„Wir vermitteln in Situationen, die ausweglos erscheinen.“

Monika Schmutz Kirgöz ist die Schweizer Generalkonsulin in Istanbul. Anlässlich der Maturfeier 2015, an der sie die Maturrede hielt, haben wir sie zum Thema „Wie kann man die Welt verbessern?“ befragt.

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Monika Schmutz Kirgöz (Foto: Nu)

Interview: Daniel Nussbaumer, Timo Kröner

Wie haben Sie Ihre ehemalige Schule aufgrund der Maturfeier wahrgenommen?

Wie ich während der Maturarede erwähnt habe, habe ich dem Gymnasium Muttenz sehr viel zu verdanken. Es war daher für mich wunderbar, den Kontakt mit meiner alten Schule wiederzufinden. Ich war sehr angetan, dass mein Gymnasium nun eine Frau als Rektorin hat, und war ziemlich sprachlos ob all der talentierten Maturandinnen und Maturanden, die an diesem Abend ihr Bestes gegeben haben! So viele Talente. So viel Humorvolles. Es war ein wunderbarer Abend, ich war richtig begeistert.

Was aus der Gymnasialzeit ist essenziell für Ihre jetzige Tätigkeit als Generalkonsulin?

Sehen Sie, am Gymnasium Muttenz wurde ich inspiriert, meine intellektuelle Neugierde wurde entfacht – und sie ist mir zum Glück geblieben! Ich glaube, der kritische Blick auf die Welt und die Fähigkeit, alles zu hinterfragen, kommen ebenfalls von meiner Zeit in Muttenz. Und das hilft mir täglich. Es geht ja in meinem Beruf darum, alles von allen möglichen Blickwinkeln zu durchleuchten und das Offensichtliche zu hinterfragen.

Meine Lehrerinnen und Lehrer waren wunderbar. Sie gehören irgendwie zu mir – und zu meinem Lebenslauf. Ich kann mich sogar noch an gewisse Sätze erinnern. Ich bin unendlich dankbar für die Bildung, die wir in der Schweiz mit auf unseren Lebensweg mitbekommen. Gerade hier in der Türkei spüre ich, dass das leider keine Selbstverständlichkeit ist.

Was sind spannende Aufgabenfelder und besondere Herausforderungen Ihrer Tätigkeit?

Das Spannendste sind die steten Wechsel. Ich kann mich immer wieder neu einleben, in etwas einlesen, mich mit einer neuen Kultur vertraut machen und versuchen, alles zu verstehen. Ich knüpfe neue Kontakte und baue ein für die Schweiz nützliches Netzwerk auf. Ich schreibe Berichte und weise Bern auf Tendenzen, Investitionsmöglichkeiten oder sich anbahnende bilaterale Probleme hin. Das alles ist sehr bereichernd. Aber ich glaube mittlerweile, dass man schon ein klein wenig verrückt sein muss, um dieses Nomadenleben derart zu mögen.

Meine beiden Söhne (12 und 16) finden das alles halb so witzig, weil sie immer wieder aufbrechen, neu anfangen, viele Freunde und viel Liebgewonnenes zurücklassen müssen. Mich treibt das an. Ich finde es zum Beispiel wunderbar, keine Ahnung zu haben, wo ich ab dem Sommer 2017 leben werde. Mein Partner macht das zum Glück mit. Mein älterer Sohn wird nach Istanbul sein Studium beginnen und der Jüngere kommt noch auf einen Posten mit. Beide sprechen übrigens fliessend fünf Sprachen und daher denke ich, sie werden den „Umziehschock“ überwinden und irgendwann darüber froh sein, in einem derart internationalen Umfeld aufgewachsen zu sein.

Was können Sie als Generalkonsulin für die Schweiz und für das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Türkei bewirken?

Weniger, als Sie vermuten. Die Verantwortung für die bilateralen politischen Beziehungen liegt bei unserer Botschaft in Ankara. Dort arbeiten neben dem Botschafter und zwei weiteren diplomatischen Mitarbeitenden auch ein Verteidigungsattaché, eine Migrationsexpertin und ein Kollege der Humanitären Hilfe des Bundes. In Istanbul hingegen konzentrieren wir uns mehr auf die Wirtschaft und die Kultur. Wir betreuen über 400 Schweizer Unternehmen und Investitionen in der Türkei und stellen jährlich über 20‘000 Visa für türkische Staatsangehörige aus. Gleichzeitig kümmern wir uns auch um die 4000 in der Türkei lebenden Schweizerinnen und Schweizer.

