennessee in den USA liess die Bücher über den Zauberlehrling aus der Bibliothek entfernen, wegen angeblich „echter Flüche und Zaubersprüche“. Während die meisten von uns das einfach nur wahnsinnig lustig finden und wir uns eigentlich sehnsüchtig wünschen, dass die Zaubersprüche doch tatsächlich echt wären und wir endlich unseren Brief per Eulenpost erhalten würden, so zeigt dieses Beispiel auch eine erschreckende Wirklichkeit: dass Bücher und Autoren verboten, verbannt oder verbrannt werden, ist keineswegs nur eine Episode des Mittelalters, sondern hochaktuell und brisant.
Die bekanntesten Bücherverbrennungen fanden am 10. Mai 1933 in Deutschland statt. Die Nationalsozialisten verbrannten öffentlich die Bücher jüdischer, pazifistischer oder anderer politisch unliebsamer Autoren. Zuvor hatte man sämtlichen Bibliotheken und Buchhandlungen „Schwarze Listen“ zukommen lassen, anhand derer die Mitarbeiter der Institutionen ihre Bestände durchforsten und von den auf den Listen stehenden Werken „säubern“ sollten. Mit Sprüchen und Fackeln begleitet wurden die Bücher schliesslich auf Lastwagen zu zentralen Plätzen in über 21 Städten Deutschlands gefahren und dort in grossen Scheiterhaufen verbrannt. Ironischerweise regnete es an vielen Orten stark, sodass die Bücherverbrennungen verschoben werden mussten – oder man half einfach mit Benzin nach. Viele der unter den Nationalsozialisten verbotenen Autoren sind heute bei uns Maturalektüre, z.B. Bertolt Brecht („Dreigroschenoper“), Ödön von Horváth („Jugend ohne Gott“), Franz Kafka („Die Verwandlung“), Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues“) oder Erich Kästner („Das fliegende Klassenzimmer“).
Viele der während des Nationalsozialismus verfolgten Autoren konnten ins Ausland fliehen, einige wurden aber auch verhaftet. Auch noch heute werden in vielen Ländern Schriftsteller verfolgt, unterdrückt oder gefangen gehalten. Die Schriftstellervereinigung PEN (poets, essayists, novelists) spricht von 205 Autoren „in Gefahr“ oder „in Gefangenschaft“ im Jahr 2018. Um auf sie aufmerksam zu machen gibt es jährlich am 15. November den „Tag des inhaftierten Schriftstellers“. Das International Writers in Prison Commitee erstellt zudem für jedes Jahr eine Caselist, also eine Auflistung der aktuell inhaftierten oder verfolgten Autoren.
Ein von der UNESCO initiierter Aktionstag ist der 3. Mai, der „Internationale Tag der Pressefreiheit“. So dokumentiert unter anderem „Reporter ohne Grenzen“ Verstösse gegen die Presse- und Informationsfreiheit und kämpft gegen Zensur und für mehr Sicherheit von Journalisten. So zum Beispiel wie im Falle des deutsch-türkische Journalisten Deniz Yücel, der im Februar 2017 in der Türkei verhaftet wurde und fast ein Jahr im berüchtigten Gefängnis Silivri nahe Istanbul in Untersuchungshaft war. Kritischen Fragen und Texte als Journalist haben ihm den Vorwurf „Terrorpropaganda“ eingebracht. Seine Erfahrungen teilt er in dem vor wenigen Wochen erschienenen Buch „Agentterrorist“.
Ein Zeichen gegen die Zensur setzte die argentinische Künstlerin Marta Minujin mit dem Projekt „Parthenon der Bücher“, einem Tempelnachbau mit 67‘000 Büchern, allesamt irgendwo auf der Welt verboten. Daraus entstanden ist die „Kasseler Liste“, das grösste Verzeichnis zensierter und verbotener Bücher. Die Liste enthält aktuell über 125’000 Werke.
Die Gründe für die Zensur einzelner Werke sind vielfältig. Oftmals werden die expliziten Darstellungen von Sexualität oder Gewalt, das Thematisieren von Homosexualität, Drogen oder Selbstmord oder politische bzw. religiöse Unstimmigkeiten kritisiert. Der „Index Librorum Prohibitorum“ der katholischen Kirche existierte (offiziell) bis 1966. Genauso oft sind es aber auch für uns vollkommen haarsträubende Argumente, weshalb ein Buch verboten oder aus der Schulbibliothek entfernt werden sollte. So wurde zum Beispiel L. Frank Baums Buch „Der Zauberer von Oz“ verboten, da es Frauen in Führungspositionen zeigte. Unter anderem in China zensiert wurde „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll, da es unnatürlich sei für Tiere, die menschliche Sprache zu sprechen. Roald Dahls „Charlie und die Schokoladenfabrik“ wurde für „nicht kindertauglich“ erklärt. „Der Glöckner von Notre Dame“ von Victor Hugo war zu sozialkritisch, Dan Browns „Sakrileg“ zu kirchenkritisch. Die Abhandlung „Über die Entstehung der Arten“ von Charles Darwin wird in vielen evangelikalen Gemeinden der USA abgelehnt, da die Evolutionstheorie und somit das Buch grundsätzlich falsch sei. Und selbst das Wimmelbuch „Wo ist Walter?“ musste neu aufgelegt werden, da in einem der Bilder eine nackte Frau zu sehen war (ganz klein und versteckt).
Wir als Bibliothek unterstützen sämtliche Prinzipien der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit und sind gegen Zensur, insbesondere in Literatur und Medien. Aus diesem Grund findet seit 1982, initiiert durch eine Bibliothekarin und getragen von der American Library Association, in den USA und Grossbritannien jeweils in der letzten Septemberwoche die „Banned Books Week“ statt. Ausstellungen und Events machen auf Zensur und verbotene Bücher aufmerksam und regen dazu an, die Bücher und ihre Autoren nicht zu vergessen, gemäss dem Motto „Censorship leaves us in the dark. Keep the light on! Read banned books!“
Noch bis Mitte Dezember könnt ihr in der Mediothek unsere Ausstellung zum Thema „Verbotene Bücher“ anschauen und weitere indizierte Bücher entdecken. Alle in diesem Text erwähnten Werke (und natürlich noch viele mehr) können in der Mediothek ausgeliehen werden, „Harry Potter“ natürlich auch.
Für mehr News aus Medien, Literatur und Bibliothek folgt uns auf Instagram.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.