Wie können Sie im Rahmen Ihrer Tätigkeit die Welt verbessern?

Ich wünschte, ich selbst könnte sie etwas mehr oder nachhaltiger verbessern. Aber auf unsere Schweizerische Aussenpolitik können wir stolz sein. Unsere Entwicklungszusammenarbeit ist ein Instrument, welches das Leben zahlreicher Menschen in unterschiedlichsten Ländern verbessert. Wir leisten global einen eindrücklichen Beitrag zur Sicherheit der Menschen. Wir sind bei vielen Konflikten humanitär an vorderster Front dabei, so auch in Syrien. Wir engagieren uns für das humanitäre Völkerrecht und das Einhalten der Genfer Konventionen. Wir vermitteln in Situationen, die ausweglos erscheinen.

Gerne führe ich noch ein persönliches Beispiel an. Als junge Diplomatin besuchte ich im Jahr 2000 die kurdische Metropole Diyarbakir. Ich unterhielt mich mit Frauenrechtlerinnen, welche mir von den zahlreichen bedrohten Frauen berichteten. Ehrenmorde sind in der kurdischen Gesellschaft leider ein weit verbreitetes Phänomen und Frauen, die durch einen solchen Mord bedroht waren, wussten nicht, wo sie Hilfe bekommen konnten. Ich kontaktierte Bern, und daraus entstand ein Projekt, mit dem die Schweiz das erste Frauenhaus in Diyarbakir finanzierte. Dieses existiert noch heute und bietet Frauen Schutz. Unsere damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey war persönlich in Diyarbakir und besuchte dieses Projekt.

Wie gehen Sie persönlich als säkulare, westlich geprägte Frau und professionell als Schweizer Generalkonsulin mit der aktuellen türkischen Regierung um?

Der zwischenmenschliche Umgang in der Türkei ist in der Regel von grossem Respekt geprägt. Vertreter der aktuellen Regierung werten mich nicht als Frau und nicht als säkular. Für sie bin ich die Vertreterin der Schweiz und in dieser Rolle wird mir der grösstmögliche Respekt entgegengebracht. Ich habe mit hohen Vertretern der AKP ausschliesslich gute Erfahrungen gemacht. Nur einmal hat mich das Verhalten einiger Sicherheitskräfte eines Ministers etwas sprachlos gemacht und ich habe gespürt, dass ich in den Augen der Männer als Frau wohl eher zweite Kategorie war.

Wir haben an der Schule viele Schülerinnen und Schüler, die Bezug zu den aktuellen Konflikten in der Türkei haben. Inwiefern arbeitet die Schweiz an der Lösung dieser Konflikte mit?

Wir würden sicherlich gerne Hand zu einer Lösung bieten und vermitteln. Aber wir sind nicht angefragt worden. Niemand ist angefragt worden. So wie ich den Konflikt im Südosten derzeit beurteile, will die Regierung ihn mit militärischen Mitteln lösen. Ich bezweifle, dass dies der richtige Weg ist. Und es stimmt mich sehr traurig, dass all die Bemühungen der letzten Jahre mit dieser gegenseitigen Brutalität zunichte gemacht wurden.

Wie beurteilen Sie von der Türkei aus die aktuelle Flüchtlingskrise?

Die Türkei hat 2.5 Millionen kriegsvertriebene Syrerinnen und Syrern aufgenommen und diesen Menschen so eine vorläufige Heimat geboten. Das ist eine an Solidarität und Humanismus nur schwer zu übertreffende Leistung. Ich finde es himmeltraurig, dass Europa erst jetzt mit der Türkei über diese enorme Anzahl von Flüchtlingen spricht, als diese ins Herz von Europa weiterziehen. Staatspräsident Erdogan darf man nicht unterschätzen. Er wird diese Situation politisch nun zu seinem Vorteil ausschlachten.

Sie haben angesprochen, dass Sie im Sommer 2017 wieder die Stelle wechseln werden.

Grundsätzlich ist der Posten der Generalkonsulin auf vier Jahre beschränkt und wird danach neu ausgeschrieben. Ich möchte gerne wieder mehr politisch-diplomatische Arbeit machen und im Nahen Osten bleiben. Mein Traumposten wäre die Tätigkeit als Botschafterin in Teheran. Der Iran wird in den nächsten Jahren wirtschaftlich sehr interessant für uns. Allerdings bin ich bei weitem nicht die einzige Bewerberin.